Grillini in Bewegung

Was ist in der 5-Sterne-Bewegung (5SB) los? Nach dem eigenen schlechten Abschneiden und dem Triumph Renzis bei den Europa-Wahlen hat sie eine überraschende taktische Wendung vollzogen: Hieß es früher „Wir verhandeln mit niemanden, schon gar nicht mit der PD“, kann jetzt Renzi, den Grillo „l‘ ebetino di Firenze“ („der kleine Kretin aus Florenz“) nannte, sich vor grillinischen Gesprächsangeboten kaum noch retten.

Di Maio gewinnt an Einfluss

Luigi Di Maio

Luigi Di Maio

Hauptakteur der „neuen Linie“ ist allerdings nicht Grillo, sondern der junge Luigi Di Maio, der auch Vizepräsident der Abgeordnetenkammer ist und den Charme eines Klassenprimus hat. Angeblich unterstützt ihn die „graue Eminenz“ Casaleggio, der bisher als Alter Ego von Grillo galt. Unklar ist, wie tief inzwischen der Dissens zwischen beiden und Grillo ist. Als die PD ein zweites Treffen absagte – mit der Begründung, die 5SB müsse vor weiteren Gesprächen erst einmal schriftlich 10 Fragen zu den Reformvorhaben beantworten, welche ihr die PD gestellt hatte -, reagierte Grillo in seinem Blog gewohnt aggressiv („eingebildete Wichtigtuer“). Während Verhandlungsführer Di Maio weitere Gesprächsbereitschaft signalisierte. Nach einigen Tagen ruderte Grillo zurück und erklärte, auch er sei offen für Verhandlungen,.zwischen ihm und Di Maio gebe es keinen Dissens.

Auch wenn die 5SB zunächst beanstandete – übrigens völlig zu Recht, wie ich finde -, Renzi verlange nur von ihr schriftliche Antworten, nicht aber von Berlusconi, mit dem er sich ohne Vorbedingungen getroffen und geeinigt habe: Ein paar Tage später kam dann doch über Grillos Blog die schriftliche Antwort auf alle 10 Fragen, auf den ersten Blick mit überraschend positivem Tenor.

10 Fragen, 10 Antworten

Die wichtigsten Fragen der PD betrafen die Änderung des Wahlgesetzes (Mehrheitsprämie für den Wahlsieger, ggf. Stichwahlen zwischen den zwei stärksten Parteien/Koalitionen), die Abschaffung des „perfekten Zweikammersystems“ (in dem bisher der Senat gleiche Kompetenzen wie die Abgeordnetenkammer hat), die Reform der regionalen Zuständigkeiten und die Immunität der Abgeordneten. Die 5SB erklärt sich in all diesen Punkten mit der PD einverstanden, allerdings mit jeweils eigenen „Interpretationen“ und Vorschlägen, die das Einverständnis wieder einschränken bzw. ad absurdum führen. Zum Beispiel wenn die Mehrheitsprämie (die im PD-Vorschlag ab einem Wahlergebnis von 37 % greifen und 15 % der Sitze betragen soll) davon abhängig gemacht wird, dass der Wahlsieger 50 % der Stimmen erreicht, um ihm dann einen Bonus von 2% zu geben. „Ziemlich lächerlich“, kommentierte Renzi, der jedoch gleichzeitig die „grundsätzliche Gesprächsbereitschaft“ der Grillini lobte und ihnen bescheinigte, sich bei einigen bis dahin kontroversen Punkten „bewegt“ zu haben. So zum Beispiel mit ihrer Zustimmung zu einer Stichwahl, wenn aus der ersten Runde kein solcher Wahlsieger hervorgegangen ist. Dies ist in der Tat überraschend. Vielleicht wittert die 5SB die Chance, aus Wahlen neben der PD als „zweite Kraft“ hervorzugehen und die Stichwahl – mit Stimmen aus den abgeschlagenen Konkurrenten Forza Italia und Lega – gewinnen zu können. Dafür spricht, dass die 5SB, die sich bisher gegen jede Koalition wehrt, die Mehrheitsprämie nicht einer Koalition, sondern einer Partei zukommen lassen möchte.

Unabhängig davon, wie man die Antworten der 5SB auf die 10 Fragen der PD im Einzelnen bewertet, und auch wenn es sich „nur“ um ein taktisches Manöver handelt: Fakt ist, dass ein Wechsel von der konsequenten Gesprächsverweigerung und rituellen Beschimpfung hin zu Verhandlungen über konkrete Fragen stattgefunden hat. Der Regisseur dieser „neuen Phase“ ist nicht Grillo, sondern Luigi Di Maio – mit dem „Guru“ Casaleggio im Hintergrund. Allerdings missfällt vielen Grillini Di Maios gewachsener Einfluss. So formieren sich innerhalb der 5SB-Fraktionen in Abgeordnetenkammer und Senat wie auch im Netz die Truppen: auf der einen Seite „Realos“, auf der anderen „Fundis“. Grillo scheint bisher zwischen beiden Flügeln zu schwanken: Mal attackiert er Renzi und die PD mit gewohnter Heftigkeit, mal postet er „Die 5SB hat die Pflicht, das Wahlgesetz zu verbessern, und wird es auch konsequent versuchen“.

