Grillo klopft mal an

„Toc, toc – ist jemand zu Hause?“, unter dieser Überschrift postete Grillo vor einigen Tagen den folgenden Brief an die Generalsekretärin der Grünen im Europäischen Parlament:

„Sehr geehrte Frau Dr. Vula Tsesi,
die 5-Sterne-Bewegung (5SB) würde sich freuen, Sie so bald wie möglich zu treffen, um über eine eventuelle Zusammenarbeit im Rahmen der Grünen-Fraktion zu sprechen. Die 5SB ist eine freie Assoziation von Bürgern. Sie ist keine politische Partei und hat auch nicht die Absicht, in Zukunft eine zu werden. Sie möchte einen effizienten und wirksamen Meinungsaustausch und demokratischen Dialog außerhalb fester Verbände und Parteien, um der Gesamtheit der Bürger eine regierende und leitende Rolle zu verleihen, die sonst nur wenigen vorbehalten ist.
Die 5SB zielt auf ein bürgernahes Europa der Werte, das auf direkter Demokratie basiert. Unser europäisches Wahlprogramm sieht sieben konkrete Punkte vor, für die sich unsere 17 Abgeordneten in der kommenden Legislaturperiode des EU-Parlaments einsetzen wollen:
1. Abschaffung des Fiskalpakts
2. Einführung der Eurobonds
3. Bündnis der Mittelmeerländer für eine gemeinsame Politik
4. Keine Anrechnung innovativer Investitionen und Produktionstätigkeiten bei der 3%-Defizitgrenze
5. Investitionen zur Förderung der Landwirtschaft
6. Abschaffung der Schuldengrenze
7. Referendum über ein Verbleiben in der Eurozone
In Erwartung Ihrer Antwort sende ich Ihnen herzliche Grüße, Beppe Grillo“


Die Antwort der europäischen Grünen …

„Lieber Herr Grillo,
Sie haben heute in Ihrem Blog eine an mich gerichtete Botschaft gepostet, in meiner Funktion als Generalsekretärin der Gruppe Grünen/ALE im Europäischen Parlament, in der Sie um ein Treffen mit unserer Gruppe bitten. Nach unseren Informationen steht die Bildung eines Bündnisses zwischen der 5-Sterne-Bewegung und Nigel Farage kurz vor dem Abschluss. Genau aus diesem Grund haben wir Zweifel, ob Ihr Gesprächsangebot auf einem realen Interesse an Dialog beruht, oder ob es nicht einfach über eine bereits getroffene Entscheidung hinwegtäuschen soll.
Wie Sie wissen, haben die Prioritäten und die politische Agenda unserer Gruppe mit dem politischen Programm der UKIP nichts gemein. Unsere Gruppe wird sich mit Ihnen nicht treffen können, solange über Ihre Beziehungen zur Farage-Gruppe keine Klarheit besteht.
Herzliche Grüße
Vula Tsesi
Generalsekretärin Gruppe Grüne/ALE im Europäischen Parlament“

Künftige Bündnispartner (aus der Zeitschrift Micromega)

Künftige Bündnispartner (aus der Zeitschrift Micromega)

Also alles klar? Mitnichten. Denn die grüne Generalsekretärin begründet ihre negative Antwort nur mit dem sich abzeichnenden Bündnis Grillos mit Farage, mit dem die Grünen nichts am Hut hätten. Doch zunächst müsste die Frage beantwortet werden: Was haben die europäischen Grünen mit Grillo am Hut? Sehen sie politische Übereinstimmungen? Zwar spricht Grillos Absicht, mit der rechtspopulistischen UKIP zusammenzugehen, Bände. Wäre es nun aber aus irgendwelchen Gründen gescheitert: Hätten die Grünen dann eine Zusammenarbeit mit Grillo in Erwägung gezogen? Das ist die Kernfrage, mit oder ohne Farage. Offensichtlich gibt es dazu innerhalb der europäischen Grünen keinen Konsens: während die französischen Grünen eine Öffnung in Richtung Grillo favorisieren, sind die deutschen dagegen.

