Die italienische Krankheit

Massimo Teodori war Mitglied der parlamentarischen Untersuchungskommission, die sich vor 30 Jahren mit der italienischen Geheimloge P 2 („Propaganda zwei“) befasste, und kam später zu folgendem Ergebnis: „Die Loge P 2 war keine verbrecherische Organisation außerhalb der Parteien, sondern innerhalb der herrschenden Klasse selbst. Ihr ging es um die Macht und deren illegale und geheime Nutzung, mit Erpressung, Raub, umstürzlerischen Aktivitäten und gigantischen Finanzbetrügereien, bis hin zur physischen Liquidierung“.

Die P 2 wurde 1982 verboten, mit einem Gesetz, das damals eigens zur Bekämpfung derartiger krimineller Geheimbünde geschaffen wurde. Und da die Pläne der P 2 (zu denen auch der Staatsstreich gehörte) großenteils aufgedeckt und ihre geheimen Mitgliederlisten veröffentlicht wurden, konnte man auf Heilung hoffen. Es soll ja Fäulnisprozesse geben, die zum Stillstand kommen, wenn sie dem Sonnenlicht ausgesetzt werden.

Fast 30 Jahre später wird aufgrund des gleichen Gesetzes erneut ermittelt. Wieder scheinen solche Geheimbünde innerhalb der politischen Klasse entstanden zu sein. Vor einem Jahr war es eine Gruppe, die nach ihrem Auffliegen in Erinnerung an die P 2 „P 3“ genannt wurde. Jetzt wird gegen eine weitere Gruppe ermittelt, bei der man einfachheitshalber weiterzählt und sie „P 4“ nennt. Ermittelt wird aufgrund ähnlicher Delikte wie vor 30 Jahren, wenn auch der Punkt „physische Liquidierung“ fehlt: Korruption, Amtsmissbrauch, illegale Finanzierung, Erpressung, Nötigung von Staatsorganen. Und auch jetzt stießen die Ermittler wieder auf erhebliche Geldbewegungen, bei denen die Empfänger kaum weniger interessant sind als die Geber. So flossen im Februar und März dieses Jahres 8 Mio. € Marcello Dell’Utri zu, dem Berlusconi-Freund und Zuarbeiter der Mafia, der letztes Jahr in zweiter Instanz zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Absender: Silvio Berlusconi.

Der Grund der 8 Mio.-Transaktion ist noch im Dunkeln. Auf jeden Fall sind wir damit wieder bei B. angelangt, also bei dem Mann, der stets dabei war. Schon bei der P 2 war er Mitglied (was B. zunächst verleugnete, aber inzwischen gerichtsfest ist), bei der P 3 war er als amtierender Ministerpräsident „der Mann im Hintergrund“, und bei der P 4 hat er, wie sich jetzt herausstellt, ebenfalls die Hände im Spiel. Die weitere Konstante dieser Geheimbünde ist die Präsenz von Leuten, die der Mafia nahe stehen: Vor einem Jahr war es Nicola Cosentino, der die Fäden zog, jetzt ist es wieder Dell’Utri, B.s alter Kampfgefährte.

Die P 2 zeigt, dass derartige Geheimbünde schon lange zur Macht in der italienischen Gesellschaft gehören. Aber es ist kein Zufall, dass sie wieder wie Pilze aus dem Boden sprießen, wenn ein Populist wie B. an der Macht ist. Seine Herrschaft beansprucht die direkte Verbindung zwischen Leader und „Volk“, was gleichzeitig bedeutet, alle Institutionen der demokratischen Transparenz, Repräsentanz und Verrechtlichung nur noch als Störfaktoren zu behandeln. In diesem Sinne passt bei B. alles zusammen: Einerseits arbeitet er daran, die Institutionen der Demokratie nicht nur möglichst zu übergehen, sondern auch auszuhöhlen und zu zerstören. Andererseits bewegt er sich selbst aktiv im Dunkel obskurer Seilschaften, die den Ausbau ihrer Machtpositionen mit „geschmierten“ Geschäften verbinden. Das ist sein Reich, er bewegt sich darin wie ein Fisch im Wasser. Und man kann es als sein persönliches Wunder betrachten, dass es ihm gelungen ist, bis heute die damit verbundene Doppelrolle zu spielen. Eine Doppelrolle, die manche „Interessenkonflikt“ nennen, aber für ihn Interessenidentität ist. Und wenn es Wahnsinn ist, so hat es doch Methode. Leute wie B. brauchen den schwachen Staat.

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