Flügelkämpfe

Auch wenn Grillo die Widersprüche zwischen sich und Di Maio bestreitet: Es gibt sie. Was zunächst – unabhängig vom Ausgang der internen Auseinandersetzung – positiv ist. Denn es deutet darauf hin, dass die unangefochtene Herrschaft zweier „Führer“, die Kritiker denunzieren und rausschmeißen, zu schwinden beginnt. Und es sieht bisher nicht danach aus, als ob Di Maio so einfach auszuschalten wäre wie mancher Dissident zuvor. Er kann auf Unterstützung zählen: nicht nur von Casaleggio, sondern auch in den Fraktionen und an der Basis.

Renzi bietet diese neue Situation die komfortable Möglichkeit, sowohl auf Berlusconi als auch auf die 5SB den Druck zu erhöhen, indem er gegenüber beiden Gesprächsbereitschaft zeigt und gleichzeitig signalisieren kann: „Wenn wir uns nicht einig werden, bitte sehr: Ich bin nicht unbedingt auf euch angewiesen“. Was natürlich nicht ganz stimmt. Denn – zumindest bisher – ist klar, wer der privilegierte Bündnispartner Renzis ist: weder Grillo, Casaleggio noch Di Maio, sondern Berlusconi. Die mit ihm bereits vereinbarten „Eckpunkte“ wird Renzi nicht zur Disposition stellen. Auch bei zentralen Fragen, wie zum Beispiel die Direktwahl des neuen Senats (Renzi dagegen, 5SB dafür), ist der Ministerpräsident nicht verhandlungsbereit. Weswegen die Grillini zu Protestdemonstrationen aufrufen. Der Spielraum für eine tatsächliche Annäherung ist denkbar eng.

2 Kommentare

  • manella schlitter

    wie soll italien je gesunden, mit solch laecherlichen hahnenkaempfen und taktierereien.
    das einzige mal, als diese brut kapiert hat, dass es ernst ist, und reformen sofort zustimmte, war, als der spread bei 500 angelangt war.
    dank draghis beteuerungen, alles zu tun, um den euro zu retten, ist alles beim alten. man laesst sich alle zeit der welt, um etwas wirklich zu aendern, schwaetzt, taktiert, denkt an sich selber, also waehlerstimmen.
    den abgrund, vor dem monti angst machen konnte, vor sich herschiebend.

  • Die Halbwertzeit der italienischen Oppositionsgruppen hat sich weiterhin reduziert: was manche (ich auch ) befürchtet hatten, ist prompt passiert.Nach kurzert Zeit im Parlament „konvertieren“ auch die kühnsten Widersacher der faulen etablierten Parteien zu deren „Religion“ (=sich arrangieren, um die Macht untereinander zu verteilen). Es ist zwar noch nicht ganz so weit mit der M5S, aber man siehr es ja kommen. Letzen Ende ist es den Italienern auch egal: die Mehrheit der Wähler hat sich sowieso von der Politik innerlich verabschiedet, und der „Triumphzug“ von PD und Renzi darf nicht darüber hinweg täuschen, dass zwar viele nochmals eine kleine Wende gehofft hatten, aber ohne wirklich daran zu glauben. Sicherlich nicht die Hunderttausende die im letzten Jahr emigriert sind. Objektiv gesehen, es spielt keine Rolle mehr, wer in Italien in der Zukunft regiert, denn die Regeln werden in Bruxelles diktiert. Eine Wende könnte nur noch durch einen Volksaufstand (danach sieht es aber nicht aus) oder eine starke Verschärfung der Krise in Europa, gefolgt vom Kollaps der Einheitswährung Euro. Eher wahrscheinlich ist aber die endgültige Verabschiedung Italien in die wirtschaftliche zweite oder dritte Liga, denn die De-Industrialisierung ist leider so weit fortgeschritten, dass an einer Umkehrung kaum zu denken ist. Italien ist wieder zurück in die Renaissance katapultiert worden, eine machtlose „geographische Gegebenheit“. Geändert hat sich nur die bekannte Floskel (nicht mehr „Francia o Spagna purché se magna“, sondern „Tutti dicono Germania“ , denn die Zeit der große Migration ist wieder aufgebrochen, „si salvi chi può“.

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