Umstrittenes Stabilitätsgesetz

„Italien mausert sich zu Europas neuem Erfolgsmodell“, titelt begeistert „Die Welt“ vom 21. Oktober. „Die Reformen von Premierminister Renzi zahlen sich aus. Das Land entkommt endlich der jahrelangen Malaise und setzt eine Aufwärtsspirale in Gang“, heißt es dort. Deutsche Aktienfondsmanager werden zitiert, die „mit leuchtenden Augen“ über prächtige Investitionsaussichten in Italien schwärmen: „Das Land schwimmt zunehmend auf einer Euphoriewelle“. „Wir sind begeistert!“.

Vier Italien für Renzi
Na ja. Zwar mehren sich tatsächlich die Anzeichen, dass die finsterste Phase der Rezession dem Ende zugeht und die italienische Wirtschaft wieder zaghaft in Bewegung kommt (viele meinen, dies sei mehr EZB-Chef Draghi als dem Premierminister zu verdanken). Die „Euphoriewelle“ ist mir allerdings verborgen geblieben. Vermutlich liegt es daran, dass ich nicht in den richtigen Kreisen verkehre. Jedenfalls sind solche Lobeshymnen Musik für Renzis Ohren, der sich gerade anschickt, mit dem „Stabilitätsgesetz“, das die Eckpunkte für den Haushalt 2016 festsetzt, ein neues umfangreiches Paket von Wirtschafts- und Finanzmaßnahmen in die parlamentarische Abstimmung zu bringen. Der Regierungschef, der markige Etiketten liebt, hat ihnen folgende Überschriften gegeben: 1. „Starkes Italien“, 2. „Einfaches Italien“, 3. „Gerechtes Italien“ und 4. „Stolzes Italien“.
Schaut man sich alle diese Italiens näher an, ist die Bilanz, wie meist bei Renzis Reformen , gemischt. Richtiges – wie zum Beispiel Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut, zur steuerlichen Entlastung von Rentnern mit niedrigem Einkommen, Anreize für Mittel- und Kleinunternehmen zur Beschäftigungsförderung – paart sich mit Fragwürdigem, wie die Abschaffung der Immobiliensteuer für Erstwohnungen und die erhöhten Grenze für Barzahlung von 1.000 auf 3.000 Euro. Beides wird mit der Absicht begründet, den Konsum anzukurbeln. Und gegen beides wird – auch in Renzis eigener Partei – Kritik laut.

Steuererleichterungen auf Pump …

Schon immer war die Immobiliensteuer umstritten. In einem Land, in dem die übergroße Mehrheit der Bürger nicht zur Miete, sondern in eigenen Wohnungen oder Häusern lebt, kann jede Regierung punkten, die hier Entlastung schafft. Berlusconi hatte 2008 mit genau diesem Versprechen seinen Wahlkampf bestritten – und gewonnen. Renzi steht (noch) nicht im Wahlkampf, muss aber angesichts sinkender Umfragewerte vorsorgen und verkündet: „Steuersenkungen sind weder rechts noch links, sie sind einfach richtig“. Auf die Frage, für wen Steuersenkungen richtig sind, lässt er sich ungern ein. In seinem Regierungsentwurf ging er zunächst so weit, die Immobiliensteuer für alle, auch für Besitzer von Luxusvillen und Schlössern, zu streichen (nicht einmal der vielfache Villenbesitzer Berlusconi hatte sich das getraut). Das hätte für die Superreichen gegenüber Durchschnittsverdienern ein zehnfach höheres Steuergeschenk bedeutet. Was daran „richtig“ sein soll, konnte am Ende auch der eloquente Renzi nicht erklären. Nach heftigen Protesten innerhalb der PD korrigierte er den Kurs: Luxusanwesen werden vom Steuererlass ausgenommen.
Weitere Steuererleichterungen will die Regierung dadurch erreichen, dass die bereits avisierte Erhöhung der Mehrwert- und Kraftstoffsteuer für 2016 ausgesetzt wird, was ein Loch von 16,8 Milliarden bedeutet. Plus 3,5 Milliarden, welche die Abschaffung der Immobiliensteuer kostet. Insgesamt über 20 Milliarden, zu deren Gegenfinanzierung geplante Einsparungen in der Verwaltung (2,8 Milliarden) und gekürzte Zuwendungen an die Regionen (3,7 Milliarden) bei Weitem nicht ausreichen. Das ohnehin horrend hohe Staatsdefizit wird weiter um ca. 14,5 Milliarden steigen (wenn es die EU durchgehen lässt). Schon jetzt ist klar, dass die Regionen die Kürzungen an die Bürger weitergeben werden, indem sie ihrerseits Dienstleistungen, v. a. im Gesundheitswesen, streichen. Klar ist auch, dass eine vorerst noch vermiedene Erhöhung der Mehrwertsteuer 2017/18 nachgeholt werden muss.

