Show down ums „Italicum“

Als am vergangenen Dienstag ein PD-Sprecher im Parlament ankündigte, die Regierung werde die Behandlung des Wahlgesetzes mit der Vertrauensfrage verbinden, brach die Hölle los. Darin hat man Übung: Die Grillini brüllten Beleidigungen gegen die Präsidentin des Parlaments, die SEL warf zum Tod der Demokratie gelbe Chrysanthemen, der FI-Fraktionschef Brunetta kreischte „Renzi-Faschismus“ (ausgerechnet Brunetta, der so gern mit der Lega paktiert).

Es ist in der Tat kein Zeichen von Stärke, dass Renzi die Abstimmung über das Wahlgesetz mit der Vertrauensfrage verband. Er ist sich seiner Leute nicht mehr sicher und deutete zum ersten Mal auch die Möglichkeit seines Rücktritts an. Aber der Tod der Demokratie ist es nicht. Ohne dies Gesetz würde Italien zum Verhältniswahlrecht zurückkehren. Dafür kann nur jemand sein, der PD und Forza Italia wieder auf Jahre hinaus ins gemeinsame Bett zwingen will. Oder Italien unregierbar machen möchte.

Die Bedeutung des neuen Wahlgesetzes

Zur Beschreibung der politischen Situation Italiens braucht man mehr als ein „Eigentlich“. Eigentlich ist Italien seit Jahren unregierbar. Als das amtierende Parlament gewählt wurde, standen sich drei etwa gleich große und gegenseitig ausschließende politische Lager gegenüber. Nur weil sich ein Handlanger Berlusconis ein Wahlgesetz ausgedacht hatte (das „Porcellum“ alias „Schweinegesetz“), dessen Verfassungswidrigkeit längst festgestellt wurde, konnten ein paar Zehntel Prozentpunkte mehr dem Mitte-Links-Block in der Abgeordnetenkammer die absolute Mehrheit verschaffen.

Eigentlich wird also Italien seit zwei Jahren auf illegaler Grundlage regiert (in Wahrheit schon länger, denn es ist nicht das erste mit diesem Wahlgesetz gewählte Parlament). Aber auch der Versuch, diesen Zustand zu beenden, führt in einen Teufelskreis: Ein „falsches“ Parlament, das sich reumütig auflöst, müsste zumindest beschließen, mit welchem Wahlgesetz „richtig“ gewählt werden soll. Also muss „Falsches“ „Richtiges“ gebären. Denn der Grundsatz gilt: Auch in solcher Lage muss ein Land politisch handlungsfähig bleiben.

Aber die („falsche“) absolute Mehrheit hat Mitte-Links nur in der Abgeordnetenkammer, nicht im Senat. Und solange es den „perfekten Bikameralismus“ gibt, ist der Senat gleichberechtigt. Will die PD Reformen durchsetzen, muss sie mit den Wölfen tanzen. So schloss schon Renzis Vorgänger, Letta, ein Bündnis mit Berlusconi, aus dem später das Bündnis mit einer Abspaltung aus dessen Lager wurde. Vor einem guten Jahr folgte der „Nazareno-Pakt“ zwischen Renzi und Berlusconi, nicht um eine Regierung zu bilden, aber um zwei Reformen auf den Weg zu bringen: das neue Wahlgesetz, das Ende des „perfekten Bikameralismus“. Beim Wahlgesetz einigte man sich auf einen Kompromiss, der heute „Italicum“ heißt. Es bleibt bei der Mehrheitsprämie, aber das Verfahren wird demokratischer: Der relative Wahlsieger bekommt sie, wenn er mindestens 40 % der Stimmen erhält. Sonst muss er auch noch eine zusätzliche Stichwahl gewinnen. Die zunächst hoch angesetzte Hürde für kleinere Parteien wurde – diese Korrektur setzte die Linke durch – auf 3 % gesenkt.

Berlusconis totaler Krieg, der Glaubenskrieg der PD-Linken

Für beide Reformen versprach der „Nazareno-Pakt“ eine breite Mehrheit. Aber nach der Mattarella-Wahl zum Staatspräsidenten entdeckte Berlusconi, dass die wechselseitige Umarmung eher Renzi als ihm nützt. Also erklärte er Renzi den totalen Krieg und zerriss dabei auch den Kompromiss über das neue Wahlgesetz, den er einst aus „staatsmännischer Verantwortung“ mit beschlossen hatte (vor wenigen Wochen half er noch, ihn durch den Senat zu bringen). Was kümmert ihn sein Geschwätz von gestern? Damit hat sich für Renzi die Lage verändert. Hinter dem neuen Wahlgesetz steht plötzlich nur noch die Koalition, deren Mehrheit im Senat knapp ist. Da dieser aber den Entwurf bereits passieren ließ, muss der Entwurf nur noch die Abgeordnetenkammer überstehen. Vorausgesetzt, dass er bei dieser Gelegenheit nicht nochmals verändert wird, was eine erneute Beratung im Senat erforderlich machen würde, mit nun unsicherem Ausgang. Da die Koalition in der Abgeordnetenkammer über eine breite Mehrheit verfügt, müsste dies eigentlich kein Problem sein. Eigentlich!

