Klimawandel in Italiens Städten

Den Deutschen, die gern nach Italien pilgern, wird man in Zukunft raten müssen: Kommt ihr im Sommer, dann macht euch auf länger andauernde Hitzewellen gefasst, in denen auch die Nächte nur noch wenig Erholung bringen. Packt aber auch festes Regenzeug ein, denn ein neues Charakteristikum des Klimawandels wird das Nebeneinander von längeren Hitzewellen und immer heftigeren Starkregen samt Überschwemmungen sein. Denn je mehr sich die Atmosphäre erwärmt, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen – und desto mehr kommt diese dann auch als Niederschlag wieder „runter“. Wie es sich schon in diesem Sommer ankündigte, als im Juli die Gegend um dem Comer See von Wolkenbrüchen überflutet wurde, während in Sardinien, im Süden und auf den Inseln die Wälder brannten. Die Gleichzeitigkeit der metereologischen Extreme sei ein Charakteristikum des globalen Klimawandels und werde, „wie alle Modelle zeigen“, noch weiter zunehmen, erklärte kürzlich Donatella Spano, die an der Universität in Sassari für derartige Fragen zuständig ist.

Ein Bericht des CMCC

Das Euro-mediterrane Zentrum für den Klimawandel (CMCC) ist ein italienischer Forschungsverbund, der die Forschung verschiedener Universitäten und Institute auf diesem Gebiet koordiniert, wobei es vor allem um den Klimawandel im Mittelmeerraum geht, mit dem Ziel, die politischen Entscheidungsträger mit verwertbaren Informationen über ihre noch verbliebenen Handlungsmöglichkeiten zu versorgen. Im September legte er den Bericht „Analyse des Risikos: Klimatische Veränderungen in 6 italienischen Großstädten“ vor, d.h. in Turin, Mailand, Venedig, Bologna, Rom und Neapel. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die im Bericht enthaltenen Informationen über die klimatischen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Lebenswelt ihrer Bewohner, wobei sich Empirie und Prognose verbinden: (1) die bereits zu verzeichnenden Klimaänderungen in den Städten und (2) die zu erwartenden weiteren Veränderungen. Die Prognosen gehen von zwei Szenarien aus: Im einen Fall werden die international beschlossenen Klimaziele umgesetzt, im anderen Fall geschieht dies nicht (alles läuft weiter wie bisher).

Zunächst zeigt der Bericht, dass der Klimawandel auch in den italienischen Städten begonnen hat. Die Durchschnittswerte der Temperaturen zeigen überall „Ausreißer“ nach oben, auch wenn sie vorerst noch moderat zu sein scheinen: In Mailand lagen sie 2018 und 2020 und in Turin 2017, 2019 und 2020 jeweils um 0,9 Grad über dem alten 30-Jahre-Mittel, in Neapel und Bologna war dies 2020 der Fall, in Venedig waren die Jahre 2014 und 2018 besonders heiß (1,1 Grad über dem alten Durchschnitt). In Rom hat sich die Länge des klimatischen „Sommers“ gegenüber dem Durchschnitt der drei letzten Jahrzehnte deutlich erhöht, dort sind die Durchschnittstemperaturen schon seit 2011 gestiegen, in den letzten Jahren sogar um 3,6 Grad. Die Nächte, in denen die Außentemperaturen nicht mehr unter 20 Grad sinken (und deshalb „tropisch“ genannt werden), werden deutlich häufiger. Was mit einem Anstieg der Mortalität verbunden ist, die nach ärztlicher Einschätzung „hitzebedingt“ ist, vor allem unter Älteren. In Rom hat diese für über 50-Jährige um 22 % zugenommen, in Mailand um 33,6 %. In Bologna wurde ausgerechnet, dass mit jedem Anstieg um einen durchschnittlichen Hitzegrad die Mortalität um gut 3 % zunimmt.

Mehr Hitze, mehr Starkregen

Aber das ist nur der Anfang, wenn man den Prognosen glauben kann, von denen auch die lokalen Fallstudien ausgehen. Im günstigsten Fall, d. h. wenn die beschlossenen Klimamaßnahmen umgesetzt werden, ist zu erwarten, dass in Italien die mittleren Temperaturen bis zum Jahr 2050 trotzdem noch um weitere zwei Grad ansteigen. Unter dieser Voraussetzung wird sich, so die Schätzungen, die durchschnittliche Dauer der sommerlichen Hitzewelle noch einmal signifikant verlängern, in Rom und Turin um 28, in Mailand um 30, in Neapel um 50 Tage. Wer Italien kennt, weiß, dass zu den Dauerproblemen jeden Sommers die Knappheit an Trinkwasser gehört – und sich besonders im Süden die Konkurrenz der privaten Haushalte mit der Industrie und der Landwirtschaft um die verfügbaren Reserven immer wieder zuspitzt. Eine Ursache ist das marode Leitungssystem, in dem ein erheblicher Teil des Wassers versickert (bis zu 50 %, so die Schätzungen). Ein Problem, das sich auch durch die Verlängerung der Hitzeperioden nicht verringern wird.  

