Regierungssturz zwischen zwei Gerichtsurteilen

Vor einigen Tagen berichtete SPIEGEL-ONLINE über die Provokationen und Rüpeleien, mit denen B. seinen Wahlkampf würzt: Schuld an der Krise sei „Merkels Liebling“ Monti, den B. leider zu spät durchschaut habe; die Staatsanwältin im Ruby-Prozess gehöre selbst „vor Gericht“; die ihn interviewende Journalistin solle „zum Ohrenarzt gehen“; das Gericht, das ihn zu täglich 100 000 € Unterhalt für seine geschiedene Frau verurteilte, sei „feministisch-kommunistisch“. Und dann seine Versprechungen: Steuersenkungen, Millionen von Jobs. B. garantiert Unterhaltung, der nicht nur der SPIEGEL auf den Leim geht, sondern auch die vielen Fernsehsender, die ihm noch das Forum für seine Auftritte bieten.

B. erklärt das Urteil im Mediaset-Prozess zum „Mitgrund“

Aber das Wichtigste ließ sich der SPIEGEL entgehen: Am 16. Januar räumte B. öffentlich ein, ein „Mitgrund“ („concausa“) für den Sturz der Monti-Regierung sei das Urteil im Mediaset-Prozess gewesen. Man erinnert sich: Am 26. 10. hatte ihn ein Gericht wegen Steuerhinterziehung zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt (von denen ihm 3 wegen „Überfüllung der Gefängnisse“ erlassen werden) und ihm für 5 Jahre das Recht aberkannt, ein öffentliches Amt zu bekleiden. B., der natürlich sofort in Berufung ging, verkündete in der anschließenden Pressekonferenz, dass es so „in Italien nicht weitergehen“ könne. Schon damals gab es Mutmaßungen, dass er der Regierung Monti vorzeitig die Unterstützung entziehen könne, um endlich freie Hand für seinen Feldzug gegen die Justiz zu haben.

Ilda Boccassini

Ilda Boccassini

Der Hauptgrund: Urteilsverkündung im Ruby-Prozess

Aber für B. war das Mediaset-Urteil nur ein „Mitgrund“ für Montis Sturz. Dieser erfolgte Anfang Dezember, woraufhin man sich gleich fragte, warum B. nicht noch zwei Monate bis zu den sowieso fälligen Neuwahlen warten konnte (spätestens im April, was die Auflösung des Parlaments im Februar erfordert hätte). Hier war der Grund ein weiterer näherrückender Termin: das Urteil im Ruby-Prozess (Amtsmissbrauch, Prostitution Minderjähriger). Die „Repubblica“ fand heraus, dass B. am 1. Dezember mit Vertrauten und Rechtsanwälten beriet, wie hier ein Urteil noch vor der Wahl zu verhindern sei (man rechnet mit 6 Jahren Gefängnis). Diese könne negative Auswirkungen auf den Wahlausgang haben, und damit auf B.s weitere Zukunftspläne. Ergebnis: Erstens müsse man durch Montis vorzeitigen Sturz eine Vorverlegung des Wahltermins erreichen. Zweitens sei der Prozess noch um ein paar Wochen zu verschleppen, indem man Ruby, für die noch ein Prozessauftritt vorgesehen war, erst einmal ins Ausland schickte und sich B. wegen des Wahlkampfs für unabkömmlich erklärte.

Der fast missglückte Plan

Ruby verschwand tatsächlich für ein paar Wochen im Ausland, aber fast ging der Plan trotzdem schief. Erstens weil Napolitano die Wahl nicht für Anfang Februar ansetzte, wie von B. erwünscht, sondern für Ende Februar. Und weil sich zweitens das Gericht weigerte, den Wahlkampf als Hinderungsgrund für B.s gerichtliches Erscheinen anzuerkennen. Jetzt drohte, was B. gerade verhindern wollte: ein Urteil noch vor der Wahl. B. tobte und erklärte sich erneut zum Verschwörungsopfer kommunistischer Richter (nun habe er Monti „ganz umsonst“ gestürzt), usw. Die Aufregung war überflüssig. Denn bei seiner letzten Terminplanung setzte das Mailänder Gericht die Urteilsverkündung auf Anfang März fest, also auf die Zeit nach der Wahl. Womit B. erst einmal erreicht hat, was er wollte.

Es bleibt das deprimierende Fazit, wie abhängig immer noch das Schicksal Italiens von B.s persönlichen Justizproblemen ist. Massiver könnte sich ein persönlicher „Interessenkonflikt“ kaum auswirken: Um ein Gerichtsurteil auf die Zeit nach den Wahlen zu verschieben, wird eben mal die Regierung gestürzt. Es wird spannend, wie viele Millionen Italiener bei der Wahl noch auf einen solchen Mann hereinfallen werden.

B. hat die Wahl noch lange nicht aufgegeben. Er kämpfe wie ein „alter Löwe“, schrieb Birgit Schönau in der ZEIT. Aber mit der Lieblingsrolle: verfolgtes Unschuldslamm. Dafür hat er ein neues Stichwort: „Bestimmte Autoritäten“ hätten ihm dringend abgeraten, in der nächsten Zeit auf öffentlichen Plätzen aufzutreten, weil man ihm nach dem Leben trachte. Seit Jesus Christus hat niemand so gelitten wie er, stellte B. schon vor Jahren fest. Klar, bei wem man am 24./25 Februar in der Wahlkabine sein Kreuz machen muss.