Mattarella ist neuer Staatspräsident

Ein treuer Leser unseres Blogs ist Freund W. Er ließ schon öfters verlauten, dass ihn die Lektüre langsam depressiv mache. Ob wir nicht auch mal etwas aufbauend Positives aus Italien zu berichten hätten? Heute endlich befinde ich mich in der glücklichen Lage, seinem Wunsch entsprechen zu können: Gerade hat die „große Versammlung“ der Abgeordneten beider Kammern (plus einige zusätzliche Regionalvertreter) im vierten Wahlgang den Verfassungsrichter Sergio Mattarella zum zwölften Staatspräsidenten Italiens gewählt. Mit 665 Stimmen, d. h. fast mit Zweidrittelmehrheit, obwohl die absolute Mehrheit( 505 Stimmen) gereicht hätte. Und das ist eine gute Nachricht!

Auf dem Weg ins Amt

Auf dem Weg ins Amt

Der Linkskatholik Mattarella, über dessen politischen Werdegang wir berichteten, bringt dafür wichtige Voraussetzungen mit: politische und moralische Integrität, Geradlinigkeit, Rückgrat, Verständnis und Respekt für die Verfassung und die demokratischen Institutionen. Und dazu eine gewisse charakterliche Sperrigkeit und Zurückhaltung gegenüber medialen Auftritten, die ich – im Vergleich zu den sonstigen Akteuren auf Italiens politischer Bühne, allen voran zu Berlusconi, aber auch Renzi – ebenfalls zu seinen Vorzügen zählen möchte.

Breite Mehrheit für Mattarella

Diesmal hat sich die PD geschlossen hinter ihn gestellt (anders als bei der gescheiterten Prodi-Wahl von 2013). Außerdem stimmten die SEL, Montis Zentrum, Casinis UDC und – schließlich – auch Alfanos Nuovo Centrodestra (NCD) für ihn. Denn zunächst hatte Alfano, der in der Renzi-Regierung Innenminister ist, wieder die Nähe zu Berlusconi gesucht, welcher die Parole ausgegeben hatte, aus Protest gegen Renzis „Alleingang“ bei der Kandidatenauswahl nur leere Stimmzettel abzugeben. Doch am Vorabend des entscheidenden vierten Wahlganges kam – nach einem Appell Renzis und einem Treffen mit Alfano – die Wende. Er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, soll ihm Renzi gesagt haben, wie ein Innenminister jemandem wie Mattarella seine Stimme verweigern könne. Was manche als „indirekte Drohung“ deuteten, Alfano sei das letzte Mal Minister gewesen, sollte es bei der Stimmenthaltung bleiben. Die Botschaft kam an, zumal auch andere NCD-Minister und -Abgeordnete bereits ihre Sorge signalisiert hatten, ein Nein könne die Regierungskoalition (und ihre Posten) gefährden.

Die „Grillini“ blieben erneut aus dem Spiel. Gefangene ihrer Systemverweigerung und ihrer Vergötzung von pseudodemokratischen Netz-Abstimmungen präsentierten sie ihren eigenen Verfassungsrichter, an dem sie bis zum Schluss festhielten. Während das langsam größer werdende Häuflein der Ausgetretenen Rodotà wählte. Für die Entscheidung war weder das eine noch das andere relevant.

„Bingo“ für Renzi, Aus für Berlusconi

Berlusconi, der sich bis zum letzten Moment Bedenkzeit nahm, blieb schließlich bei der Stimmenthaltung. Das Wahlergebnis deutet daraufhin, dass dem nicht alle aus seiner Partei folgten. Denn Forza Italia hatte in der Wahlversammlung 143 Stimmen, aber nur 105 enthielten sich. Eine Niederlage, die zu einer Verschärfung der parteiinternen Auseinandersetzungen führen dürfte. Raffaele Fitto, der Anführer der Berlusconi-Kritiker, forderte schon den sofortigen Wechsel der gesamten Führungsriege.

Renzi ist diesmal ein Meisterstück gelungen. Er hat es geschafft, seine eigene Partei – über alle verfeindeten Gruppierungen hinweg – wieder zusammenzuführen, Berlusconi, mit dem er für die institutionellen Reformen einen Kooperationspakt geschlossen hatte, in die Schranken zu weisen und die zwischen Berlusconi und Alfano getroffene Vereinbarung zur Stimmenthaltung aus den Angeln zu heben. Und damit dem von ihm vorgeschlagenen Kandidaten eine breite Mehrheit von Links bis Mitterechts zu verschaffen. Um es mit dem Journalisten Gad Lerner zu sagen: „Diesmal hat Renzi Bingo gemacht!“.

Womit er viele – auch uns – überrascht hat. Wer dachte, er werde dem „Nazareno-Pakt“ mit Berlusconi sogar die Einheit der PD opfern, hat sich getäuscht. Genau auf diese Einheit hat er diesmal gebaut und damit Berlusconi herausgefordert. Indem er sich dessen Drohung, die noch anstehenden Reformen nicht mehr mitzutragen, nicht beugte.

Renzis Taktik scheint darin zu bestehen, seinen parteiinternen Kritikern hier und Berlusconi dort abwechselnd mal entgegenzukommen, sie mal an den Rand zu drängen. Damit es keine Seite schafft, ihm das Heft aus der Hand zu nehmen. Eine riskante Taktik, die aber diesmal aufging.

Der unbekannte Faktor

Mattarella ist gewählt, aber merkwürdigerweise kann kaum jemand voraussagen, was für eine Art Präsident er sein wird. Garant der Verfassung, Mann von Prinzipien – schön und gut. Aber wie wird er, dessen Bruder die Mafia ermordete, politisch agieren? Eher zurückhaltend und still, wie es auf den ersten Blick seinem Naturell zu entsprechen scheint? Diejenigen, die ihn kennen – und das sind nur wenige –, zeichnen ein etwas anderes Bild: Hinter dem wortkargen, fast introvertierten Menschen stecke ein „eiserner Charakter“.

Es könnte sein, dass Italien und auch Renzi mit dem neuen Staatspräsidenten noch ein paar Überraschungen erleben. Renzis „Kandidat erster Wahl“ war Mattarella nicht. Er hätte – das kann man unterstellen – lieber seinen Finanzminister Padoan oder seinen Vertrauten Delrio im Quirinal gesehen. Doch Renzi war klug genug, um zu erkennen, dass Mattarella für ihn dennoch der „ideale Kandidat“ war. Auch ohne ihn zu kennen. Auf Fragen von Journalisten antwortete Mattarella trocken, er hätte bisher nie die Ehre gehabt, Renzis Bekanntschaft zu machen. Das wird sich nun ändern und könnte beiden Seiten noch ein paar Überraschungen bringen.

Das wird man sehen. Fürs erste schließen wir uns heute den Worten des twitterfreudigen italienischen Regierungschefs an und wünschen: „Buon lavoro, Presidente!“.

PS an unseren Freund W.: Es ist noch nicht einmal drei Jahre her, dass wir noch eine andere „Sorge um Italien“ hatten. Da zeigte Berlusconi selbst ein reges Interesse am Amt des italienischen Staatspräsidenten – unter anderem, weil er sich davon immerwährende Immunität erhoffte. Dass heute davon niemand mehr redet, ist ein weiterer Grund, um das Glas zu erheben.

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