Das Wunder von Mailand – bis Neapel

Das Wort „Wunder“ trifft ein wenig das Gefühl überirdischer Beschwingtheit, in dem wir uns befinden, seitdem die Ergebnisse der kommunalen Stichwahl zur Gewissheit wurden.

Die Zahlen: In Mailand, das B. bisher als sein Wohnzimmer betrachten konnte, siegt Mitte-Links mit 55 zu 45 % (Wahlbeteiligung 67 %). In Neapel, der zweiten Millionenstadt, sogar mit 65 zu 35 % (Wahlbeteiligung allerdings nur 50 %). Nimmt man beide Wahlrunden, dann hat Mitte-Links von 30 Provinzhauptsstädten, in denen gewählt wurde, 22 gewonnen. Und 7 von 11 Provinzen. Vor allem im Norden – also dem Teil Italiens, in dem Mitte-Links schon abgemeldet schien, konnte Mitte-Links der Rechten nun auch die Städte Triest, Novara, Pordenone und Cagliari abnehmen. Deutlicher verlor B. Wahlen noch nie.

Aber es sind vor allem die Begleitumstände, welche Beschwingtheit auslösen. B. und die gesamte Rechte setzten auf drei Trümpfe, um die Wahlen zu gewinnen: auf Berlusconi selbst („die Staatsanwälte oder ich“), auf Verleumdung und auf Angst. Alle drei Trümpfe stachen nicht, im Gegenteil. Es zeigt sich, dass B.s obsessiver Kampf gegen die Justiz die Italiener nicht mehr interessiert, er geht ihnen sogar zunehmend auf die Nerven. So wurden die Kommunalwahlen, die B. ohne Not zur Abstimmung über sich umwidmete, zur Abstimmung gegen ihn. Auch die Verleumdung des Gegners, schon hundertfach erprobt, erwies sich als unwirksam. Die Schreckgespenster Moscheen, Zigeuner, Drogen funktionieren nicht mehr – die Antwort war kreative Ironie, „wir beerdigten sie unter einem Gelächter“ (Pisapia). Dafür musste die Opposition einige Lernprozesse hinter sich bringen:

  1. Mitte-Links hat einen großen Sieg eingefahren, während die Bilanz für die PD, die größte Oppositionspartei, durchwachsener aussieht. Zwar stellte die PD in den meisten Gemeinden, in denen die Linke siegte, auch den Kandidaten. Aber in den Millionenstädten Mailand und Neapel, in denen sie so spektakulär siegte, und übrigens auch in Cagliari kamen ihre Kandidaten nicht von der PD. Die vereinigte Linke kann gewinnen, nicht die PD allein.
  2. Die klassische Farbenlehre „hellrot“/„dunkelrot“ alias „gemäßigt links“/„extrem links“ mit den entsprechenden Folgen für die jeweilige Bündnisfähigkeit gilt nur noch eingeschränkt. Vendolas SEL („Socialismo, Ecologia, Libertà“) gilt als „linksextrem“, aber Vendolas Kandidat Pisapia wählten in Mailand auch Teile des Bürgertums. Ähnlich wie De Magistris, den in Neapel die kleine Oppositionspartei IdV ins Rennen schickt und der sich vor allem durch seine Gegnerschaft zur Camorra profiliert. In beiden Fällen war das „neue Gesicht“ wichtiger als die „richtige Partei“ (zumal sich die neapolitanische PD in Jahrzehnten der Misswirtschaft verschliss). Pisapia ist der Gegentyp zu B.: bescheiden, freundlich, leise.
  3. In Mailand und Neapel, aber auch in anderen Städten gewann die Opposition durch eine breite Mobilisierung von unten – mit Stadtteilkomitees, in denen Jung und Alt zusammenarbeiteten. Noch nie haben sich so viele Jugendliche aktiv engagiert. Die Botschaft von Beppe Grillos „5 Sterne-Bewegung“ („alle Politiker sind gleich“) verfing nicht mehr.
  4. Auch in diesem Wahlkampf versuchte B., sein Medienmonopol auszuspielen. Es hat ihm nichts genutzt, weil es zwei Gegenmittel gab: die Straßenarbeit der oppositionellen Unterstützerkomitees und das Internet. Die „räsonnierende Öffentlichkeit“ nahm die Form der Ironie an. Mit Erfolg.
  5. Die Vorwahlen zur Kandidatenkür, die „Primarie“, haben sich bewährt. Um unpopuläre Kandidaturen zu verhindern und um von Anfang an die Partizipation der Bürger zu sichern, auch gegen die jeweiligen Parteibürokratien. Aus der PdL ist nun zu hören, dass man dort erwägt, zur Auswahl ihrer Kandidaten ebenfalls „Primarie“ einzuführen. Erfolg macht neidisch. Was aber die Frage aufwirft, ob dies in dieser Partei, die ganz auf die Akklamation des einen Leaders zugeschnitten ist, überhaupt funktionieren kann.

Das Ergebnis der Kommunalwahlen schwächt Berlusconi weiter, obwohl er erklärt: „Weiter wie bisher“. Denn nun weiß alle Welt, dass er auch im Land keine Mehrheit mehr hinter sich hat. Vor Neuwahlen kann er sich nur fürchten. Ihm bleiben zwei Stützen. Die eine ist die Lega, die jetzt selbst angeschlagen ist und in der der Zweifel wächst, ob es klug ist, ihr Schicksal so eng an B. zu binden. Die zweite Stütze ist B.s noch verbliebene parlamentarische Mehrheit. Eigentlich hat sie B. schon verloren. Aber er hat dies damit kompensiert, dass er sich aus den Oppositionsparteien – mit Geld und Posten – als drittes Koalitionsbein eine Gruppe zusammenkaufte, die er die „Verantwortlichen“ nannte. Noch hält er sich durch den bedenkenlosen Einsatz seines Geldes an der Macht – und durch Abgeordnete, die sich von beidem korrumpieren lassen.

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