Die verschobene Scheidung

Am vergangenen Sonntag hatte die Lega Nord ihr Jahrestreffen, wie üblich in Pontida, dem mythischen Ort, an dem sich vor knapp 844 Jahren die norditalienischen Städte zur Lega Lombarda gegen Barbarossa zusammenschlossen. Die heutige Lega Nord, die sich gern einen großartigen Stammbaum zulegt, nimmt dort seit 1990 mit viel Brimborium ihre jährliche Standortbestimmung vor. Das diesjährige Treffen wurde mit Spannung erwartet, denn an der Lega-Basis rumort es: Dem Bündnis mit Berlusconi hat sie schon einiges an Überzeugungen geopfert, und seit den Kommunalwahlen weiß sie, dass dabei auch die Lega unter die Räder geraten kann. Ihre wachsende Distanz zu dem Bündnis zeigte sich bei den Referenden, an denen auch viele traditionelle Lega-Wähler teilnahmen. Die sich damit dem gemeinsamen Wunsch von Berlusconi und Bossi widersetzten, an diesem Tag zu Hause zu bleiben.

Aber die Lega besteht nicht nur aus der immer unzufriedener werdenden „Basis“, sondern auch aus einer Führungsmannschaft, die sich mit B. die Regierung teilt und an der Macht festkrallt. So ließ es sich Bossi nicht nehmen, in Pontida die Hauptrede zu halten. Aber die Stimmung war aufgeladen, die Sprechchöre waren laut: „Secessione! Secessione!“. Bossi musste einen Spagat vorführen: dem wachsenden Ärger über B. ein Ventil geben und gleichzeitig sagen, dass er am Bündnis festhalten will.

So verkündete er zunächst, was für B. das Wichtigste war: Keine vorzeitigen Neuwahlen, die Koalition wird – bis auf weiteres – fortgeführt. Mit entwaffnender Offenheit erklärte Bossi, warum: Neuwahlen würde gegenwärtig die Linke gewinnen.

Zum Ausgleich konfrontierten er und andere Redner B. einen Forderungskatalog, den die Regierung zu erfüllen habe. Um die Basis zu besänftigen, innerhalb ultimativer Fristen.

  1. In zwei Wochen (!) Stopp der Militäraktion in Libyen. Nicht etwa aus humanitärem Mitleid mit den Opfern der Nato-Bombardements, sondern um sich die Kriegsflüchtlinge vom Hals zu zu halten. Aus Sicht der Lega bedeutet der Krieg in Nordafrika Ströme von „Illegalen“, die in Lampedusa an die italienische Haustür klopfen, von denen dann – Gott behüte! – auch noch der Norden einige Tausende aufnehmen soll. Eigentlich erhofft sich die Lega die Rückkehr des alten Gadhafi, der die Flüchtlinge mit Waffengewalt davon abhält, überhaupt aufs Mittelmeer hinauszusegeln.
  2. In zwei Monaten (!) Finanzföderalismus und Steuerreform. Der „Finanzföderalismus“, wie ihn sich die Lega wünscht, belässt dem reicheren Norden möglichst viel des dort anfallenden Steueraufkommens. Das Ziel der „Steuerreform“ ist die Steuersenkung – der populistische Rettungsanker, nach dem jetzt auch Berlusconi greift. Wobei unklar ist, wie dies mit der EU-Auflage zu vereinbaren ist, die enorme italienische Staatsverschuldung zu reduzieren – die Rating-Agenturen haben schon gewarnt. Das Ei des Kolumbus sollen „kostenneutrale Umschichtungen“ zugunsten der Familien und kleinen Selbständigen sein, ohne dass bisher gesagt wird, zu wessen Lasten. Finanzminister Tremonti, der die EU-Auflage umsetzen muss, ist schon mal zum gemeinsamen Buhmann von Berlusconi und Bossi geworden.
  3. Verlagerung von Ministerien in den Norden. Diese Forderung zeigt den Druck, unter dem die Lega-Führung steht, um der eigenen Basis noch irgendeinen Erfolg vorzuweisen. Sie ist reine Symbolpolitik, auch wenn ihr Erfolg für das Regierungshandeln dysfunktional und für den Steuerzahler teuer wäre – in Deutschland, wo ein Teil der Ministerien noch in Bonn beheimatet ist, weiß man ein Lied davon zu singen. Umso kompromissloser beharrt die Lega-Führung auf ihr. Ein Spaltpilz für die Koalition, denn nun sieht sich die römische und süditalienische PdL herausgefordert. Als ob Italien keine anderen Probleme hätte.

Wie ernst die ultimative Form der Lega-Forderungen zu nehmen ist, wird sich bald zeigen. In ihnen steckt aber auch eine gute Nachricht: Von der „epochalen“ Justizreform, die B. immer wieder großmäulig ankündigte und die der italienischen Justiz das Rückgrat brechen sollte, ist keine Rede mehr. Bekanntlich unterschrieb ein großer Teil der Lega-Anhänger auch das Referendum gegen B.s „Legitime Verhinderung“ – B. wird es kaum wagen, sie jetzt noch auf die politische Agenda zu setzen. Für die italienische Demokratie wäre es ein Sieg. Wenn die gegenwärtige Regierungskoalition die verbleibenden zwei Jahre übersteht, wird ihre „Politik“ vom Überlebensinteresse zweier Akteure bestimmt sein, die sich nur dank gekaufter Abgeordneter an der Macht halten. Sie werden versuchen, sich mit der Ankündigung populistischer Maßnahmen zu retten, für deren Umsetzung immer weniger Spielraum bleibt.