Deutscher Bürgermeister in Florenz?

Aus Italien kommt eine Nachricht, die auch für das deutsche Publikum interessant sein könnte: Im Juni finden in Florenz Kommunalwahlen statt, und der deutsche Kunsthistoriker Eike Schmidt, der frühere Direktor der Uffizien, kandidiert für das frei werdende Amt des Bürgermeisters. Mit der weiteren Besonderheit, dass es die vereinigte Rechte ist, mit den Postfaschisten an der Spitze, die sich für Eike Schmidt als ihren Kandidaten entschieden hat – was man auch umkehren kann: Schmidt hat sich die Rechte auserkoren, damit sie ihn bei seiner Kandidatur unterstützt

Das wirft drei Fragen auf: Erstens warum die Rechte auf die Idee gekommen ist, einen Paradiesvogel mit deutschen Wurzeln und urdeutschem Namen aus Freiburg im Breisgau zu ihrem Kandidaten zu machen. Zweitens warum sich dieser zum Kandidaten der Rechten machen ließ, obwohl er sich selbst politisch als „Mann der Mitte“ und – zumindest bisher – als „Antifaschist“ verortet. Und drittens, ob diese Kandidatur ein Indiz für etwas Allgemeineres ist: dass der italienische Postfaschismus in Wahrheit doch „nicht so schlimm“ ist, wie es ja einige Politiker (von Manfred Weber bis Ursula von der Leyen) und mehrere Journalisten vermelden.

Schmidt, Kandidat der Rechten

Die postfaschistische italienische Rechte will nicht zurück in die 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als Mussolini zu Italiens Alleinherrscher wurde, sondern strebt mit Melonis Orbanismus und Salvinis Putinismus andere Varianten einer autoritären Gesellschaft an. Aber es gibt immer noch Verbindungsglieder zum klassischen Faschismus: Eines ist die Restauration einer Monokultur, die zwar selbst bezogen auf die Vergangenheit eine Fiktion ist, aber der eigenen ethnischen Identität zugerechnet wird. Hier hat die Rechte ein Problem: Sie will den Kulturkampf, der in diese Richtung führt. wofür ihr aber bisher das qualifizierte Personal fehlt, vor allem in Städten wie Florenz, wo sich der politische Führungsanspruch auch dadurch rechtfertigen muss, die lokal angesammelten Kunstschätze auch angemessen verwerten zu können. Wobei „angemessen“ u. a. heißt, mit dem Massentourismus so fertig zu werden, dass er sich für die Bewohner mit dem Erhalt urbaner Lebensqualität vereinbaren lässt.

Aber da gibt es für die Rechte etwas, das eigentlich gegen Schmidt sprechen müsste: Er ist „ein Deutscher“, auch wenn er schon 2015 sein Amt bei den Uffizien angetreten und seit dem vergangenen November auch die italienische Staatsbürgerschaft hat – das richtige Blut der tribalen „italianitá“ hat der in Freiburg geborene Schmidt trotzdem nicht. Warum sonst wehrt sich die souveränistische Rechte mit Händen und Füßen – bisher mit Erfolg – gegen die Einbürgerung von Menschen, die andere Wurzeln haben, aber in Italien geboren und dort zur Schule gegangen sind und Italien als ihr Land betrachten – ihnen fehlt eben immer noch die „italianitá“. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Selbstverständlichkeit der italienische Kulturminister Sangiuliano, auch er ein gestandener Postfaschist, alle derartigen Vorbehalte vom Tisch wischt und sich plötzlich als Anhänger der Verfassung und des Europagedankens offenbart. Aber nur, wenn es um die Person von Eike Schmidt geht:

„Seine Kandidatur zum Bürgermeister von Florenz stärkt den europäischen Gemeinschaftssinn. Florenz ist eine außergewöhnliche europäische Kulturhauptstadt, die in ihrer Geschichte die authentischsten Werte des Kontinents zum Ausdruck bringt. Schmidt würde als erster Bürger der Stadt dem Begriff europäischer Bürger die Weihe geben. Wer diese Entscheidung … kritisiert, verstößt damit nicht nur gegen ein von der Verfassung verbrieftes Recht, welches das aktive und passive Wahlrecht umfasst, sondern zeigt dadurch auch, nur ein Europäer à la carte zu sein, der dem politisch-kulturellen Begriff des Bürgers Europas keinen konkreten Inhalt geben möchte“.