Denn nun kommt das Aber. Der linke Flügel der PD hat sich in einen Glaubenskrieg gegen das Wahlgesetz verbissen. Einige meinen, um vor allem den verhassten Renzi loszuwerden. Aber natürlich hat der linke Flügel auch Gründe – der eine ist ernst zu nehmen, der andere weniger. Berechtigt ist der Einwand, das neue Wahlgesetz bedeute einen Schritt weg von der Parlamentisierung und einen Schritt hin zur verstärkten „Premierizzazione“ (Versuch der Übersetzung: „Kanzlerisierung“) der Demokratie. Dass in Zukunft die siegreiche Partei (und nicht ein vorher gebildetes Bündnis) die Mehrheitsprämie bekommt, stärkt ihre Führung. Da nach dem neuen Wahlgesetz die Parteizentralen auch ihre Spitzenkandidaten in den Wahlkreisen bestimmen, garantiert ihnen dies ein zusätzliches Treuepolster.

Richtiges und Falsches

Aus deutscher Perspektive mag man fragen, ob das alles so schlimm ist. Die Rolle, die die italienische Verfassung dem Präsidenten des Ministerrats zuweist, ist schwächer als z. B. die des Kanzlers in Deutschland. Etwas mehr „Kanzlerisierung“ muss Italien nicht unbedingt schaden. Allerdings gibt es bei uns auch keine Mehrheitsprämie, welche die politische Repräsentanz des Parlaments, das nach einer (Fast-)Abschaffung des Senats zum einzigen Gesetzgeber würde, erheblich verzerrt. Die Kritik, dass hier der „Regierbarkeit“ zu viel Repräsentanz geopfert werden soll, ist nicht unberechtigt. Man kann dem nur entgegenhalten, dass heute die „Regierbarkeit“ Italiens tatsächlich gefährdet ist.

Das schlechtere Argument der PD-Linken ist die Forderung, zur Sicherung der Persönlichkeitswahl so viel „Präferenzwahl“ wie möglich zuzulassen. Das schwächt zwar die Parteizentralen, aber es stärkt nach aller Erfahrung die lokalen Kämpfe um die Pfründe, gebündelte Stimmenkäufe (Mafia) usw. Eine vernünftige Lösung, um den Wählern auch eine Persönlichkeitswahl zu ermöglichen, wäre nicht die Wiedereinführung der Präferenzwahl, sondern die Verkleinerung der Wahlkreise zu „uninominalen“ Wahlkreisen – vielleicht in Kombination mit der Möglichkeit, wie in Deutschland über eine Zweitstimme nicht nur die bevorzugte Person, sondern auch Partei wählen zu können.

Renzis Hang zum Autoritären

Was die Kontroverse aufheizt, sind Renzis autoritäre Anwandlungen. Er hat die alte Führungselite der PD ausgebootet – darunter auch kluge und integre Leute wie Bersani und Letta. Soeben hat er zehn zur PD gehörende Mitglieder einer parlamentarischen Kommission wegen ihrer kritischen Haltung zum neuen Wahlgesetz durch seine Leute ersetzt. Zu den anstehenden traditionellen „Unità“-Festen, die seit 70 Jahren der Selbstdarstellung der Partei dienen, wurden Vertreter der PD-Linken wie Bersani nicht einmal eingeladen. Was die Stimmung vergiftet und auch den apokalyptischen Ton der Auseinandersetzung erklärt. Dabei schien sich ein Moment lang eine Kompromissmöglichkeit zwischen der PD-Mehrheit und –Minderheit abzuzeichnen, als Renzi die Möglichkeit andeutete, zwar nicht über das Wahlgesetz, aber über die völlige Demontage des Senats mit sich reden lassen zu wollen. Was die Auseinandersetzung entschärft hätte, denn es ist die Kombination beider Reformen, die viele PD-Vertreter besorgt macht. Aber davon ist nun plötzlich kaum noch die Rede.

Nachtrag

Bersani stimmt nicht ab

Bersani stimmt nicht ab

Die Abstimmungen über das neue Wahlgesetz erfolgten Mittwoch und Donnerstag. Jede war, wie von der Regierung angekündigt, mit der Vertrauensfrage verbunden. Sie endete mit einem klaren Sieg Renzis: Jedes Mal waren etwa 350 dafür, etwa 200 dagegen. 37 PD-„Dissidenten“ nahmen aus Protest nicht teil. Bei insgesamt 309 PD-Abgeordneten im Parlament ist das nicht viel. Trotzdem gibt es Beobachter, die darin einen „Pyrrhus-Sieg“ sehen. Denn zu den 37 gehören einige der profiliertesten Köpfe der bisherigen PD: Letta, Bindi, Bersani, Cuperlo, Civati. Der Bruch mit ihnen scheint politisch und persönlich irreparabel. Die abschließende Abstimmung über das neue Wahlgesetz wird am Montag stattfinden. Die Regierung verbindet auch sie mit der Vertrauensfrage.

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