Vorwärts mit Salvini

Mit Ach und Krach haben die Sieger-Parteien der italienischen Wahl die erste Hürde genommen: die Wahl der beiden Kammerpräsidenten. Der Grillino Roberto Fico wurde Präsident der Abgeordnetenkammer, die Forza Italia-Vertreterin Maria Elisabetta Casellati Senatspräsidentin. Darin stecken drei Botschaften:

– Eines der möglichen Szenarien für das neue Italien ist seine „Balkanisierung“, das heißt die Unfähigkeit, überhaupt noch etwas zu beschließen, weil sich die politischen Lager gegenseitig lahm legen. Dies ist zumindest für den Anfang widerlegt. Ein erster Schritt wurde getan – die Frage ist, in welche Richtung.
– Die Achse Di Maio – Salvini, die ständig miteinander in Kontakt standen, erweist sich als entscheidend. Beide betonen zwar, dass damit noch nichts über die neue Regierung entschieden sei. Jeder weiß: Das müssen sie sagen.
– Berlusconi ist noch im Spiel – eine Vertraute wird Senatspräsidentin. Aber seinen eigentlichen Kandidaten für dieses Amt konnte er nicht mehr durchsetzen. Die Machtverhältnisse im rechten Lager klären sich: Der Le Pen-Anhänger Salvini ist dabei, die Rechte en bloc zu übernehmen, er fällt schon die Entscheidungen.

Die neuen Kammervorsitzenden

Die neuen Kammervorsitzenden

Was sich abzeichnet, ist ein Regimewechsel, also mehr als ein Regierungswechsel. Nicht umsonst spricht Grillo von einer Perspektive für die nächsten zwei Jahrzehnte. Vieles deutet darauf hin, dass sich nun die beiden Sieger zusammentun, 5-Sterne-Bewegung und Lega. Sie hätten in beiden Kammern auch ohne Berlusconis FI komfortable Mehrheiten: in der Abgeordnetenkammer 348 von 630, im Senat 170 von 327 Sitzen. Vor kurzem galt ihr Zusammengehen noch als „unmöglich“. Jetzt gibt es schon erste Überlegungen, auf welches Programm sie sich einigen könnten, auch wenn es vorerst noch Sammelsurium ist: Abschaffung des Fornero-Gesetzes, das die Renten kürzte und das Rentenalter hinausschob; Kürzung bzw. Streichung der Abgeordneten- Altersversorgung; Abschaffung des Impfzwanges (!); neues Schulgesetz. Und ein neues Wahlgesetz, wahrscheinlich mit Mehrheitsprämie. Die Sieger schreiten zur Selbstbedienung. Wobei allerdings noch zu klären bleibt, wer die Prämie bekommt, die siegreiche Partei oder die siegreiche Koalition. Auch die Frage, wer neuer Ministerpräsident wird, ist das heiße Eisen, das noch nicht angefasst wird.

Es gibt weitere Gemeinsamkeiten, die dem Bündnis Solidität geben können.

Gemeinsamkeit 1: gegen die repräsentative Demokratie

Zu ihnen könnte die längerfristige „Überwindung“ – d. h. Abschaffung – der repräsentativen Demokratie werden. Es ist das erklärte Ziel der 5SB. Davide Casaleggio hat es gerade noch einmal in einem Artikel in der „Washington Post“ bekräftigt: „Das Netz“, erklärt er dort, ermögliche eine „direkte Demokratie“, welche „die gegenwärtigen politischen und sozialen Organisationen destrukturiert“ und die „repräsentative Demokratie Schritt für Schritt bedeutungslos macht“. Das ist vornehm ausgedrückt das, was in der bisherigen Praxis die unterschiedslose Hetze gegen die gesamte „Kaste“ gewählter Politiker war. Bleibt die Frage, was die „Bewegung“ mit ihren eigenen Vertretern in den Parlamenten macht. Ihre von der Verfassung garantierte Gewissensfreiheit ist schon ausgehebelt: Jeder künftige Abgeordnete musste unterschreiben, dass er 100.000 Euro zahlt, wenn er die Fraktionsdisziplin verletzt. Abweichen ist verboten. Wie schon viele Bewegungen, die im letzten Jahrhundert zunächst eine „direktere“ Demokratie versprachen, aber als autoritäre Regimes endeten, ist auch bei der 5SB die Führung unkontrollierter als in jeder klassischen Partei.

Könnte es in diesem Punkt Probleme mit der Lega geben? Wohl kaum. Auch sie wird autokratisch geführt, auch sie zeigt immer wieder ihre Indifferenz gegenüber dem Rechtsstaat. Ihr Spitzenmann Calderoli erfand einen Algorithmus, dessen Zweck es ist, jedes unliebsame Gesetzesvorhaben durch Tausende von „emendamenti“ (Änderungsanträge) zu Fall zu bringen. Für Salvini, der einst Italien spalten wollte, ist das von der italienischen Verfassung garantierte Asylrecht nur ein Fetzen Papier. Er umarmt öffentlichkeitswirksam Gastwirte, die ausländische Einbrecher erschießen.