Wunderschön gebrüllt, Herr Minister. Seine Begeisterung, die sich allerdings nur auf die Person von Eike Schmidt bezieht, hat weitere Gründe. Als Direktor der Uffizien erwies er sich als guter Organisator, während dessen achtjähriger Amtszeit sich die Besucherströme vervielfachten – der Stadtkasse, dem Beherbergungswesen und dem Einzelhandel kam es zugute.

Was aber vor allem das Interesse der Rechten an Schmidt geweckt hat, ist die zunehmende Konfrontation, in die er während seiner Uffizien-Zeit mit Dario Nardella (PD) geriet, der etwa zur gleichen Zeit Bürgermeister von Florenz war. Zu dieser Zeit war die Stadt immer noch eine Hochburg der Linken, in der sich auch Nardella ein paar Verdienste zurechnen konnte, z. B. die Begrünung der Stadt und die Modernisierung der urbanen Straßenbahn (die ihm allerdings den Zorn der florentinischen Taxifahrer eintrug). Dass er sich trotzdem auch für den Erhalt der städtischen Kunstschätze einsetzte, zeigte der Clinch, in den er im März 2023 mit einem Aktivisten der Last Generation ging, als der gerade begonnen hatte, das städtische Rathaus (den „Palazzo Vecchio“) zu besprühen (You Tube hat die Szene verewigt). Er wurde zweimal zum Bürgermeister gewählt, ohne Stichwahl gleich mit absoluter Mehrheit. Da ihm die italienische Gemeindeordnung eine dritte Amtszeit verbietet, kandidiert er jetzt als Repräsentant der PD für das Europaparlament. Als Nachfolgerin für das Bürgermeisteramt hat er Sara Funaro vorgeschlagen, seine bisherige Assessorin für soziale Angelegenheiten.

Und Schmidt sieht seine Chance gekommen.

Mutation zu Law and Order

Hinter der zunehmenden Konfrontation standen unterschiedliche Charaktere, aber offenbar auch unterschiedliche Ordnungsvorstellungen, die Schmidt letztlich dafür prädestinierten, zu einem Kandidaten der Rechten zu werden, Es begann 2016, also ein Jahr nach seinem Amtsantritt in den Uffizien, als er sich zu einer Aktion „in bester Absicht“ entschloss: Er ärgerte sich so sehr über die Schwarzhändler für überteuerte Uffizien-Tickets, dass er ihnen auf dem Uffizien-Vorplatz mit Stentorstimme und Megafon zu Leibe rückte. Die Aktion erregte Aufsehen, aber hatte letztlich nur eine Wirkung: Die Stadt brummte ihm wegen unbefugten Megafon-Einsatzes eine Geldstrafe von 422 € auf (reduzierbar auf 295, wenn er innerhalb von 5 Tagen zahlte). Schmidt zahlte, aber zeigte zum ersten Mal seine Stacheln: Er machte aus der Zahlung ein Presse-Event, indem er sich persönlich ins Rathaus begab, mit tutti i sacramenti, das heißt vorbestellten Fotografen usw.