… ein politisches Armutszeugnis

Auffällig ist, dass Grillo in seinem Brief nur Programmpunkte aufzählt, von denen er wohl meint, sie seien für die Grünen verdaulich. Dass er aller Logik zum Trotz nicht nur die Einführung von Eurobonds fordert, sondern gleichzeitig auch den Austritt Italiens aus der Eurozone, schreibt er nicht. Er schreibt, dass seine „Bewegung“ ein Europa anstrebt, „das auf direkter Demokratie beruht“. Und hofft wohl, dass dies die Grünen überlesen. Denn für Grillo und Casaleggio bedeutet es: Abschaffung der repräsentativen Demokratie (also auch der Parlamente, das europäische eingeschlossen) und der Parteien (Grüne eingeschlossen), Einführung des imperativen Mandats und der Netokratie, mit Grillo/Casaleggio als oberste „Siegelbewahrer“. Kein Wort zu Themen wie Einwanderung und Flüchtlinge, bei denen die Grünen bekanntlich liberalere Regelungen fordern. Anders als Grillo, der gerne fremdenfeindliche Ressentiments bedient. Aber darüber redet er wohl lieber mit seinem Freund Farage, in dessen Parteiprogramm eine restriktivere Einwanderungspolitik und weniger Rechte für Migranten festgeschrieben sind.
Obwohl Grillo diese strittigen Punkte bewusst ausspart, sind sie auch den Grünen bekannt. Ebenso bekannt ist Grillos Umgang mit Kritikern in den eigenen Reihen: erst werden sie als „Verräter“ an den Pranger gestellt, dann rausgeschmissen (von wegen „freie Assoziation von Bürgern“). Oder die Hetzkampagnen gegen kritische Journalisten, deren „Fahndungsfotos“ in seinem Blog erscheinen. Bekannt müsste auch Casalaggios Gefasel über den kommenden Dritten Weltkrieg und die anschließende Ausrufung der „Gaia-Netzherrschaft“ sein.
Natürlich ist mir klar, dass man in einem Antwortbrief auf ein Gesprächsangebot auf all das nicht eingehen kann. Die Feststellung hätte gereicht, dass es zwischen Grünen und 5SB eine Reihe von Fragen gibt, in denen man weit voneinander entfernt ist (es hätte nicht geschadet, eine oder zwei dieser Fragen zumindest zu erwähnen), was einer Zusammenarbeit im EU-Parlament entgegensteht.
Dass die grüne Generalsekretärin sich dazu nicht in der Lage sah und sich stattdessen nur mit dem Hinweis auf Farage aus der Affäre zog, finde ich falsch. Das ist opportunistisches Herumlavieren – ein Armutszeugnis, die ich von grüner Seite nicht erwartet hätte. Ich hoffe, es bleibt nicht dabei. Ansonsten müsste ich meine Meinung über die Grünen revidieren.

Letzte Meldung:

Gestern, am 12. 6., durften die „zertifizierten Mitglieder“ der 5SB über ihren Bündnisfavoriten im EU-Parlament online abstimmen. Zur Auswahl wurden nur EFD (Farage), ECR (Tories) und „Fraktionslose“ gestellt. Das Ergebnis:
Von ca. 100.000 „Berechtigten“ beteiligten sich nur knapp 30 % an der Abstimmung. Von diesen sprachen sich 78 % für Farage aus. Viele Blogkommentare kritisierten die Befragung als „Farce“ – wegen der eingeschränkten Optionen, und weil der Aufruf zur Abstimmung mit dem PS endete: „Sollte die meist gewählte Option nicht praktikabel sein, wird die zweitplatzierte greifen“. Klar, wer über die „Praktikabilität“ im Bedarfsfall entschieden hätte. Nun feiert Grillo mit Farage die „überwältigende Mehrheit“, die ihr Bündnis abgesegnet habe. Das Ganze zeigt einmal mehr Grillos Verständnis von Demokratie. Und es beseitigt jeglichen Zweifel, wo sich Grillo politisch positioniert: am rechten Rand. Weiter rechts sind nur noch Front National und Lega.

2 Kommentare

  • manella schlitter

    vielleicht waere es endlich an der zeit, rechts-links-schemata aufzugeben und sich vorurteilslos nach der machbarkeit der dinge von unzufriedenen zuzuwenden und sachtehemen, wie buerger der unterschiedlichen europaeischen laender europa sehen, warum sie mehr oder weniger, teils gar nicht, unzufrieden mit europa sind und was zu korrigieren waere, wenn nicht.
    grillo ist nicht die bewegung cinque stelle, ist und bleibt ein ins alter gekommener schreihals, dem auch die stimme versagen wird.

  • Hartwig Heine

    Liebe Manella Schlitter, das Links-Rechts-Schema beruht nicht auf Vorurteilen, sondern bezeichnet reale Unterschiede, auch wenn manche Inhalte mit der Zeit verändert haben. Ein „Linker“ schaut z. B. mehr auf soziale Gerechtigkeit, ein „Rechter“ auf individuelle Freiheit. Ein neues Thema ist das Verhältnis zur globalen Migration: Ein „Linker“ ist eher für Öffnung, ein „Rechter“ für nationale Abschottung. Was sich gewandelt hat, ist das Verhältnis zum Rechtsstaat und zur Verfassung: Früher hielten es Rechtskonservative hoch, heute tun es eher „Linke“. Diese Unterschiede sind real, aber sie beruhen nicht auf „Vorurteilen“, sondern auf unterschiedlichen Wertvorstellungen. Eine Beobachtung halte ich allerdings für richtig: Wer leugnet, dass es hier Unterschiede gibt, ist meist ein „Rechter“. Eine Daumenregel, die aber oft zutrifft: von Kaiser Wilhelm II (der zu Beginn des Ersten Weltkriegs nicht mehr „Rechte“ und „Linke“ kannte, sondern nur noch „Deutsche“) bis Grillo.
    In einem Punkt stimme ich Ihnen zu: Ich glaube nicht, dass der „Linkere“ auch der bessere Politiker, geschweige denn der „bessere Mensch“ sei. Und wer ist schon „linker“? Es gab einmal Zeiten, da waren die „Linkeren“ für die bewaffnete Weltrevolution, und zwar hoppla. Sie haben damit eher Unheil angerichtet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Ich akzeptiere die Datenschutzbedingungen.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.