Der Keil des Franziskus

Man sage nicht, dass Papst Franziskus nur schöne Predigten hält. Seitdem er am 21. Juni in der kalabresischen Sibari-Ebene die Mitglieder der Mafia öffentlich vor 200 000 Gläubigen exkommunizierte, ist in Süditalien buchstäblich der Teufel los. 200 Insassen des Gefängnisses von Larino fühlten sich angesprochen und erklärten dem Gefängnispfarrer, nun nicht mehr zur Messe zu kommen. Zumal für einen ihrer Mithäftlinge, den `Ndrangheta-Boss Figliuzzi, eigentlich eine feierliche Firmung durch den Bischof anstand, die aber nun in Frage gestellt war. Eine gute Begründung für den Streik: Wer von den Sakramenten ausgeschlossen sei, für den habe auch der Besuch der Messe keinen Sinn mehr.

Die bestreikte Heilige Messe

Aber der Messe-Streik bedeutete mehr. Denn Franziskus verband seine Reise nach Kalabrien, die in der Exkommunikation gipfelte, mit einem Gefängnisbesuch in Castrovillari, in dem er die Einsitzenden eindringlich („auch ich mache Fehler, auch mir muss verziehen werden“) zur Umkehr aufforderte. Roberto Saviano, ein Experte für das Thema Mafia und Kirche, deutet deshalb den Streik als „Erneuerung des Treueschwurs gegenüber der `Ndrangheta, … eine Geste, welche die Organisation selbst erreichen soll. Nach der Exkommunizierung hätte der Gang zur Messe den Eindruck erwecken können, dass sich die Mitglieder auf den von Franziskus angemahnten Weg der Reue begeben, d. h. des Verrats … Der Messe-Streik demonstriert, dass man noch zu den Männern von Ehre gehört – über jeden Verdacht erhaben, sich von den Regeln der Ehrenwerten Gesellschaft zu entfernen.“

Saviano erinnert an die Bedeutung katholischer Symbole für die `Ndrangheta. Beim Ritual des Eintritts muss in den zum Kelch geformten Händen des Aspiranten ein Heiligenbildchen des Erzengels Sankt Michael verbrennen, während er den Eid spricht: „Im Namen unseres Herrn Jesus Christus schwöre ich vor dieser Gesellschaft die Treue zu meinen Genossen, und dafür auch Vater, Mutter, Brüder, Schwestern zu verleugnen, notfalls auch mein eigenes Blut“. Eine Osmose, in die nun die Exkommunikation des Papstes den Keil des Entweder-Oder treibt. Dass es zu wirken beginnt, auch das bedeutet der Messe-Streik von Larino.

Die Prozession von Oppido Mamertino

Vor dem tatsächlichen Aufbrechen der Verbindung liegt noch ein langer Weg. Am 2. Juli wurde wieder einmal die Madonna durch das kalabresische Städtchen Oppido Mamertina getragen. Vorneweg, wie immer, die Priester, der Bürgermeister (mit Schärpe), die Mitglieder des Gemeinderats und ein paar Rollstuhlfahrer. Dann die Bevölkerung. Mittendrin gut 20 junge Männer im weißen Hemd. Auf ihren Schultern liegen Holzlatten, mit denen sie gemeinsam die schwere Barock-Statue tragen. Die Prozession kommt im Zentrum nur langsam voran, ein Priester intoniert „Evviva Maria“, das Volk fällt ein. Dann der Moment, um den es geht: Die jungen Männer, die die Statue tragen, halten wie von Geisterhand gelenkt an und drehen die Madonna zu einem Palazzo hin. Die ganze Prozession steht, etwa eine halbe Minute lang. Dann geht es weiter.

Es ist nicht irgendein Palazzo, dem die Madonna zugekehrt wird. In ihm lebt der 82-jährige Peppe Mazzagatti, seit 11 Jahren in Hausarrest. Er ist ein lokaler Wohltäter und Sponsor kirchlicher Feste und gehört zur `Ndrangheta. Vor 40 Jahren baute er sich mit Mord und Erpressung im Zementtransport ein regionales Monopol auf. In den 90er Jahren war er Protagonist einer Mafia-Fehde, bei der in Oppida Hunderte von Menschen starben, darunter auch sein eigener Sohn. 2003 wurde seine lebenslängliche Haft (wegen Mordes und Zugehörigkeit zur Mafia) aus Gesundheits- und Altersgründen in Hausarrest umgewandelt. Mit dem Halt der Prozession vor seinem Haus und der ihm zugewandten Madonna wird ihm Respekt erwiesen. Wenn der Bürgermeister erklärt, dass es den Halt an dieser Stelle „schon immer“ gegeben habe, „seit mindestens 30 Jahren“, sagt er nichts anderes, als dass diese Respektbezeugung hier längst zur Tradition geworden ist.

Eine Tradition, hinter die nun der neue Papst ein Fragezeichen setzt. Die einzigen, die es vorerst erreicht, sind die begleitenden Carabinieri, die beim Halt den Schauplatz verlassen – auf Befehl ihres Maresciallo, der weiß, in welche Komplizität er sich sonst begibt. Alle anderen spielen mit: die Priester, der Bürgermeister, das Volk.

Liebe deinen Nächsten

In Oppido vor der Kirche

In Oppido vor der Kirche

Man kann es auch so ausdrücken: Ganz „unten“ ist die Botschaft von Franziskus noch nicht angekommen. Zwar beeilten sich anschließend die Bischöfe in den anderen Städten, sich von dem Stopp zu distanzieren. Der Bischof von Cassano, der zugleich Sekretär der italienischen Bischofskonferenz ist, sagte, „die Statue, nicht die Madonna“ habe dem Mafia-Boss ihren Respekt erwiesen. Eine Klarstellung fürs Protokoll, um den Eindruck zu vermeiden, dass es hier eine Differenz zwischen dem Papst und der Madonna geben könne. Aber als ein paar Tage später in der Kirche von Oppida wieder die Messe gefeiert wird und der Priester den Journalisten einer auswärtigen Zeitung identifiziert, die kritisch über den Fall berichtete, fordert er die Gläubigen auf, ihn „mit Ohrfeigen zu entfernen“. Er kennt die Stimmung seiner Schäfchen, und draußen vor der Kirchentür zeigen sie den Nestbeschmutzern, wo es lang geht (s. Foto). Haut ab, ihr wollt uns nur mit Dreck bewerfen. Don Peppe bringt Geld in die Stadt und ist ein guter Mensch, er half meinen Verwandten und Bekannten. Woher das Geld kommt? Man weiß es und will es nicht wissen. Die Gedankensperre ist mörderisch. Wir lieben unsere Nächsten.

Aber Vorsicht: Solche Sperren gibt es auch bei uns Deutschen. Wenn heute ein paar Fremde, vielleicht sogar Schwarze in unseren Städten und Dörfern auftauchen, feiern wir unsere Willkommenskultur. Nur wenige fragen, was denen geschah, die nicht kommen. Ist ja auch ein komplizierter Gedanke. Unser Gewissen ist gut, wie bei den Leuten von Oppido.