Zwischen Autismus und Allmachtsphantasien

„Rodotà ist zwar achtzig, aber in Wirklichkeit ist er jünger als die Jungen!“ rief Grillo entzückt, als er den Kandidaten der 5-Sterne-Bewegung (M5S) für das Amt des Staatspräsidenten bejubelte. „Rodotà ist ein Achtzigjähriger, den das Web durch ein Wunder wiederbelebt hat, aufgetaucht aus der Tiefkühltruhe, in die ihn seine eigenen Leute (die PD, M.H.) deponiert hatten“, las man ein paar Wochen später in Grillos Blog.

Selbstverliebter Narziss

Selbstverliebter Narziss

Wie das? Ganz einfach: Rodotà hat es gewagt, in einem Interview mit dem „Corriere della Sera“ kritische Anmerkungen zur Arbeit der M5S, der Rolle des Webs und dem Führungsstil Grillos und Casaleggios zu äußern. Was nicht geht, denn das Recht, andere zu kritisieren bzw. viel mehr wüst zu beschimpfen gebührt natürlich allein Grillo. Also ging es Rodotà genauso wie der Journalistin Milena Gabanelli, auch sie zunächst Präsidentschaftskandidatin der Grillini, auch sie erst gefeiert und gelobt („Eine Journalistin mit Rückgrat! Eine wirkliche Dame!“). Nachdem Gabanelli – eben eine Journalistin mit Rückgrat – in ihrer Sendung „Report“ eine kritische Recherche über die Finanzierung von Grillos Blog brachte, wurde auch sie exkommuniziert. Er werde mit Rodotà, Gabanelli und überhaupt allen Journalisten „abrechnen“, drohte nun Grillo („Ich vergesse nie!“). Die so Attackierten reagierten gelassen. Gabanelli, achselzuckend: „Ich bin es gewohnt, beschimpft zu werden“. Rodotà, trocken: „Ich lag eigentlich noch nie in einer Tiefkühltruhe“.

Kritik als Sündenfall

Rodotàs Anmerkungen waren nicht besonders sensationell, eher Selbstverständlichkeiten: Das Netz reiche zur politischen Beteiligung und Kommunikation allein nicht aus, ebenso wenig wie die Anweisungen von zwei Leadern (Grillo und Casaleggio); parlamentarische Arbeit erfordere auch andere Formen der Zusammenarbeit („Es ist ja nicht so, dass man vor dem Einbringen eines Änderungsantrags in einem Parlamentsausschuss erst eine Web-Umfrage machen kann“), Kompetenz und freie Wahrnehmung von Verantwortung seien für Abgeordnete unerlässlich.

Genug, um Grillo in Rage zu bringen. Schon dass Rodotà ein solches Interview gegeben hat, erbost ihn: „Warum ruft er mich nicht an, wenn er Kritik hat? Statt dem Corriere ein Interview zu geben?“. Man stelle sich vor: Stefano Rodotà – renommierter Verfassungsrechtler, national und international anerkannt, politisch und zivilgesellschaftlich seit Jahrzehnten an vorderster Stelle engagiert – wird von Corriere wegen eines Interviews zum M5S angefragt und antwortet: „Oh nein, meine Herren! Ich habe dazu zwar eine Meinung, aber werde sie nicht Ihnen, sondern nur dem Herrn Grillo persönlich mitteilen – oder ihn zumindest vorher um Erlaubnis bitten, Sie wissen doch, wie empfindlich er ist!“.

Nach den verlorenen Kommunalwahlen dreht der gute Beppe vollends durch. Er meint, er kann mit Rodotà umspringen wie mit „seinen“ Abgeordneten und überhaupt mit seinen Anhängern: Ich entscheide (nach vorheriger Rücksprache mit Casaleggio), wer wann zu wem etwas sagt. Und wer sich nicht daran hält, „den schmeiße ich mit Arschtritten raus“.

Unzufriedenheit in M5S wächst

Erfreulicherweise funktioniert dieser ach so demokratische Grundsatz auch bei seinen eigenen Leuten immer weniger. Die kritischen Kommentare in Grillos Blog (ein eigener M5S-Blog existiert immer noch nicht) häufen sich. Nach der Attacke auf Rodotà lautete der Kommentar mit den höchsten Zustimmungswerten: „Es bestätigt sich einmal mehr Beppes ‚modus vivendi’: Gibst Du mir Recht, bist Du ein Genie – kritisierst Du mich, bist Du ein korrupter und vertrottelter alter Sack“.

Auch unter den M5S-Abgeordneten wächst Kritik am Herrschaftsgehabe und an den unqualifizierten Tiraden ihres narzisstischen Führers. Ungeachtet des auferlegten Maulkorbs distanzieren sie sich offen und äußern ihre Ungeduld, endlich konkrete politische Arbeit leisten zu können, statt sich nur mit sich selbst und mit Grillos Weisungen zu beschäftigen. Parallel dazu machen sich Nervosität und gegenseitige Verdächtigungen breit. Es ist die Rede von „Spionen“ innerhalb der eigenen Reihen. Schon ein Treffen von einigen Abgeordneten in der Pizzeria wird als Verschwörung „entlarvt“.

Eine ungute Entwicklung, welche die Erneuerungsimpulse, die in der M5S auch enthalten sind, zu ersticken droht. Dem könnte durch eine offene Diskussionskultur und durch transparente Strukturen und Entscheidungsprozesse innerhalb der Bewegung begegnet werden. Doch dazu sind der ewig monologisierende Grillo und seine graue Eminenz Casaleggio offenbar nicht fähig, oder sie wollen es nicht. Stattdessen panzern sie sich immer stärker, nach außen wie nach innen. Das M5S-Motto „Ognuno vale uno“ („Jeder zählt gleich“) wirkt angesichts des Führungsstils und der Allmachtsphantasien von Grillo grotesk. „Am Ende werden nur ich und Berlusconi übrig bleiben. Und von beiden wird nur einer gewinnen – ratet mal, wer das sein wird!“ ruft der Autist (vor ein paar Tagen im sizilianischen Mascalucia). Wenn er sich da mal nicht täuscht …