Ein „Medicane“ über dem Mittelmeer

Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Zunahme urplötzlicher Starkregenfälle, die in Städten wie Rom und Neapel, in denen der Boden weitgehend versiegelt und die Abwassersysteme unzureichend sind, zu Überschwemmungen führen, die ganze Stadtteile erfassen können (zum Beispiel in Turin 60 % des gesamten Stadtgebiets), und die durch das von oben eindringende Regenwasser und die Erosion des Untergrundes mit erheblichen Zerstörungen verbunden sind. Ein Sonderfall ist Venedig, wo die kombinierte Wirkung des Anstiegs des Meeresspiegels und der Absenkung des Bodens in den letzten 150 Jahren den örtlichen Meeresspiegel um durchschnittlich 30 Zentimeter ansteigen ließ, und wo die kritische Schwelle von 120 Zentimetern in den letzten zehn Jahren schon vierzigmal überschritten wurde, mit der entsprechenden Häufigkeit von „aqua alta“.

Aber das ist immer noch ein best case-Szenario, in dem die Voraussetzung steckt, dass sich der Globus in den nächsten Jahrzehnten aufgrund endlich greifender Klimamaßnahmen „nur“ um weitere zwei Grad erwärmt. „Schon um diese Schwelle nicht noch weiter zu überschreiten, werden wir hart arbeiten müssen“ (Donatella Spano). Sollten diese Ziele nicht oder nur halbherzig verfolgt werden, würde sich der gesamte Mittelmeerraum bis 2100 voraussichtlich nicht um 2, sondern um 6 Grad erhitzen, mit dem sich immer weiter aufheizenden Mittelmeer als zusätzlichem Boiler. Die Autoren der Untersuchung verzichten darauf, uns die Konsequenzen auszumalen – sie dürften katastrophal sein.

Trumps Erbe

Die science-fiction-Frage, ob es der Menschheit gelingen könnte, die in die Atmosphäre entlassenen Treibhausgase wieder auf die Erde zurückzuholen, wird in dem CMCC-Bericht gar nicht erst aufgeworfen. Er konzentriert sich auf die Frage, wie sich die Schäden des zu erwartenden Klimawandels durch Anpassung wenigstens mildern und beschränken lassen. Aber auch die Notwendigkeit solcher „Anpassungen“ ist noch keineswegs zum politischen Allgemeingut geworden. Lange stellten die Führer der beiden großen Rechts-Parteien in Frage, dass es überhaupt einen solchen Klimawandel gibt. Für Giorgia Meloni, die Chefin der FdI, reduziert sich die Frage nach dem Umweltschutz sowieso auf eine Art identitären Heimatschutz, „die Liebe zum Territorium, die Identität und das Vaterland“. Matteo Salvini stimmte 2016 im Europarlament (dem er angehört) mit anderen Lega-Abgeordneten und Melonis FdI gegen das Pariser Klima-Abkommen. 2019, als Donald Trump noch fest im Sattel saß und es in Italien einmal kühlere Tage gab, witzelte Salvini wie sein amerikanisches Vorbild, dass er immer noch auf den Tag warte, „an dem es endlich ein bisschen globale Erwärmung gibt“.

Nachbemerkung: Man kann gespannt sein, wie Salvini, der bekanntlich die Nähe zum Volk sucht, den Bürgern der sizilianischen Stadt Catania die Katastrophe erklärt, zu der es dort vor wenigen Tagen kam. Über der Stadt, in deren Nähe (in Siracusa) noch Anfang August knapp 49 Grad gemessen wurden, brach ein Zyklon herein, der die Straßen in reißende Flüsse verwandelte. Dass es auch im Mittelmeer solche Zyklone gibt, ist für die Meteorologen kein neues Phänomen, 2017 und 2018 suchten sie z. B. Griechenland heim. Die Meteorologen nennen sie Medicanes, eine Kombination aus „mediterran“ und „hurricane“, und prognostizieren, dass sie wegen der durch den Klimawandel verursachten Aufheizung des Mittelmeeres in den kommenden Jahrzehnten noch häufiger und heftiger werden.

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