Partizipation ohne Vertrauen

Der Politologe Ilvo Diamanti

Der Politologe Ilvo Diamanti

Traditionell zum Jahresende gibt die „Repubblica“ beim Meinungsforschungsinstitut Demos eine Umfrage in Auftrag, um die Stimmung der Italiener zu erkunden. Am 30. Dezember kommentierte Ilvo Diamanti ihre Ergebnisse. Normalerweise sind sie wenig aussagekräftig, wenn sie nicht durch qualitative Untersuchungen ergänzt werden. Aber macht das gleiche Institut solche Umfragen schon seit Jahren, liefern sie im Zeitvergleich doch interessantes Material.

Diesmal war das Verhältnis der Italiener zum Staat das Schwerpunktthema.

Vertrauensschwund gegenüber den Institutionen

Beginnen wir „unten“. Der Vertrauensschwund gegenüber den lokalen, mittleren und nationalen Regierungsinstanzen ist weit fortgeschritten – und setzt sich, wie der Vergleich mit dem Vorjahr zeigt, auf beängstigende Weise fort. Das Vertrauen in Parlament und Parteien hat einen Tiefpunkt erreicht, der kaum noch unterboten werden kann. Was die Tabelle nicht zeigt: Die Hälfte der Befragten glaubt, dass die Demokratie auch ohne Parteien funktionieren könne. Und noch beunruhigender: Über 30 % meinen, es gehe auch ohne Demokratie.

Eine vergleichsweise abgehobene Rolle spielt immer noch der Staatspräsident, obwohl auch er in den politischen Legitimationsverlust des letzten Jahres einbezogen wurde (minus 6 Prozent). Womit er die Rechnung dafür zahlt, dass er immer mehr direkten Einfluss auf das Regierungshandeln nahm. Relativ gut kommt noch die Justiz davon, obwohl sie weit entfernt von den Werten ist, die sie in der Zeit von Tangentopoli erreichte (70 %).

Abgestürzte Europahoffnung

Den heftigsten Vertrauensschwund erlebt die EU – im letzten Jahr um 11 %, im Vergleich zu 2003 um 20 %. Ilvo Diamanti: „Am Ende der 90er Jahre setzten (die Italiener) auf Europa, um sich ‚gegen den (eigenen) Staat zu verteidigen’. Heute stellt sich das Problem umgekehrt: Wie kann man sich gegen Europa verteidigen“. Ein Vertrauensverlust, den man in Deutschland unterschätzt.

Dass diese Vertrauenskrise, die alle demokratischen Institutionen erfasst, vor allem soziale Gründe hat, zeigt ein anderer Vergleich. Noch vor 8 Jahren beantworteten 54 % der Bürger die Frage, ob der Staat lieber die Steuern senken oder seine Dienstleistungen verbessern sollet, mit der Präferenz für letzteres. Heute halten 70 % Steuersenkungen für prioritär, obwohl sich die Qualität der Dienstleistungen in der Zwischenzeit weiter verschlechtert hat. Die Last der Steuern ist so drückend geworden, dass sie schwerer als alles andere wiegt.

Was den Italienern als Halt bleibt, zeigt der Tabellenanfang: Polizei und Kirche. Dank „Papa Francesco“ legte vor allem die Kirche kräftig zu. Was der Papst gewann, verlor Europa. Sicher schön für den Papst. Aber nicht so schön für Europa.

Suche nach Partizipation

Einen Trost hält die Umfrage bereit. Ein wachsender Anteil der Italiener, insbesondere auch aus der jüngeren Generation, verfällt nicht einfach in Resignation. Etwa 5 von 10 Italienern erklären, im vergangenen Jahr in irgendeiner Form – sei es eher traditionell durch die Beteiligung an Kundgebungen, sei es durch Aktivitäten im Netz – selbst aktiv geworden zu sein. Von den 15- bis 24-Jährigen geben 36 % an, sich an Protestdemonstrationen oder zumindest an Mobilisierungen „im Netz“ beteiligt zu haben.

Insgesamt erlebt die italienische Zivilgesellschaft, so fasst Diamanti zusammen, einen „Notstand der Demokratie“. Weil sie ihr Vertrauen in die Institutionen der repräsentativen Demokratie verlor, bewegt sie sich im politischen Vakuum. Anders als früher verstärken die Signale aus Europa dieses Misstrauen zusätzlich. Trotzdem – oder deshalb – gibt es den Wunsch nach politischer Einmischung. Dies erklärt den Erfolg der „Forconi“ und den Zulauf zur 5-Sterne-Bewegung. Es erklärt aber auch, warum sich Grillos autoritär gedeckelte Bewegung für diese Partizipationssuche als Sackgasse erweisen könnte. Erste Anzeichen dafür gibt es schon.

Es ist schwer absehbar, was sich hier zusammenbraut. Laut Diamanti bestehen gegenwärtig die „Feinde der Demokratie nicht nur aus denen, die sie offen in Frage stellen. Sondern es sind in erster Linie diejenigen, die sie verraten. Weil sie sie auf unverantwortliche Weise repräsentieren. Ohne Wirksamkeit, ohne Leidenschaft. Und ohne Würde“. Von denen gibt es immer noch viel zu viele.

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