Schwierige Bündnissuche in Zeiten des Krieges

Auch wenn es angesichts des mörderischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine kaum erwähnenswert scheint: im Juni finden in Italien Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen in 982 Kommunen statt, darunter 26 Provinzhauptstädte und 4 (Catanzaro, Genua, L’ Aquila, Palermo) Regionshauptstädte.

Zwei Monate vor der Wahl sondieren die Parteien mögliche Bündnisse und stellen ihre Kandidaten-Listen auf. Von „Wahlkampf“ spürt man allerdings wenig, weil der Krieg und die internationale Krise, wie es nicht anders sein kann, politisch und medial alles dominieren. Bedeutungslos sind die kommenden Wahlen dennoch nicht, denn deren Ausgang wird sich nicht nur lokal auswirken, sondern auch die Entwicklung auf nationaler Ebene beeinflussen, wo im nächsten Jahr Parlamentswahlen stattfinden, die – indirekt – auch außenpolitisch relevant sind.

Vor fünf Jahren hatte die Wahl in den betroffenen Kommunen zu einem deutlichen Sieg der Rechten geführt, die in 20 von 25 Provinzhauptstädten ihre Kandidaten durchsetzen konnte. Bei weiteren Kommunalwahlen in den darauffolgenden Jahren gelang es der PD allmählich – mit oder auch ohne Bündnis mit den 5Sternen – bessere Ergebnisse zu erzielen, zuletzt im vergangenen Jahr, wo sie in wichtigen Städten wie Rom, Mailand, Turin, Neapel und Bologna gewann.

In Umfragen sind die Sozialdemokraten mit Werten um 21% zurzeit stabil, je nach Forschungsinstitut gleichauf oder leicht hinter Melonis Fratelli d’ Italia. Die Lega befindet sich weiterhin im negativem Trend, sie liegt jetzt an dritter Stelle zwischen 16-18%. Danach kommen die 5Sterne (13-14%, leicht verbessert) und Forza Italia (um 8%, relativ stabil).

Lettas „Strategie des weiten Feldes“

PD-Generalsekretär Enrico Letta, der vor genau einem Jahr die Nachfolge des zurückgetretenen Nicola Zingaretti antrat, hält mit Blick auf die kommenden Kommunalwahlen an seinem Kurs fest, gemeinsam mit Kräften außerhalb der PD eine progressive Alternative gegen die Rechte aufzubauen. Mit seiner Strategie des „campo largo“ („breites Feld“) möchte Letta die PD für Allianzen nicht nur mit der 5SB öffnen, sondern auch mit Gruppen und Parteien links von der PD (wie LEU/Articolo1 von Bersani und Speranza) und im Zentrum (wie Renzis „Italia Viva“ und Calendas „Azione“).

Verbündete?

Dabei dürfe es nicht um „wahltaktische“ Koalitionen gehen, betont der Parteichef, sondern um eine Bündnisbildung auf der Grundlage gemeinsamer inhaltlicher Positionen. Ein Prozess, der nicht durch die Parteiführungen „von oben“ gesteuert, sondern durch die Bürger „von unten“ entwickelt werden solle. Dies soll u. a. durch eine möglichst breite Beteiligung an den sogenannten „Agorà democratiche“ (genannt nach den Versammlungsplätzen im antiken Griechenland) geschehen: Orte des öffentlichen politischen Diskurses – in Zeiten de Pandemie auch in digitalem Format –, an denen alle teilnehmen können, die unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit eine gemeinsame „Wertecharta“ anerkennen und sich bei der Online-Plattform der „Agorà“ anmelden.

Im vorigen Sommer sind die ersten „Agorà“ auf lokaler Ebene gestartet. Die dort vorgeschlagenen und diskutierten Themen werden auf der zentralen Plattform gesammelt; jene, die am meisten Unterstützung finden, sollen in die Erarbeitung einer politischen Agenda einfließen, die nicht nur durch die PD, sondern durch ein breiteres Bündnis getragen wird. Aufgerufen zur Beteiligung sind neben anderen politischen Kräften auch einzelne Bürgerinnen und Bürger, die sich auf unterschiedlichen Ebenen zivilgesellschaftlich bzw. ehrenamtlich engagieren.

Auch wenn die Idee nicht neu ist: Sie ist ein Ansatz, um die Zersplitterung zu überwinden, die das zurzeit größte Hindernis für die Bildung einer politischen Alternative zu der Rechten darstellt. Sie ist zumindest der Versuch, die Ausarbeitung inhaltlicher und programmatischer Fragen nicht allein den „Politprofis“ zu überlassen.

Contes Ambiguität

Angesichts der Differenzen zwischen den potentiellen Bündnispartnern, die von linken Gruppierungen wie LEU bis zu den politisch irrlichternden 5Sternen und dem nach rechts schielenden Renzi reichen, ist dies ein schwieriger Prozess.

