Wider die ökonomische Vernunft

Am vergangenen Donnerstag hat Deutschland – im Verein mit einigen anderen Regierungschefs des „Nordens“ – in einer Videokonferenz vorerst den Versuch vereitelt, auf die Corona-Krise mit sog. Eurobonds zu reagieren. Conte war in diese Konferenz mit dem Vorschlag gegangen, in einer einmaligen Aktion mit gemeinsamen EU-Bonds den Ländern zu helfen, die am stärksten von der Krise und der durch sie ausgelösten Rezession betroffen sind. Er tat es nicht allein, sondern hatte dabei Macron, den Spanier Sanchez, den Portugiesen Costa und die Kollegen aus Griechenland, Irland, Luxemburg, Belgien und Slowenien auf seiner Seite. Es war Angela Merkel, die sich dagegen sträubte, und mit ihr Holland, Österreich und Finnland. Sie wollten die potentiellen Bittsteller wieder an den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ verweisen, wohl wissend, dass die hier zur Verfügung stehenden Mittel erheblich beschränkter sind und ihre Ausgabe immer noch an die altbekannten Austeritätsbedingungen geknüpft wird. Da die Konferenz in diesem Punkt ergebnislos blieb, wurde die Beschlussfassung um zwei Wochen vertagt.

Nach den Solidaritätsbekundungen, die in den vergangenen Wochen aus den anderen europäischen Hauptstädten in Rom eintrafen, wirkte dies in Italien wie eine kalte Dusche. Conte reagierte mit der Andeutung, dass sich Italien dann eben „selbst helfen“ bzw. sich Hilfe woanders her besorgen werde – offen bleibt, ob er damit Hilfslieferungen mit medizinischem Material meinte, die inzwischen aus China eintreffen, oder die trotzige Ankündigung seiner süd- und mitteleuropäischen Partner, derartige Bonds notfalls auch zu neunt auszugeben (ein erster Schritt zur Euro-Spaltung). Nun wird spekuliert, was die „Nordländer“ von einer Verschiebung der Beschlussfassung erwarten: Claudio Tito schrieb Samstag in der „Repubblica“, die deutschen und holländischen Regierungen wollten wohl erst einmal abwarten, wie sich die Corona-Epidemie in ihren eigenen Ländern auswirkt. Wenn es dort nicht zu einer so heftigen Infektionsspirale wie in Italien kommt, könnten sie behaupten, dass die Unfähigkeit der italienischen und spanischen Regierungen die Ursache des Ausmaßes sei, das dort die Epidemie angenommen habe, und damit auch ihr Nein zu den Eurobonds untermauern. Eine Erklärung für die Hinhaltetaktik des Nordens, die ihm viel Zynismus unterstellt, während dem Süden das Wasser bis zum Halse steht.

Draghis Vorstoß

Mario Draghi, der bisherige Chef der EZB, hat den Ruf, etwas von seinem Geschäft zu verstehen. Ein Tag vor der Videokonferenz erschien von ihm ein Beitrag für die Financial Times, in dem er darlegt, was jetzt die Politik tun müsse, um die ökonomischen Kosten der Corona-Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Der Ökonom Francesco Saraceno, der zum wissenschaftlichen Beirat der Luiss School of European Political Economy gehört, fasste den Beitrag so zusammen:

Bei der ökonomischen Krise, welche die Pandemie auslöst, handelt es sich um keine klassische („keynesianische“) Krise. Da sie exogene Ursachen hat, wird die Ökonomie nach dem Ende der Pandemie wieder relativ schnell in Gang kommen können. Viel wird darauf ankommen, dass der Verlauf der ökonomischen Krise die Form eines „V“ hat (nach dem Zusammenbruch schneller Wiederaufschwung), und die Formen „U“ oder – noch schlimmer – „L“ vermieden werden.

Was zu verhindern ist, ist der Zusammenbruch eigentlich gesunder Unternehmen, damit das Produktionssystem am Ende der Pandemie so wenig wie möglich beschädigt ist und somit für die Erholung der aggregierten Nachfrage gewappnet ist. Bis dahin sind die Unternehmen über Wasser zu halten, vor allem die kleinen und mittleren, die wegen der Krise ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. „Was es auch kosten mag“.

Draghi sagt also, das der Erhalt der Unternehmen Priorität hat, weil davon die Beschäftigung und – in Ländern mit sozialen Sicherungssystemen – auch die Einkommen abhängen (während z. B. in einem Land wie den USA die direkte Unterstützung der Arbeiter und ihrer Familien die gleiche Priorität hätte).

Um die Unternehmen über Wasser zu halten, müssen die Regierungen und Zentralbanken ihre Liquidität sichern, damit sie zahlungsfähig bleiben. Dazu müssen die Banken in der Lage sein, fast zinslose Kredite zu vergeben. Das ist der Sinn der targeted longer-term refinancing operation, die die EZB am 12. März ins Leben rief. Hier ist die Unterstützung der Banken an die Bedingung geknüpft, dass ihre Kredite den kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen (was durch keine Vorschriften behindert werden dürfe).

