Zurück zum Königreich der Zwei Sizilien?

Italien 1494, Grillos Post vom 8.3.

Italien 1494, Grillos Post vom 8.3.

Italien sei nur ein „zusammengewürfelter Haufen von Völkern, Sprachen, Traditionen, die keinerlei Grund mehr haben, zusammen zu bleiben“, postete Grillo vor ein paar Wochen in seinem Blog. Bosnien, wo das Echo des Bürgerkriegs noch nachhallt, sei nicht weit, orakelte er finster. Auch Venezianer, Lombarden, Sizilianer und Sarden könnten bald zur Einsicht kommen, dass sie nicht mehr zusammen bleiben wollen. In einem „Alptraum, wo die Demokratie verschwunden ist, ein neunzigjähriger Herr über das nationale Schicksal entscheidet und ein Geschirrverkäufer Ministerpräsident wird“. Damit Italien funktioniere, sei die Staatsmacht auf „Makroregionen“ zu verteilen, damit „jahrtausendealte Staaten wieder eine Identität gewinnen, wie die Seerepublik Venedig und das Königreich der Zwei Sizilien“. Wahrhaftig leuchtende Vorbilder, kann ich nur sagen. Adelsherrschaft in dem einem und absolute Monarchie in dem anderen Fall. In denen das Volk nichts zu melden hatte. Aber vielleicht sieht Grillo schon seinen Kumpel Casaleggio als venezianischen Dogen (seine graublonden Locken würden sich dabei gut machen) und sich selbst als Nachfolger der Bourbonenkönige (ebenfalls passend, die waren bekanntlich von grobem Naturell). Da sind mir allerdings der Neunzigjährige und sogar der Geschirrverkäufer lieber.

Grillo spielt die separatistische Karte

Alles nur Posse? Keineswegs. Den Blick fest auf die Europawahlen gerichtet, spielt Grillo – neben der antieuropäischen und parteienfeindlichen – nun auch die separatistische Karte aus. Zur Freude der rechtspopulistischen Lega-Nord, die aus dem Separatismus und der Hetze gegen den italienischen Süden (und gegen Zuwanderer) ihr Programm machte. Doch im Unterschied zur Lega zielt Grillo nicht nur auf die Stimmen der Separatisten im Norden, sondern auch auf die im Süden, wo – besonders in Sizilien – die Wut gegen den Nationalstaat und „den Kontinent“ (so nennen viele Sizilianer die italienische Halbinsel) eine lange Tradition hat. Und wo die Menschen die Folgen der Krise besonders hart spüren.

Wut und Misstrauen gegenüber „denen in Rom“, „denen in Brüssel“ und – nicht zu vergessen – „denen in Berlin“, die stark angewachsen sind, wie aktuelle Umfragen bestätigen. Grillo ist nicht daran interessiert, dass daraus demokratische Bewegungen erwachsen, damit aus dem „Europa der Banken“ ein „Europa der Völker“ wird oder im eigenen Land konkrete Reformen die Lage der Bevölkerung verbessern. Weshalb er alle Angebote zur politischen Kooperation grundsätzlich ablehnt. Er ist nicht einmal zu Gesprächen bereit („Mit dir rede ich nicht!“ schrie er neulich Renzi an, obwohl die Mehrheit seiner Anhänger per Webumfrage ihn gerade damit beauftragt hatte). Auch die M5S-Abgeordneten zeigen mit ihrem Auftreten im Parlament, dass sie zu wirksamem politischem Handeln nicht fähig oder gewillt sind (abgesehen von ein paar „Abtrünnigen“, die aber nach und nach aus der Bewegung rausgeschmissen werden).

Das geht zu Lasten derjenigen, die in Italien die Hauptlast der Krise tragen. Deren Probleme ganz bestimmt nicht durch eine Spaltung des Landes gelöst werden. Oder durch das Schielen nach einer Seerepublik Venetien oder einem Königreich der Zwei Sizilien.

Schauplatz Europawahlkampf

Das ist den beiden Gurus der 5-Sternen-Bewegung klar, so versponnen ihre Gedankenwelt auch sein mag. Sie wissen aber, dass sie damit – so realitätsfern und grotesk solche Parolen auch sind – bei enttäuschten Wählern Anklang finden können. Je mehr sich ihre Bewegung in gespenstische Selbstreinigungsprozesse verstrickt und ihre politische Wirkungslosigkeit zeigt, desto mehr versucht sie, die Aufmerksamkeit von Anhängern und potenziellen Wählern auf andere Schauplätze zu lenken. Wenn sich dabei die Botschaften widersprechen, auch egal: Mal will Grillo zur guten alten Lira als Nationalwährung zurück und nennt die 5-Sterne-Bewegung eine „Bewegung von Italienern“ (in einem Post vom Mai letzten Jahres), mal erklärt er den Nationalstaat zur Wurzel allen Übels und ruft zu seiner Spaltung auf. Vielleicht mit venezianischen „Zecchini“ als Währung für Norditalien und bourbonischen Golddukaten für den Süden.

Dieses wirre Gemisch von nationalistischen (mitunter offen fremdenfeindlichen), separatistischen und europafeindlichen Parolen paart sich mit eher „links“ anmutenden Tiraden gegen Finanzkapital, Umweltzerstörung, Korruption und soziale Not. Mal die eine, mal die andere Melodie. Je nachdem, ob eher die „rechte“ oder die „linke“ Wählerschaft angesprochen werden soll.

Bei den Europawahlen wird sich zeigen, ob die europäischen „Wutbürger“ sich dafür entscheiden, zu Hause zu bleiben, oder ob sie Grillos M5S (in Italien), Marine Le Pens Front National (in Frankreich) oder die AfD (in Deutschland) wählen. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Frankreich lassen nichts Gutes ahnen. Marine Le Pen, die Anführerin der Front National, bot nach ihrem Wahlerfolg nicht nur der Lega, sondern auch Grillo offen an, von nun an in Europa zusammenzuarbeiten. Begründung: Es gebe in vielen Punkten große Übereinstimmung. Vorerst zeigt ihr Grillo noch die kalte Schulter. Er hat ja auch „linke“ Wähler.

Nachbemerkung: Anscheinend dreht Grillo nun völlig durch. Er hat gerade verkündet, dass M5S-Kandidaten, die ins Europaparlament gewählt werden, die Bewegung nicht verlassen dürfen. Tun sie es dennoch, müssen sie eine Geldstrafe von 250.000 Euro (!) bezahlen. Eine „Regel“, die 1) wohl verfassungswidrig ist (Abgeordnete sind in erster Linie ihrem Gewissen verpflichtet); 2) zeigt, wie groß Grillos Angst vor „kritischen Geistern“ ist und 3) eine unglaubliche Nötigung von Parlamentariern darstellt.

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