Berlusconis Erben

„Mit ihm endet eine Ära“ – mit diesem Spruch wird das Dahinscheiden von Männern kommentiert, die man für einzigartig hält. Was erst recht für Berlusconi gelten müsste, der bekanntlich sein Medienimperium und seine Partei um eine einzige Person herum aufbaute, nämlich die eigene. Aber obwohl er nun in seiner Heimatstadt Mailand zu Grabe getragen wurde, wirkt sein politisches Erbe weiter, was schon jede Hoffnung Lügen straft, dass nun für Italien so etwas wie ein „Neuanfang“ möglich sei. Man könnte einen Schritt weiter gehen: Er starb in dem Moment, in dem die Wirkung seiner Taten so sehr zum Selbstläufer geworden ist, dass seine Präsenz als vorantreibende Kraft nicht mehr vonnöten ist. Denn was seine Person betrifft, hatten ihn seine Erben – auch seine politischen – schon vor seinem Tod aufs Altenteil geschoben, wo er mit seinen Extravaganzen – z. B. im Hinblick auf Putin, mit dem er sich weiterhin „süße Briefe“ schrieb – nicht mehr so viel Schaden anrichten konnte.

Wenige Tage nach Berlusconis Tod wurde bekannt, dass sich Giorgia Meloni, die Regierungschefin, und Berlusconis Tochter Marina, die als Sprecherin seiner Familie auftrat, zu einem „Pakt zu gegenseitigem Nutzen“ verabredet hätten, in dem es sowohl um den Medienkonzern Fininvest als auch um die Zukunft der Regierung Meloni ging. Dass allein schon der Abschluss eines solchen Paktes die Fortsetzung der „Anomalie“ ist, welche der Eintritt des Medienzars Berlusconi in die italienische Politik (Anfang 1994) für die italienische Demokratie bedeutete, dürfte den beiden Frauen schon gar nicht mehr bewusst gewesen zu sein. Sie vereinbarten ihn, fern aller parlamentarischen Kontrolle, obwohl sein Inhalt sowohl für den Fortbestand des Unternehmens, der italienischen Regierung als auch der italienischen Demokratie höchst relevant ist.

Familiensorgen

Denn die Familie hat Sorgen, auch wenn sie sich, wie man so sagt, „auf hohem Niveau“ bewegen – Berlusconi war auch zum Zeitpunkt seines Todes der drittreichste Mann Italiens. Aber der Börsenwert seines Medienkonzerns Fininvest ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken, fast im Gleichschritt damit, dass der Wähler-Anteil seiner Partei „Forza Italia“ (FI) auf ca. 8 Prozent schrumpfte. Aus dem gleichen Grund, aus dem Berlusconi vor knapp 30 Jahren in die Politik ging – sein Medien-Imperium befand sich auch damals in Schwierigkeiten -, stellt der Fortbestand seiner Partei für die „Familie“ immer noch eine Garantie für die Wahrung ihrer Interessen dar, die ja weit in den politischen Raum hineinreichen: Beibehaltung öffentlicher Konzessionen, Schutz vor der Übernahme durch ausländische Interessenten (wie zur Zeit wieder durch den französischen Medienkonzern Vivendi, dessen Chef Bolloré schon 2016 eine „feindliche Übernahme“ versucht hatte).

Und was wird aus der Partei?

Auf der anderen Seite geht es um Berlusconis politisches Erbe: seine Partei. Zunächst schien ihr Schicksal nach Berlusconis Tod besiegelt zu sein, denn ihre Achillesferse war es, der Wahlverein für einen „Charismatiker“ zu sein, der sie wie eine Abteilung seines Unternehmens führte, weshalb sie mit seinem Ableben führungs- und orientierungslos geworden war. Eigentlich, so hörte man, hatten ihre Abgeordneten schon ihre Koffer gepackt, um sich entweder Melonis FdI oder Salvinis Lega anzuschließen, was die Mehrheitsverhältnisse in beiden Kammern kaum verändert hätte. Abgesehen von ein paar Wenigen, die sich vielleicht sogar dem Außenseiter Matteo Renzi angeschlossen hätten, der ja trotz aller Bemühungen seinerseits immer noch nicht zur Rechten „gehört“.

An dieser Stelle scheint jedoch den Strategen um Meloni der Zweifel gekommen zu sein, ob es eigentlich klug sei, den scheinbar „natürlichen“ Auflösungsprozess der FI zu fördern, statt die Partei noch eine Weile am Leben zu erhalten. Es geht ja nicht nur um ihre Abgeordneten, sondern auch um ihre bisherige Wählerschaft. Der nächste wichtige Termin sind hier die Europawahlen 2024, welche die italienische Rechte hoch gewinnen möchte, und da ist die FI immer noch die einzige Partei, die damit prunken kann, zur großmächtigen „Familie der EVP“ zu gehören. Ihr Verschwinden könnte gerade bei dieser Wahl eher zur Schwächung als zur Stärkung der Rechten führen.

Und schließlich gibt es noch einen weiteren Grund, warum Meloni dem Verschwinden des „dritten Beins“ ihrer Koalition mit gemischten Gefühlen entgegensehen dürfte: Ihr Mit- und Gegenspieler wäre hier dann nur noch Salvini, dessen egozentrische Sprunghaftigkeit das Regieren auch für eine rechte Ministerpräsidentin zum Alptraum machen könnte, trotz aller geheuchelten Freundschaft.