Und was schon vielerorts der Fall sei: Die Steuerbehörden müssen jetzt das Eintreiben von Steuerschulden der Unternehmen stornieren, um ihnen keine Ressourcen zu entziehen, und sie so vor dem Ersticken bewahren.

Die Krisenbetroffenheit der Unternehmen sei unterschiedlich: Es gebe diejenigen, die hoffen können, nach Krisenende ihre unterbrochene Produktion wieder aufzuholen, und andere, die es nicht können: Nach dem Ende der Pandemie werden z. B. in den Restaurants die Gäste nicht doppelt so oft erscheinen, um ihre während der Krise ausgebliebenen Besuche zu kompensieren. Hier muss der Staat helfen: indem er in irgendeiner Weise die privaten Einnahmeverluste ausgleicht, sprich Schulden übernimmt, oder in anderer Weise hilft.

Wie auch immer der Staat diese Unterstützung organisiert, werden die Staatsschulden in jedem Fall wachsen, nach Saracenos Schätzung im Durchschnitt um 20 bis 30 % des BSP. „Die Alternative wäre die Zerstörung der Produktionskapazität auf Dauer, und somit auch der Grundlagen ihrer Besteuerbarkeit, und damit für die Ökonomie, und das wäre letztendlich auch für die Glaubwürdigkeit der Regierungen sehr viel verheerender“.

Folgerung: Eurobonds

Bis zu diesem Punkt folgt Saraceno Draghi, um dann die Schlussfolgerungen zu ziehen, die Draghi nur andeutet. So gehe es nicht darum, dass der Staat Schulden übernimmt, oder die EU die Schulden der Einzelstaaten, sondern dass er nur bei ihrer Fälligkeit für Finanzierbarkeit sorgt, das heißt für niedrige Zinsen – insbesondere wenn sich die Staatsschulden jetzt um 20 bis 30 Prozent des BSP erhöhen –, was angesichts der globalen Nachfrage nach Geldanlagen kein Problem sein dürfte. Das Recht, Einzelstaaten von einer unverantwortlichen Haushaltspolitik abzuhalten, sei „sakrosankt“, aber es müsse auch verhindert werden, dass europäische Staatshaushalte zum Spekulationsobjekt internationaler Finanzmärkte werden.

Schlussfolgerung: Dafür wäre es sinnvoll, dass die Euroländer einen gemeinsamen Haushalt installieren, der auch die Ausgabe gemeinsamer Bonds (Eurobonds) in einer Una tantum-Aktion ermöglicht, ohne daraus eine Dauereinrichtung zu machen.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft

Das sagten auch 7 deutsche Ökonomen, die am Samstag vor acht Tagen in der FAZ den Aufruf „Europa muss jetzt finanziell zusammenstehen“ veröffentlichten. Michael Hüther, einer der Unterzeichner des Aufrufs und Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, erklärte vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk die Coronakrise zum „Lackmustest für die europäische Solidarität“. Wie Draghi und Saraceno ist er in der gegenwärtigen Situation für die Auflage von Eurobonds als „einmalige Fazilität“– zumal die europäische Gemeinschaft so etwas schon einmal getan habe: nach der Ölkrise im Jahr 1975. Das Sträuben der deutschen und holländischen Regierung gegen die Eurobonds sei „nicht sachbegründet“ könne zum „Zerfall der Europäischen Union“ führen. Hüther erklärt das Sträuben mit der deutschen und holländischen „Angst“ vor den Rechtspopulisten, bei uns also vor der AfD.

In Italien drücken die Rechtspopulisten in die entgegengesetzte Richtung. Die Verschiebung der Entscheidung durch den Europarat führte in Italien zu großer Aufregung, mit Salvini an der Spitze, der einmal mehr gegen   „Scheißladen EU“ ausfällig wurde: „Wir befinden uns in akuter Not, die Leute sterben, heute an Lungenentzündung, morgen vielleicht an Armut, und Europa nimmt sich 14 Tage Zeit… Das soll eine Union sein, es ist eine Grube von Schlangen und Schakalen.“ Dann die Drohung: „Erst besiegen wir den Virus, dann werden wir uns wieder mit Europa befassen. Und, wenn nötig, auf Wiedersehen sagen. Geht doch scheißen“. Salvinis Wut ist gespielt, er ist sowieso gegen die EU. Aber auch an Conte ging die Aufregung nicht völlig vorbei. „Wir müssen morgen die Krise in Angriff nehmen, nicht in den nächsten Monaten. Was sollen wir sonst unseren Leuten antworten, die uns fragen werden, welchen Sinn dieses gemeinsame Haus hat. Wir werden keine Antworten haben“, so Conte während der Videokonferenz.

Es gibt auch andere Stimmen. Der politisch einflussreiche Ökonom Carlo Cottarelli erinnerte daran, dass die EZB Italien gerade Staatsanleihen in Höhe von 220 Milliarden € abgekauft hat. Eine europäische Solidarität gebe es also. Aber auch er sprach sich für die Eurobonds aus.

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