Was in Zeiten des Krieges noch offener zu Tage tritt. So zeigt sich gerade jetzt die ganze politische Brüchigkeit der 5SB, die noch vor einem Jahr der privilegierte Partner der PD sein sollte: Die Einschätzungen des Kriegs und der Verantwortung für seinen Ausbruch liegen bei den 5Sternen weit auseinander, wie auch die Haltung zu den Reaktionen Italiens und des Westens. Während die Gruppe der „governisti“ um Außenminister Di Maio ohne Wenn und Aber Waffenlieferungen an die Ukraine und harte Sanktionen gegen Russland befürwortet, verfolgt der Parteivorsitzende Conte – der gerade mit großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt wurde – einen Kurs, den man bestenfalls „diffus“ nennen kann: Er verurteilt zwar die Aggression und die an Zivilisten verübten Gräueltaten, äußert sich aber skeptisch gegenüber den Sanktionen und Waffenlieferungen und lehnt eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts ab.

In einem ausführlichen Interview mit der „Repubblica“ bekräftigte Conte vor einigen Tagen seine Verurteilung der Invasion, warnte aber gleichzeitig vor der Gefahr eines „hemmungslosen Wettrüstens“ der westlichen Länder als Folge des Ukraine-Krieges. Und erklärte, es sei zwar richtig, die Ukraine zu unterstützen, aber man müsse sich davor hüten, „in der Hoffnung, Russland zu bezwingen, die Beendigung des Konflikts hinauszuzögern“. Eine zweideutige Aussage. Meint er etwa damit, dass es besser wäre, wenn sich die Ukrainer ergeben würden? Gefragt, wie aus seiner Sicht eine Beendigung des Konflikts aussehen könnte, betonte er, Europa dürfe sich nicht von den USA allzu abhängig machen, sondern müsse eigenständig „eine politische Lösung vorantreiben, die von der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine ausgeht“. Was das konkret heißt und was man tun müsste, wenn Putin – wie es wahrscheinlich ist – auf eine „politische Lösung und das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine“ pfeift, sagt er nicht. Stattdessen macht er sich Sorgen, dass sich in Italien (und Europa) „auf der emotionalen Welle des Krieges ein Atlantismus alter Prägung mit Bekenntnischarakter“ breit machen könne, mit großem Schaden für Italien und Europa. Damit zielt er auf Draghi und Letta, aber auch auf seinen „Parteifreund“ Di Maio.

Contes Ambiguität ist zweifachen Ursprungs: Rücksichtnahme auf die „putinfreundlichen“ Teile seiner Partei und Streben nach eigener politischer Profilierung mit Blick auf die Wahlen. Mit einer vielleicht persönlichen Komponente: Abrechnung mit Draghi, seinem Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, und Di Maio, seinem Vorgänger an der Spitze der 5Sterne.

Alte Verbündete nähern sich wieder an

Eine offensichtliche Wirkung von Contes ambivalentem Kurs gegenüber dem Ukraine-Krieg ist eine Annäherung an die Rechte, genauer gesagt an Salvini, mit dem er in dieser Frage viele Konvergenzpunkte findet: Verhinderung harter Sanktionen, Bremsen bei Waffenlieferungen und bei einer Erhöhung des Verteidigungsetats.

Manche Kommentatoren sehen darin gar eine Wiederbelebung der Achse Salvini-Conte, wie zur Zeit der gemeinsamen Regierung 2018. Das dürfte überzogen sein, doch die Annäherung der Positionen ist unübersehbar. Sie hat Auswirkungen sowohl auf den Zusammenhalt der Regierung, als auch auf die von Letta angestrebten „progressive Wahlbündnisse“ – angefangen mit den Kommunalwahlen, die in zwei Monaten stattfinden.

Was der PD und deren Generalsekretär große Sorgen bereitet, kommt Salvini gerade recht. Denn auch im Rechtsbündnis hängt das Haussegen schief: die FdI-Chefin Giorgia Meloni – die anders als Conte, Salvini und auch Berlusconi stramm den Regierungskurs mitträgt, obwohl sie in der Opposition ist – geht immer offener auf Distanz zu ihren beiden Verbündeten Lega und Forza Italia. In den Umfragen punktet sie damit und erhebt als nunmehr stärkste Partei immer drängender ihren Anspruch auf die Führung der Rechtskoalition.

Der Krieg verändert, in Italien wie in anderen Ländern Europas, auch innenpolitisch die Landschaft. Und wird sie weiter verändern, je länger er dauert.

Letzte Anmerkung: Nach wochenlangem Schweigen seit dem Beginn der russischen Invasion hat sich Berlusconi gestern auf einem Parteikonvent zu folgendem sensationellen Bekenntnis aufgerafft: Er sei „über Vladimir Putins Verhalten zutiefst enttäuscht und betrübt“ – ungefähr wie ein Lehrer, der seinen unartig gewordenen Lieblingsschüler rügen muss. Aber immerhin mehr als das, was Schröder zustande gebracht hat.