Die Kirche bricht ihr Schweigen

Endlich! Endlich rafft sich die Katholische Kirche zu einem (relativ) klaren Wort gegen den Sumpf von Korruption, Prostitution und Rechtlosigkeit auf, den der Berlusconismus darstellt. B. hat es wohl zu toll getrieben.

Ich schicke voraus: Meine Freude ist nicht ungeteilt. Denn als eingefleischter Laizist neige ich eigentlich nicht dazu, die Kirche zur Einmischung in politische Angelegenheiten aufzufordern, zumal ich gegenüber dem Vatikan als moralischer Instanz auch Zweifel hege. Aber eines ist klar: Man kann der Katholischen Kirche nicht einerseits das Recht auf Kritik absprechen und ihr andererseits ihr allzu langes Schweigen gegenüber B. vorwerfen.

Das Outing der Kirche in Sachen Berlusconi war eine konzertierte Aktion. Es begann mit dem Telegramm, das Papst Benedikt vergangenen Donnerstag, als er im Flugzeug nach Deutschland saß, an Staatspräsident Napolitano schickte. Wenn der Papst auf Reisen ist, pflegt er solche himmlischen Botschaften an die Oberhäupter der von ihm überflogenen Länder zu schicken. In diesem Fall begnügte er sich nicht mit den üblichen Segens- und Gesundheitswünschen, sondern fügte als Sonderwunsch für Italien den etwas rätselhaften Halbsatz hinzu, es möge sich „immer intensiver ethisch erneuern, zum Wohl des geliebten Landes“. Als sein Sprecher in der folgenden Pressekonferenz gefragt wurde, ob darin etwa ein Bezug auf B. stecke, antwortete dieser vielsagend:

„Ich denke…, dass es in der gegenwärtigen Lage Italiens eine lange Liste von Problemen gibt, die auch etwas mit Ethik zu tun haben: persönliche Verhaltensweisen, wirtschaftliche Probleme, gesellschaftliche Beziehungen“.

Vier Tage später, am 26. September, kam eine weitere Klärung. Da tagte der Ständige Rat der italienischen Bischofskonferenz, und in seinem Einleitungsreferat nahm ihr Präsident, Kardinal Bagnasco, kein Blatt vor den Mund. Seine Rede war zwar eingebettet in die übliche Philippika gegen „Relativismus“ und „Individualismus“ und garniert mit Ermahnungen an die gesamte politische Klasse, die sich auch als allgemeine Sittenkritik lesen lassen. Aber ohne Namen zu nennen, richtete sich der Hauptstoß doch gegen IHN, Berlusconi, als Bagnasco „herabwürdigende und zügellose Verhaltensweisen“ anprangerte, die „mit der Würde der Person, der Institutionen und des öffentlichen Lebens schwer vereinbar“ und überdies „trostlos und leer sind“, oder die „Kultur eines leichten und genusssüchtigen Seins“, welche heranwachsende Generationen „vergiften“ könnte. Dass „die moralische Frage“ in Politik und Gesellschaft „keineswegs nur eine Erfindung der Medien ist“, war eine direkte Antwort auf B.– genau das hatte dieser behauptet. Bagnascos Kritik an der Korruption, an der Nutzung öffentlicher Ämter zu persönlichem Vorteil, an geheimen „Geschäftszirkeln“ ist nach Lage der Dinge ein direkter Angriff auf den Berlusconismus. Er fordert zwar nicht direkt B.s Rücktritt – damit würde der Vorsitzende der Bischofskonferenz seine Kompetenz überschreiten -, aber seine Bemerkung, dass die „verpestete Luft“ endlich „gereinigt werden“ müsse und sich in der gegenwärtigen Situation jedermann „verantwortlich und nobel verhalten“ solle, ließe sich durchaus als entsprechende Aufforderung verstehen.

Wie endgültig der Bruch mit B. ist, bleibt dahingestellt – immerhin hat die Katholische Kirche B. und sein Regime 17 Jahre lang mehr oder weniger gestützt. Aber sie beginnt sich von ihm abzusetzen und Gedanken über die Zeit nach B. zu machen. Im Moment fehlt ihr dazu noch die einheitliche Linie. Der Vatikan setzt auf die Neugründung einer katholischen Zentrumspartei, eine Neuauflage der Democrazia Cristiana, die zum Zünglein an der Waage zwischen Rechts und Links werden könnte. Bagnasco vertrat in seiner Rede eine andere Position: Man solle an der Herausbildung eines vernetzten „kulturell-sozialen Subjekts“ arbeiten, das der Katholischen Kirche verpflichtet ist und mit den politischen Kräften Italiens in einen Dialog eintreten würde. Mal sehen, wer sich hier durchsetzt.

Das Verdikt der Kirche und ihre Diskussion über die Frage des „Danach“ sind deutliche Anzeichen dafür, dass B.s Macht weiter bröckelt. Seine treuesten Anhänger wollen es noch nicht wahrhaben. Die einen trösten sich damit, dass Bagnasco B. nicht beim Namen genannt und ihn auch nicht persönlich zum Rücktritt aufgefordert habe. Andere heben hervor, er habe ja nicht nur B., sondern die gesamte politische Klasse zu mehr Ethik aufgefordert. Giuliano Ferrara, B.s propagandistischer Denksklave, triumphiert in „Radio London“, B. sei immerhin „nicht exkommuniziert“ worden. Das sind schwache Reaktionen.

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