Die „sauberen“ Listen der PdL

Nächtliche Treffen, Gebrüll, Drohungen, Gedränge bettelnder Aspiranten in den Fluren der Parteizentrale … Das Chaos bei der Aufstellung der PdL-Listen für die Wahl im Februar könnte man ein Possenspiel nennen, würde es nicht um viel zu ernsthafte Dinge gehen.

Derzeit hält die PdL einen zweifelhaften Rekord: Von den 95 (!) Parlamentariern, gegen die strafrechtlich ermittelt wird bzw. Verfahren laufen, gehören 56 der PdL an. Die Straftaten, um die es geht, sind nicht gerade Bagatellen: betrügerischer Bankrott, Korruption, Amtsmissbrauch, Fälschung öffentlicher Dokumente, Bankbetrug, Begünstigung der organisierten Kriminalität, der Mafia bzw. Camorra.

Bisher störte sich in der PdL niemand daran. Warum denn auch, ist doch der Chef selbst der Rekordhalter, das leuchtende Vorbild sozusagen. Man hielt zusammen, wenn im Parlament die Aufhebung der Immunität der betroffenen Kollegen zu verhindern war, und man honorierte sie sogar mit Posten und Funktionen. Denn schließlich sorgten viele von ihnen, dank gewisser Beziehungen, massenhaft für Wählerstimmen.

Gerangel um die „Nicht-Präsentierfähigen“

Diesmal lief es anders. Nicht so sehr wegen des neuen sog. „Gesetzes für saubere Listen“, das die Regierung Monti zum Schluss noch verabschiedete und das eine Kandidatur für Leute verbietet, die rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden (ein halbherziges Gesetz, weder „sauber“ noch effektiv: die „Toleranzlatte“ liegt mit zwei Jahren zu hoch, und in Italien kann es bis zur letzten Instanz bekanntlich Jahrzehnte dauern. Meistens sind die Straftaten dann verjährt).

Was vielmehr die PdL und B. verunsicherte, waren beunruhigende Wahlprognosen von Pdl-nahen Forschungsinstituten, die bei Aufstellung von sog. „Impresentabili“ („Nicht-Präsentierfähigen“) der Partei einen Verlust an Wählerstimmen in der Größenordnung von 2-3 % voraussagten.

Also mussten zumindest diejenigen zur Aufgabe der Kandidatur gebracht werden, die am stärksten im Lichte der Öffentlichkeit stehen. Allen voran Nicola Cosentino, der ehemalige Staatssekretär in der B.-Regierung. Der mächtige „Nick o ‚mericano“, der sich rühmt, der PdL über 100.000 Stimmen verschafft zu haben, ist angeklagt, mit der Camorra zusammenzuarbeiten. Einer Verhaftung konnte er bisher nur entkommen, weil PdL und Lega im Parlament die Aufhebung seiner Immunität verhinderten. Betroffen ist auch B.s enger Vertrauter Dell‘ Utri, der bereits zu sieben Jahren Haft wegen Begünstigung der Mafia verurteilt wurde (Revisionsverfahren läuft) und von sich selbst sagt, er wisse „alles über B.“. Was eine Menge sein dürfte.

„Nick o 'mericano“ alias Nicola Cosentino

„Nick o ‚mericano“ alias Nicola Cosentino

Beide haben sich lange gegen ihren Rausschmiss gewehrt. Besonders Cosentino, dem beim Verlust seines Mandats die Verhaftung droht, tobte und schwor, er werde dafür sorgen, dass die PdL in Kampanien die Wahlen verliert. Zeitweise sah es so aus, als ob er sogar die Unterschriftenliste für Kampanien verschwinden ließ. Doch am Ende musste er aufgeben. Dell‘ Utri hatte schon vorher seinen „freiwilligen“ Rückzug erklärt. Ob er von B. – erneut – für sein Entgegenkommen „belohnt“ wurde, bleibt Spekulation. Im Fernsehen zeigte sich der Chef betrübt: „Wir mussten unter großem Schmerz unsere Freunde opfern, die von politisierten Staatsanwälten verfolgt werden, aber ohne diese Säuberungsaktion hätte man uns massakriert“. Mit „uns“ meint er natürlich sich selbst.

Der Fisch stinkt vom Kopf her

Von „Säuberungsaktion“ zu reden ist allerdings ein Witz. Denn ein paar wurden „geopfert“, doch etliche andere, die auch Dreck am Stecken haben, bleiben. Dazu zählen der „spiritus rectus“ der PdL, Verdini, der ehemalige Präsident der Lombardei, Formigoni und der ehemalige Minister Fitto, die alle in Korruptionsverfahren verwickelt sind. Ferner der wegen Korruption bereits verurteilte frühere Fininvest-Manager Sciascia, der Cosentino-Kumpel Luigi Cesaro, alias „Giggino ‚a purpetta“ („Giggino die Frikadelle“), dem Zusammenarbeit mit der Camorra vorgeworfen wird, sowie Fazzone, der Boss im südlichen Latium (Verfahren wegen Amtsmissbrauch). Und viele andere weniger bekannte, aber nicht minder dubiose Figuren.

Das Unglaublichste ist: B. selbst, der als erster fliegen müsste, bleibt. Als der große Anführer dieses „sauberen“ Vereins und als Spitzenkandidat für den Senat in allen Regionen. Abgesehen von den vielen Prozessen, die bereits gegen ihn stattfanden (vgl. „Dokumentation“), ist er gegenwärtig in zwei Strafverfahren (Unipol, „Rubygate“) angeklagt und in einem (Mediaset) erstinstanzlich verurteilt: wegen Korruption, Steuerbetrug, Amtsmissbrauch, Förderung der Prostitution von Minderjährigen.

Wäre ich Nick o ‚mericano, wäre ich auch empört. Sie etwa nicht?

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