Gemeinsamkeit 2: nationale Abschottung

Für die zweite Gemeinsamkeit, die nationale Abschottung, kann zunächst die Lega das erste Copyright beanspruchen. Am deutlichsten in der Flüchtlingsfrage: Einen Ausgleich zwischen dem Schutzrecht der Einheimischen und dem Menschenrecht der Flüchtlinge soll es nicht geben. Trumps America first soll auch für Italien gelten. Auch hier ist die Kluft zur 5SB nicht groß: Di Maio denunzierte die NGOs im Mittelmeer als Komplizen der Schlepper und ihre Schiffe als „Taxis im Mittelmeer“ und blockierte die Verabschiedung des Ius soli. Hier bewegt man sich längst auf der gleichen Linie.

In der Europafrage wäre Ähnliches möglich. Von Salvini weiß man, dass er aus der EU oder wenigstens aus dem Euro raus will und dies nur wegen des noch bestehenden Bündnisses mit Berlusconi im Moment leiser sagt. Die 5SB strich zwar im letzten Moment das von ihr geforderte Referendum über den Euroaustritt wieder aus dem Programm, aber die paternalistische Begründung – um „den Leuten keine Angst zu machen“ – zeigt eher Wählerverachtung als Überzeugung. Wie die Lega bringt sie ihre Europaskepsis zumindest indirekt durch Wahlversprechen zum Ausdruck, die jede Brüsseler Sparvorgabe sprengen.

Gemeinsamkeit 3: Zustimmung der eigenen Basis

Die dritte Gemeinsamkeit ist die Zustimmung der eigenen Basis zu dem Bündnis. Dass die rechte Welle, die jetzt über Italien hinwegschwappt, nicht nur eine Sache der politischen Führungen ist, wurde deutlich, als die Lega und die 5SB gemeinsam (mit Forza Italia und der Ultralinken) Renzi beim Referendum über seine Verfassungsreform die erste große Niederlage bereiteten. Besonders eindrucksvoll zeigte sie sich bei den letzten kommunalen Stichwahlen. Überall dort, wo eine der beiden großen rechten Gruppierungen – der Block Forza Italia-Lega oder die 5SB – nur Dritte geworden war und deshalb nicht mehr in die Stichwahl kam, stimmten ihre Anhänger eben für den anderen rechten Kandidaten, der noch im Rennen war. Hauptsache, es ging gegen die „Linke“. Der Erfolg dieser „Einheitsfront von unten“ war durchschlagend und grub sich ins kollektive Gedächtnis ein. Die neuesten Umfragen bestätigen es: Sowohl bei den Wählern der Lega als auch der 5SB gibt es klare relative Mehrheiten dafür, dass beide zusammengehen.

Gemeinsamkeit 4: Zurückdrängen Berlusconis

Die vierte Gemeinsamkeit ist das gemeinsame Interesse, Berlusconi nur noch eine Nebenrolle spielen zu lassen. Nachdem sich Berlusconi noch vor wenigen Monaten Hoffnungen machte, bei der Wahl Salvini abhängen zu können, trat jetzt das Gegenteil ein: Die Lega kassierte 4,7 % mehr Stimmen al die FI. Käme es jetzt zu Neuwahlen, würde der Abstand noch größer werden (nach der neuesten Umfrage 5,4 %). Die Pro-Lega-Fraktion innerhalb der FI wächst stündlich, vor allem aus Süditalien kommen Nachrichten über eine Übertrittswelle. Berlusconi ist verbraucht. Sein Brüsseler Versprechen, das rechte Lager „unter Kontrolle“ zu halten, kann er nicht mehr erfüllen. Die Drohung mit dem Bruch des rechten Bündnisses beeindruckt niemanden mehr, er ist jetzt abhängiger von Salvini als dieser von ihm. Berlusconi muss sich wohl oder übel Salvinis Diktat unterwerfen, was seinen Abstieg noch einmal beschleunigt. Vorerst wird er allerdings noch gebraucht. So bleibt ihm eine Nische, in der er seine persönlichen Geschäftsinteressen pflegen kann.

Hier gibt es eine klare Interessenkonvergenz mit der 5-Sterne-Bewegung: Müsste jetzt Di Maio „auf Augenhöhe“ mit Berlusconi verhandeln, würde er gegenüber den eigenen Anhängern in ein Legitimationsproblem geraten, denn Berlusconi repräsentiert für die 5SB die korrupte „Kaste“. Dieses Problem nimmt ihm jetzt Salvini ab, dessen Nähe zum Faschismus für die Bewegung kein Problem ist. Umgekehrt hilft Di Maio Salvini dabei, den letzten Brückenkopf der EVP in der italienischen Rechten zur Marginalie werden zu lassen.

Gemeinsamkeit 5: Zerstörung der Linken

Dass sich die italienische Linke vor allem selbst zugrunde gerichtet hat, darüber berichteten wir schon zur Genüge. Auch dies bereitete dem neuen Rechtsbündnis den Boden.

Dem Zusammengehen der 5SB mit der Lega steht noch ein kleines ideologisches Problem im Wege: Die Lega zählt sich stolz zur Rechten, während es zum grillinischen Selbstverständnis gehört, „weder links noch rechts“ zu sein. Hier zeigt sich, wie missverständlich dieser Spruch ist. In diesem Fall bedeutet er die absolute Vorurteilsfreiheit bei der Partnerwahl gegen links. Auch wenn der Partner ein Ultrarechter ist. Dass sich die Grillini im Europaparlament mit der Farage-Truppe zusammentaten, ließ sich noch als Opportunismus interpretieren. Das Bündnis, das jetzt in Italien zur konkreten Möglichkeit wird, geht darüber hinaus.

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