Das Übereinkommen

Den „Pakt“, den Mitte Juni Giorgia Meloni als italienische Regierungschefin und Marina Berlusconi als Vertreterin der „Familie“ schlossen, besteht laut Mitteilung durch die politische Führungsspitze der FI am 16. Juni in folgender Vereinbarung:

  • Die Berlusconi-Familie wird die Partei „Forza Italia“ (die schon mit knapp 100 Mio. € bei der Familie verschuldet ist) weiterhin finanziell unterstützen, zum Beispiel bei den bevorstehenden Wahlkämpfen. Sie ist damit einverstanden, dass Antonio Tajani, der gegenwärtige Außenminister, der schon in den letzten Monaten die Partei stellvertretend für Berlusconi führte, die Funktion des Parteipräsidenten bis zum nächsten offiziellen Parteikongress (der erst in gut einem Jahr zu erwarten ist) ausübt. Und sie ist ebenfalls damit einverstanden, dass die Partei „für immer“ (Tajani) den Namen ihres Gründers Berlusconi in ihr Parteisymbol aufnimmt.
  • Im Gegenzug hatte Meloni schon im Vorfeld des Treffens mit Marina Berlusconi die Bitte des französischen Vivendi-Chefs Bolloré um einen Termin auf die einfachst mögliche Art abgeschlagen: Sie hatte sie nicht beantwortet. Und damit der Familie signalisiert, dass sich die Regierung auch in Zukunft mit Hilfe ihrer Golden Power (d.h. ihres seit 2012 bestehenden Rechts, Finanzoperationen zu blockieren, die dem „strategischen Interesse“ des Landes widersprechen) jedem französischen Übernahme-Versuch der Fininvest widersetzen werde. Weiterhin gab Meloni eine Art Garantieerklärung zur Bestandssicherung von Forza Italia ab, d. h. dafür, dass jetzt zumindest von ihrer Partei aus keine Jagd „auf Überläufer“ aus den FI-Fraktionen beginnen werde.

Bei alldem darf man nicht die politische Substanz dieses Paktes vergessen: Als Berlusconi, der Medienzar, 1994 seine politische Karriere begann, kontaminierte sein institutioneller Interessenkonflikt die italienische Demokratie, aber schien noch an seine Person gebunden zu sein. Nun, 30 Jahre später, wird er dynastisch verfestigt: Die verbleibende „Familie“ erbt die Verquickung von medialer mit politischer Macht, und hält dafür eine „Partei“ am Leben. Und die gesamte Rechte stellt sich in ihren Dienst.

Meloni und die EU: ihr neuer „Plan B“

Es spricht für das gebrochene Demokratiebewusstsein des Generalsekretärs der EVP, Manfred Weber, dass er mit Giorgia Meloni und ihrer Partei ein strategisches Bündnis eingehen will, in der Hoffnung, nach der Europawahl die bisherigen Kräfteverhältnisse im Europaparlament und in der Kommission auf den Kopf stellen zu können. Wenn es ihm gelingt, diese Linie auch in der EVP durchzusetzen – hier gibt es noch Widerstand -, hätte er die Orbanisierung, sprich demokratische Entkernung Europas, um einen wichtigen Schritt vorangebracht. Immerhin verfügt die EVP im Europaparlament immer noch über die meisten Abgeordneten.

Hier gibt es allerdings eine Neuigkeit, über die kürzlich Claudio Tito, der EU-Experte der „Repubblica“, aus Brüssel berichtete: Webers Plan setzt als selbstverständlich voraus, damit auch Meloni, deren Wahlsieg er auch bei den Europawahlen erwartet, für eine neue Koalition gegen die Wiederwahl von der Leyens und gegen die sie mittragende Linke (Sozialdemokraten) gewonnen zu haben. Hier aber scheint Meloni weiter gedacht zu haben: Selbst wenn die von ihr geführte Gruppe der Konservativen verstärkt aus der Europawahl hervorginge (sie hat gegenwärtig gut 60 Abgeordnete) und die EVP ihre gegenwärtige Stärke behielte (was kaum jemand erwartet, sie hat jetzt 180 Abgeordnete), läge eine Mehrheit von gut 350 Abgeordneten, die für die Wahl eines neuen Kommissionspräsidenten (bzw. einer neuen Kommissionspräsidentin) nötig sind, weiterhin in utopischer Ferne.

Hier zeige sich Meloni, so berichtet Tito aus Brüssel, als Pragmatikerin: Wenn sich im Europaparlament (nach dem ersten Wahlgang) die Aussichtslosigkeit einer Gegenkandidatur zu von der Leyen erwiesen habe, müsse es eben einen „Plan B“ geben. um selbst im Spiel zu bleiben. Und der könne nur darin bestehen, zur „Ursula-Mehrheit“ zu stoßen, auch wenn dieser weiterhin die Sozialdemokraten angehören würden – und auch wenn sie deswegen die Gruppe der Konservativen spalten müsste, um an die Futternäpfe heranzukommen, die dann zu verteilen sind.

Meloni ist eine wendige Opportunistin der Macht: In Rom stellt sie das Arrangement mit der Berlusconi-Familie auf Dauer und macht es zum Dauerschaden der italienischen Demokratie. In Brüssel paktiert sie auch mit politischen Gegnern, um an die europäischen Futternäpfe heranzukommen. Nur in einem Punkt zeigt sie Verlässlichkeit: In ihrem Partei-Logo brennt weiterhin die Flamme Mussolinis.

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