… und gute Nachrichten für Steuerbetrüger

Auf der Suche nach Steuerbetrügern

Auf der Suche nach Steuerbetrügern

Kritik gibt es auch an der heraufgesetzten Grenze für Barzahlungen auf 3.000 Euro. Die Regierung Monti hatte sie seinerzeit von 2.500 auf 1.000 Euro gesenkt, um Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu erschweren. Der „linke“ PD-Flügel, Antimafiaorganisationen und selbst der Sonderbeauftragte der Regierung gegen Korruption, Raffaele Cantone, werten diese Rücknahme als „falsches Signal“. Renzi, der an ihr festhalten will, argumentiert, sie „vereinfache“ kleinere Geldtransaktionen („L‘ Italia semplice“!) und schaffe Konsumanreize. Was Wirtschaftsexperten anzweifeln.
Die 3.000 Euro-Regelung erscheint noch problematischer, wenn man eine weitere „kleine“ Änderungsabsicht berücksichtigt: Die Geldstrafe für Geschäftsleute, die keine oder falsche Quittungen ausstellen, soll drastisch reduziert werden, wenn der Betroffene innerhalb von 60 Tagen nach „Erwischtwerden“ zahlt. Statt bisher 250 nur 42 Euro. Und wenn im Laden sogar die Registrierkasse fehlt, beträgt die Strafe nicht mehr 4.150, sondern nur noch 692 Euro.
Angesichts der massenhaften Verbreitung dieser Art von Steuerbetrug, die dem italienischen Staat jährlich Milliarden kostet, ist dies mehr als nur ein falsches Signal: Es ist ein Anreiz, den Staat noch munterer zu bestehlen (Ergänzungsvorschlag zu Renzis Katalog: Kap. 5, „Illegales Italien“). Über Renzis Beweggründe kann ich nur spekulieren. Da ich bei ihm Masochismus ausschließe, bleibt mir nur die Vermutung, dass er sich damit das Wohlwollen einiger Millionen chronisch steuerabstinenter Landsleute erkaufen will. Berlusconi hat‘ s vorgemacht.

Ein wenig „Missachtung“ ist auch dabei
Unmut gibt es nicht nur über die Inhalte des Gesetzesentwurfs, sondern auch über das Procedere. Während Renzi und andere Regierungsmitglieder schon lang und breit in den Medien über Einzelheiten berichteten, hatten die Abgeordneten, die darüber in Kürze entscheiden sollen, den Entwurf noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Opposition und parteiinterne Kritiker sehen darin eine „Missachtung des Parlaments“.
Auch wenn „Missachtung“ ein starkes Wort ist: Korrekt ist ein solches Procedere nicht. Und auch nicht geschickt. Renzi kümmert’s, so scheint es, wenig. Er kommuniziert sowieso lieber über die traditionellen und digitalen Medien „direkt mit dem Volk“, lieber als mit dem Parlament. Und twittert drauf los oder hüpft von Talkshow zu Talkshow, um die Wunderwerke seiner Regierung anzupreisen.
„Die Welt“ scheint beeindruckt. In welchem Maß es die Italiener sind, wird sich noch zeigen.

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