Säuberungen – digital ratifiziert

„Sie hat Erklärungen abgegeben, die dem Image der 5-Sterne-Bewegung schaden. Der Ausschluss ist zu ratifizieren“. Mit diesem Post im Bürokratenstil, der an die gute alte SED erinnert, hat Grillo die Web-Umfrage zum Rausschmiss der Senatorin Adele Gambaro aus der Bewegung M5S begleitet. Von ca. 43.000 Abstimmungsberechtigten, die in Grillos Blog registriert sind, beteiligten sich nur ca. 19.000. Eine Mehrheit von 65,8 % (13.000) stimmte für den Ausschluss.

Womit hat aber Gambaro der Bewegung Schaden zugefügt? Worin besteht ihre „Schuld“? Sie hat nach dem desaströsem Wahlergebnis der „Grillini“ bei den Kommunalwahlen in einem Fernsehinterview erklärt: „Grillos krude Ausdrucksweise hat uns geschadet. Das Problem der Bewegung ist er“. Sie hat also nicht die M5S kritisiert (was auch kein Verbrechen wäre), sondern ihren Führer. Eine Trennung, die Grillo und viele seiner Anhänger allerdings nicht kennen.

„Gambaro a giudizio!“

Gambaros Bewertung, der man zustimmen kann oder nicht, ist etwas schlicht. Stoff genug für ein paar interne Debatten vielleicht – aber Grund für eine feierliche Verurteilung mit anschließendem Rausschmiss? Die Art und Weise, wie der „Fall Gambaro“ von Grillo und der M5S „verhandelt“ wurde, könnte auch als Groteske abgetan werden, aber das wäre ein Fehler. Denn sie sagt viel über den totalitären Kern der von Grillo und Casaleggio angestrebten „digitalen Webherrschaft“ aus. Weit entfernt davon, mehr Partizipation, Meinungsfreiheit und gelebte Demokratie zu garantieren, versuchen beide Führer, mit dem Instrument des Webs die eigene Macht zu legitimieren und jeglichen Dissens im Keim zu ersticken.

Adele Gambaro geht (wird gegangen)

Adele Gambaro geht (wird gegangen)

„Gambaro a giudizio!“ (Gambaro vor Gericht) hieß es in einem Tweet von Grillo. Und tatsächlich: Vito Crimi, der ehemalige Fraktionsvorsitzende im Senat, führte sie wie eine Verbrecherin in den Versammlungen der M5S-Abgeordneten vor, wo er sie aufforderte, sich zu rechtfertigen. Am liebsten wäre es ihm und anderen Fundis gewesen, wenn sie entweder schluchzend um Verzeihung gebeten oder aber selber „die Konsequenzen“ gezogen hätte. Den Gefallen tat ihnen die Senatorin allerdings nicht. Sie forderte für sich und andere das Recht auf freie Meinungsäußerung und erklärte, sie werde die Fraktion nicht freiwillig verlassen.

Talibans und Dissidenten

Die erneute Säuberungsaktion – vor ihr waren schon einige andere „Abweichler“ auf Grillos Befehl hin ausgeschlossen worden – vertieft die innere Zerrissenheit innerhalb der M5S, wie die Abstimmungsergebnisse in den Fraktionen über den Antrag, per Web-Umfrage über den Ausschluss zu entscheiden, zeigen: 79 dafür, 42 dagegen, 30 waren nicht gekommen oder verließen die Versammlung vorzeitig, 9 enthielten sich. Da man davon ausgehen muss, dass die meisten der Abwesenden der Sitzung bewusst ferngeblieben sind, weil ihnen die Abstimmung Bauchschmerzen bereitete, ergibt sich ein Bild der Spaltung. Einige haben bereits die M5S-Fraktion verlassen oder erwägen es zu tun, andere stehen wegen kritischer Äußerungen zum Rausschmiss Gambaros ebenfalls auf Grillos Abschussliste. Auch einstige „prominente“ Unterstützer wie der Journalist Marco Travaglio und der Philosoph und Publizist Paolo Flores d‘ Arcais (Herausgeber der Zeitischrift „MicroMega“) kritisieren Grillos Umgang mit „Abweichlern“ scharf und gehen inzwischen auf Distanz.

Es ist die Rede von „Talibans“ (Grillos Getreuen) und „Dissidenten“. „Adele muss Beppe um Verzeihung bitten, weil sie die Bewegung geschädigt hat“ fordert die Senatorin Blundo. „Von Heiligen Inquisitionen habe ich die Nase voll, ich bin für Meinungsfreiheit“ gibt ein „Dissident“ zu Protokoll. Die „Talibans“ streuen Gerüchte, die PD versuche durch heimliche Verhandlungen, „Dissidenten zu kaufen“. Und ohnehin gehe es denjenigen, die Kritik äußern oder aus der Fraktion austreten wollen, nur ums Geld: sie wollten, anders als beschlossen, die Diäten für sich behalten (was die Beschuldigten von sich weisen und in keinem einzigen Fall belegt ist).

Talibans, Dissidenten, Flehen um Verzeihung, „Heilige Inquisition“, „Schauprozesse“ wegen Majestätsbeleidigung … – irgendwie trostlos, aber auch beunruhigend. Denn was sich jetzt abspielt, deutet auf einen Säuberungsprozess hin, der von Grillo und Casaleggio nicht nur in Kauf genommen, sondern sogar gewollt ist: die Spreu vom Weizen zu trennen, damit am Ende eine Truppe von Ergebenen übrig bleibt, denen jeglicher Anflug von Selbständigkeit und kritischem Geist ausgetrieben wurde. Dafür spricht die demonstrative Gelassenheit, mit der Grillo den gegenwärtigen Turbulenzen begegnet: Wem etwas nicht passt, soll doch gehen. So einfach sei das.

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