Der Pakt mit dem Teufel

Renzi verspricht Strukturreformen. Dafür braucht er größere parlamentarische Mehrheiten als seine Regierungsmehrheit. Dass er jetzt mit Berlusconi eine Verabredung über die nächsten Reformen traf, erscheint manchen wie der Pakt mit dem Teufel. Was zur Frage führt: Darf man das? Unser deutscher Oberklassiker schrieb darüber eine zweiteilige Tragödie, die mit einem klaren Jein endet: im Prinzip nein, unter Umständen ja. Wenn es einen göttlichen Heilsplan gibt, in dem am Ende der Sünder zum Himmel fährt und der Teufel als begossener Pudel zurückbleibt. Allerdings nur Gott weiß (vorher), ob die Sache gut endet.

Renzi hat seinen Pakt mit Berlusconi bekräftigt und ihn auch noch auf die Lega ausgedehnt. Analogien zu Goethes Faust gibt es. Der Heilsplan sind die Reformen, Gott ist Napolitano, Faust ist Renzi, der Teufel (den es bekanntlich in vielerlei Gestalt gibt) ist Berlusconi/Lega. Aber die Analogie knirscht. Am besten passt sie auf Napolitano, der die Rolle des entrückten Heilsplaners ziemlich überzeugend gibt. Aber Renzi fehlt die faustische Vergrübeltheit, und bei Berlusconi fragt man sich, ob für ihn der Teufelsvergleich nicht zuviel der Ehre ist (trotz seiner Milliarden: seine Korruptheit ist eher erbärmlich, seiner Schlauheit fehlt die Dämonie. Nur die Vulgarität passt).

Die Verabredung

Zunächst zu Teil I des Pakts, der Senatsreform. Erfreulich bleibt, dass der „perfekte“ Bikameralismus begraben werden soll. Die Regierung braucht in Zukunft nicht mehr das Vertrauen des Senats, sondern nur noch der Abgeordneten-Kammer, die auch für den größten Teil der Gesetzgebung zuständig wird. Der Senat behält Mitgestaltungsrechte in Verfassungs-, Regional- und Europaangelegenheiten sowie beim Wahlgesetz, und wirkt mit bei der Wahl des Staatspräsidenten, der obersten Rechtsbehörde und der Verfassungsrichter. Er soll 100 Mitglieder haben: 5 ernennt der Staatspräsident, 95 entsenden die regionalen Parlamente, niemand wird mehr direkt gewählt. Ihre Diäten bringen sie aus ihren Ämtern in den Regionen mit, sie sinken auf das Niveau von Bürgermeistern mittelgroßer Städte.

Dies war weitgehend abgesprochen, aber es gibt eine Neuigkeit. Es geht um die Frage, ob auch die Mitglieder des neuen Senats Immunität genießen sollen. Hier hat Berlusconi bereits verlauten lassen, dass ihm dies egal sei. Was erstaunlich ist, denn die Immunität gegen Strafverfolgung war für ihn ein starkes Motiv, um überhaupt in die Politik zu gehen. Seitdem er jedoch wegen seiner Vorstrafe (Steuerhinterziehung) aus dem Senat flog, interessiert ihn die Frage nicht mehr. Doch in der PD-Fraktion ist darüber ein heftiger Streit entbrannt. Die Legalisten sagen, dass man auch den neuen Senatoren die gleichen Rechte wie den Parlamentariern zubilligen müsse, da sie höchste Verfassungsorgane mitwählen. Andere wollen das allzu oft missbrauchte Recht auf Immunität in beiden Kammern einschränken. Nun soll vielleicht das Verfassungsgericht eingeschaltet werden – z. B. in Form einer bei ihm angesiedelten Berufungsinstanz, wenn die Senatsmehrheit einer Strafverfolgung widerspricht.

Widerstände in der PD

Der Pakt mit Berlusconi müsste dieser Reform eigentlich eine komfortable Mehrheit sichern. Aber in der PD gibt es weiteren Ärger. Eine Gruppe von 14 PD-Senatoren kündigt Widerstand an, weil die Senatoren nicht mehr direkt vom Volk gewählt werden. Was den deutschen Beobachter wundern mag, der an seinen Bundesrat denkt. Die PD-interne Opposition macht jedoch geltend, dass das italienische Wahlgesetz die Repräsentativität des Parlaments bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, vor allem durch die Mehrheitsprämie. Beides zusammen – Zurichtung des Parlaments, Kastration des Senats – opfere den demokratischen Grundsatz der Repräsentativität dem Streben nach Regierbarkeit.

Allerdings scheint Renzi Berlusconi Zugeständnisse beim Wahlgesetz abgerungen zu haben. Die Sperrklausel für kleinere Parteien sinkt auf 4 %. Und die Hürde dafür, dass ein Bündnis ohne Stichwahl in den Genuss der Mehrheitsprämie und damit der absoluten Mehrheit kommt, soll von 37 auf 40 % erhöht werden (seit den Europawahlen ist sie für B. sowieso in weite Ferne gerückt). Bleibt das Bündnis mit den meisten Stimmen unter dieser Grenze, gibt es für die Mehrheitsprämie eine Stichwahl mit dem „zweitbesten“ Bündnis.

Grillos Verwandlung

Renzi verhandelt mit den Grillini

Renzi verhandelt mit den Grillini

Man fragt sich, woher die Öffnung Berlusconis kommt. Eine Erklärung ist die Konkurrenz, die er bei den Verhandlungen bekam. Beppe Grillo hat nach der für ihn enttäuschenden Europawahl von Totalopposition auf Verhandlung umgeschaltet und will nun – reichlich spät – ebenfalls über die Strukturreformen reden. Einige hoffnungsvolle Kommentatoren sehen darin schon den Beginn einer „konstruktiven Wende“, aber vorerst klingt es so vertrauenswürdig wie die Ankündigung einer Krähe, sie werde ab sofort wie eine Nachtigall singen (immerhin hat sich Grillo eben auf europäischer Ebene mit Farage verkumpelt). Trotzdem kam ein erstes Treffen zwischen Renzi und Vertretern der 5-Sterne-Bewegung zustande (zu dem Grillo nicht erschien). Diesmal war es Renzi, der Transparenz durch Streaming forderte. Viel kam nicht heraus, aber man war zumindest höflich zueinander. Vielleicht ist der indirekte Effekt der wichtigere: Bei Berlusconi erhöhte es die Bereitschaft zu Zugeständnissen. Er möchte unbedingt im Spiel bleiben.

Renzis Spielraum hat sich seit der Europawahl gegenüber den anderen politischen Kräften erweitert. Dafür wird nun in der PD selbst der Aufstand geprobt.