In den folgenden Jahren mehrten sich zwischen beiden die Reibungspunkte: Schmidt beklagte sich über unabgeholten Müll nicht nur vor den Uffizien, sondern auch im Stadtpark, der zu einer „Bühne des internationalen Rauschgifts“ geworden sei. Und er begann gegen seinen Kollegen Sergio Risaliti zu sticheln, den Direktor des städtischen Museo Novecento, der nur „Blockbuster-Ausstellungen“ veranstalte und im Übrigen völlig überbezahlt sei. Wohinter andere Eingeweihte (wie der Münchener Autor und Cinéast Georg Seeßler, siehe seinen Artikel „Mit Schirm, Charme und Meloni“ am 18. 4. im „Freitag“) eine kulturpolitische Auseinandersetzung über die Aufgabe von Kunstmuseen sehen: Für Schmidt bestehe ihre Hauptaufgabe darin, das „Erbe“ zu bewahren, während Risaliti einen eher experimentellen und offenen Kunstbegriff verficht. Zu einer weiteren Auseinandersetzung kam es in der Frage, wie dem zunehmenden Vandalismus zu begegnen sei, der im vergangenen Herbst auch die Museen von Florenz erreichte: Schmidt engagierte für seine Uffizien einen privaten Wachdienst, „der – wie Seeßler schreibt – in und um sein Museum martialisch für Ruhe sorgt“, während sich Nardella gegen eine „Militarisierung der Museen“ und für eine „vigilanza educativa“ einsetzte: „Gegen Vandalismus und Ignoranz investieren wir in Bildung und bürgerliche Erziehung“.

Und dann kam noch etwas hinzu, was Italiens Rechte – beginnend mit Kulturminister Sangiuliano – davon überzeugte, dass Eike Schmidt der richtige Mann ist, um die „rote Festung Florenz“ zu schleifen. Der Mann, der sich bis dahin manchmal als „Antifaschist“und manchmal für „weder links noch rechts“ erklärt hatte (weil das „überholte“ Kategorien seien), absolvierte seinen Kotau vor der neuen Macht. Vor anderthalb Jahren bescheinigte er dem neuen Kulturminister Sangiuliano, ein „sehr gemäßigter rechter Politiker“ zu sein (der ihn dafür jetzt mit der vorbehaltslosen Unterstützung seiner Kandidatur belohnt). Dann erweiterte Schmidt dies auf Giorgia Meloni und ihre gesamte Partei, die doch sehr „pragmatisch“ seien: Sie stünden zwar „weit rechts“, aber hätten sich doch auch „zur Mitte geöffnet“ – womit er wohl erst einmal sich selbst meint. Ein Urteil, das in seiner Verschwommenheit über alles hinwegschaut, was gerade im Moment auch im Medienbereich geschieht: die Gleichschaltung des öffentlichen Fernsehens, das Auftrittsverbot für unabhängige Köpfe wie Saviano und Scurati. Eike Schmidt hat sich offenbar ausgerechnet, dass ihn auch die neue autoritäre Rechte nicht daran hindern wird, weiter das „Erbe“ zu hüten, das er zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat.

Der Tisch ist (halb) gedeckt

Nachdem er im vergangenen Jahr sein Amt als Direktor der Uffizien aufgeben musste – auch hier wegen irgendwelcher Amtsdauerbeschränkungen – wurde er zum Direktor des Nationalmuseums Capodimonte in der Nähe von Neapel berufen. Auf den ersten Blick eine fast gleichwertige Stellung, auf den zweiten Blick eine gefühlte Degradierung. Also hat sich Schmidt erst einmal von diesem Posten beurlauben lassen. Denn der Bär tanzt nicht in Neapel, sondern in Florenz, vor allem in Verbindung mit der Aussicht, dort im Juni Bürgermeister werden zu können. Die Linke ist zersplittert, und die Prognosen geben Schmidt schon jetzt über 30%. Wenn es zumindest zur Stichwahl kommt, hat er seine Chance, zumal dann Freunde auf den Plan treten werden, die in Florenz immer noch über Einfluss verfügen – Freunde wie Matteo Renzi, der damit einmal mehr beweisen könnte, dass er nicht mehr zur Linken, sondern in die politische Gegend gehört, die er „die Mitte“ nennt.

Georg Seeßler schreibt resümierend in seinem „Freitag“-Artikel: „Eike Schmidt ist ein besonders begabter Darsteller für das verräterische Drama einer kulturellen Legitimierung der Anti-Demokratie.“ Ein Darsteller, der dadurch auch selbst zu einem Teil dieses Dramas wird.

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