Der „halbe“ Presidenzialismo

Eines der Fragezeichen, die über der Regierung Letta stehen, ist ihre Dauer. Zwar hat Letta eben verkündet, er wolle die ganze Legislaturperiode von 5 Jahren überstehen, aber das scheint nicht einmal Staatspräsident Napolitano zu glauben. Meist ist jetzt von 2 Jahren die Rede (sofern ihr nicht B. vorher den „Stecker rauszieht“). Das wäre schon mehr, als eine kurze Notregierung bräuchte, um vor Neuwahlen ein verändertes Wahlgesetz, eine Reform der Parteienfinanzierung und ein paar wirtschaftliche Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Die neue Regierung will mehr: Sie will auch institutionelle Reformen wie die überfällige Reform des Zwei-Kammer-Systems, Verminderung der Abgeordneten, Abschaffung der Provinzen.

Das wäre die Krönung...

Das wäre die Krönung…

B.s alte Lieblingsidee

B. fühlt sich stark, weil die PD gespalten und führungslos ist und die PdL in den Umfragen (trotz schlechter Kommunalwahlergebnisse) vorn liegt. Mit der Drohung, man könne ja jederzeit zu den Wahlurnen zurückkehren, will er die Wohnungssteuer abschaffen, er versprach es im Wahlkampf. Obwohl man auf den ersten Blick nicht ganz den Grund versteht – als ob Italien gegenwärtig keine anderen Probleme hat -, holt er auf institutionellem Gebiet auch eine alte Lieblingsidee aus der Versenkung: den „Semipresidenzialismo“, das „halbe“ Präsidialsystem nach französischem Vorbild.

Von einer parlamentarischen Demokratie unterscheidet es sich vor allem dadurch, dass

  1. der Staatspräsident direkt in einem eigenständigen Wahlgang vom Volk gewählt wird und faktisch unabsetzbar ist;
  2. dass der Ministerpräsident, mit dem er die Exekutivgewalt teilt, von ihm eingesetzt wird und von ihm auch jederzeit wieder abberufen werden kann;
  3. dass zwar auch das Parlament dem Ministerpräsidenten das Misstrauen aussprechen kann, es dann aber der Staatspräsident ist, der ihn abberuft und durch einen neuen ersetzt;
  4. dass unter bestimmten Voraussetzungen der Staatspräsident das Parlament auflösen kann.

Eingriff in die Verfassungsarchitektur…

Es wäre ein erheblicher Eingriff in die demokratische Architektur Italiens. Die Macht und politische Einflussmöglichkeit des Staatspräsidenten würde wachsen, zu Lasten von Parlament, Parteien und Ministerpräsident. Und letztlich auch zu Lasten der Bürger, deren Möglichkeiten zur Partizipation – trotz Direktwahl – in der Summe schrumpfen würden. Außerdem würde es die zur Demokratie gehörenden Checks and Balances verändern. In Italien ist es vor allem der Staatspräsident, der als überparteilicher Garant der Verfassung fungiert. Würde er künftig direkt gewählt, verlöre er diese Überparteilichkeit. Soll Italien eine Demokratie bleiben, müsste eine andere Institution die Funktion eines solchen Garanten übernehmen, z. B. ein entsprechend bevollmächtigtes Verfassungsgericht. Die Trennung von politischer und medialer Macht wäre – natürlich! – Voraussetzung.

… für B. wäre es die Rettung

Aber solche Erörterungen bleiben Baukastenspielchen, wenn man den konkreten Kontext vergisst. Und erst dieser Kontext macht deutlich, warum vor allem B. diese Reform so wichtig ist:

  1. B. sieht im „Semipresidenzialismo“ seine letzte Chance, um dem Gefängnis und dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zu entkommen. Er will ihn, um selbst Staatspräsident zu werden. Das Vorbild, die französische Verfassung, stattet den Präsidenten mit dem aus, worum es B. geht: umfassende Immunität gegen gerichtliche Verfolgung. Angesichts der Gespaltenheit seiner Gegner scheint seine Direktwahl nicht aussichtslos.
  2. B. denkt nicht daran, eine vorherige Regelung des Interessenkonflikts zuzulassen. Würde unter dieser Voraussetzung der Semipresidenzialismo eingeführt, hätte der Staatspräsident auch das Medienmonopol.
  3. Er verbindet die Kampagne für die Direktwahl des Staatspräsidenten mit einer Kampagne gegen die Unabhängigkeit der Justiz.

Die Kontur des von B. angestrebten Semipresidenzialismo wird deutlich: eine Operation ad Personam, nicht um Italien, sondern um sich zu retten. Eine Operation, welche die demokratische Gewaltenteilung und das Gleichgewicht von Checks and Balances durch ein autoritär-populistisches Regime ersetzen würde.

Ein Teil der Linken spielt mit

Die PD ist wieder einmal gespalten. Wie viele Verfassungsrechtler lehnen auch Teile der PD (Bersani, Rosy Bindi, D’Alema) den „Semipresidenzialismo“ entschieden ab, andere (z. B. Renzi, Veltroni, Prodi) sympathisieren mit ihm. Man fragt sich: Warum? Die PD ist in der Krise, sie findet keine Linie. Einige flüchten sich in die Idee, dass das Problem nicht in der PD, sondern in den Institutionen liege. Als die Krise bei der missglückten Wahl des Staatspräsidenten unübersehbar wurde, erklärte Letta, dass man den Staatspräsidenten nie wieder „nach den bisherigen Regeln“ wählen sollte. Also „Presidenzialismo“, weil es die PD nicht schafft, sich auf einen Kandidaten zu einigen? Ein ziemlich erbärmlicher Grund, um die Verfassungsordnung auf den Kopf zu stellen (als ob es sich dabei nur um eine „Regeländerung“ handeln würde).

Natürlich gibt es in Italien eine Sehnsucht nach dem „starken Mann“, der Ordnung schafft (eine Sehnsucht, die manchen auch die Erinnerung an Mussolini verklärt). Es wäre eine weitere Illusion. B. hat nicht das Zeug zum Saubermann, der mit eisernem Besen den Augiasstall ausmistet. Ein auf ihn zugeschnittenes autoritäres Regime mit Medienmonopol und ausgeschalteter Justiz würde Gesetzlosigkeit, Vetternwirtschaft und Korruption zur Staatsräson machen. B. hat daran ein persönliches Interesse, das ist klar. Es wäre jedoch fatal, wenn die PD ihm dafür den Steigbügel hält. Unter anderem weil sie vor der Aufgabe kapituliert, sich selbst zu reformieren.