Die Rückkehr des „Braghettone“

Rom, 1565

Rom, 1565

Der Maler Daniele Ricciardelli aus Volterra, besser bekannt als „Braghettone“ („Unterhosenanzieher“), verdankt seinen Ruhm allein dem Umstand, dass er in der Sixtinischen Kapelle die nackten Genitalien und Pobacken der Figuren in Michelangelos „Letztem Gericht“ mit Schamtüchern übermalte. Das war im Jahr 1565, nachdem das Konzil von Trento verkündet hatte, dass Nacktheit auf Kunstdenkmälern sündig ist.

Verhüllte Schönheiten

Anno Domini 2016 erleben wir in Rom die Rückkehr des „Braghettone“. Anlässlich des Besuchs des iranischen Präsidenten Rouhani wurden auf dem Kapitol (wo die gemeinsame Pressekonferenz mit Renzi stattfand) die antiken Statuen, die viel nackte Haut zeigen, durch eine Holzverkleidung komplett verdeckt. Um nicht das sensible Gemüt des hohen Staatsgastes zu verletzen, der bei der Ansicht der einen oder anderen barbusigen Venus oder eines nackten Jünglings (wer weiß?) einen Rappel hätte bekommen können. Mit vielleicht katastrophalen Folgen für die Anbahnung guter Geschäfte, der Hauptzweck des Besuchs.

Nicht nur in Italien gab es heftige Reaktionen auf die „Braghettone-Aktion“. Sie reichten von Spott und Häme (vor allem im Ausland) bis zu dramatischen Appellen, den Nationalstolz und die abendländische Kultur keiner solchen Demütigung auszusetzen (v. allem von der Opposition). Zwei Kostproben: „Sie haben die Kunstwerke im Kapitolsmuseum und damit auch Italien mit Schande bedeckt, diese inkompetenten, heuchlerischen Barbaren!“ (Beppe Grillo). „Ein beunruhigender Beweis, dass sich Italien dem Diktat des islamischen Fundamentalismus unterwirft!“ (Roberto Calderoli, Lega Nord).

Keiner will’s gewesen sein

Rom, 2016

Rom, 2016

Wie kam es zu dieser – ich will mich höflich ausdrücken – ungewöhnlichen Initiative? Kaum vorstellbar, dass sie lediglich auf dem Mist der römischen Denkmalschutzbehörde gewachsen ist, wie es zunächst Regierungsvertreter suggerierten. Der zuständige Kulturminister Franceschini (PD) hatte nämlich erklärt, weder der Ministerpräsident noch er hätten von „dieser unverständlichen Entscheidung“ Kenntnis gehabt. Renzi selbst äußerte sich nicht öffentlich, aber es hieß, er sei „über diesen Übereifer verärgert“.

Die ins Visier genommene Denkmalschutzbehörde ließ das nicht auf sich sitzen und erklärte den Journalisten lapidar: „Die Entscheidung ist nicht von uns, fragt doch Palazzo Chigi“ (Sitz des Ministerpräsidenten, MH). Obwohl noch die offizielle Bestätigung fehlt, ist inzwischen ziemlich sicher, dass es Renzis Protokollchefin Ilva Sapora war, die als moderne „Braghettona“ auf die genial-genitale Verhüllungsidee kam. Wohl weil sie in vorauseilendem Gehorsam meinte, im Sinne ihres Chefs geschäftsfördernd zu handeln.

Wer diese Entscheidung auch immer getroffen hat: Sie zeugt weder von Selbstbewusstsein und schon gar nicht von interkultureller Kompetenz. Wenn Renzi oder ein anderer europäischer Regierungschef nach Teheran fliegt, werden die Mullahs nicht im Traum daran denken, „aus Respekt“ vor den europäischen Sitten dem Gast ihre eigenen weiblichen Delegationsmitglieder kopftuchlos zu präsentieren. Und wenn für ihn die verhüllten Damen befremdlich sind: sein Problem. Aber wenn der iranische Präsident Rom besucht, werden Meisterwerke wie die wunderschöne Venere Capitolina hinter Holzpanelen versteckt, als ob man sich für sie schämen müsste. Das ist nicht respektvoll, sondern erbärmlich. Und lächerlich dazu. Rouhani kommt nach Europa, weil er mit den Europäern Geschäfte machen möchte. Dann muss er damit leben, dass hier die Frauen keinen Tschador und Kunstdenkmäler keine Unterhosen oder Holzverschläge tragen. Ist ihm das unangenehm, soll er woanders hingucken.

„Ein besonders gastfreundliches Volk“

Auch in Renzis Partei PD gibt es Irritationen. Und manche zerbrechen sich – im Hinblick auf künftige Fälle – den Kopf, wie man das „Problem“ eleganter hätte lösen können. Zum Beispiel dadurch, dass man sich mit der iranischen Delegation an einem Ort trifft, wo es keine nackte Statuen gibt. In Rom ist das allerdings ein schwieriges Unterfangen, zumindest dann, wenn der Ort repräsentativ sein soll. Irgendwelche schamlosen Gemälde, Statuen oder Reliefs stehen eigentlich überall. Und eine Pressekonferenz mit Rouhani in einer Pizzeria wäre diplomatisch gesehen auch nicht der Hit gewesen.

Jedenfalls ist Renzi jetzt sauer und hat seinen Kanzleichef Aquilanti beauftragt, eine „zügige interne Untersuchung“ durchzuführen, um die Verantwortlichkeiten für das Kunstdesaster herauszufinden. Der Stuhl der Protokollchefin wackelt. Dass sie auf eigene Faust gehandelt haben soll, ohne Renzi selbst oder wenigstens ihren unmittelbaren Vorgesetzten – besagten Aquilanti – zu informieren, wäre allerdings ungewöhnlich.

Und Rouhani? Von Journalisten befragt lächelte er milde und meinte „Eine Mediengeschichte … Man weiß ja, dass die Italiener ein besonders gastfreundliches Volk sind, sie möchten halt, dass sich ihre Gäste wohl fühlen, dafür bedanke ich mich“. Vielleicht dachte er sich dabei: „Die spinnen, die Römer!“.

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