Das Echo

„Angst und Einsamkeit“ seien gegenwärtig in Brüssel die vorherrschenden Gefühle, schreibt Claudio Tito in der „Repubblica“. Hier seien die beunruhigendsten Aspekte von Trumps Sieg das Schicksal der Ukraine, die Nato und die Verteidigung, der mögliche Handelskrieg und der Auftrieb für die Souveränisten, wobei sich die europäischen Kernländer mit der Hoffnung zu trösten suchen, dass der Schock der US-Wahl letztlich zu einem Ansporn zur weiteren Integration Europas werden könne (es müsse „nun sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen“, so der französische Regierungssprecher). Aber in Brüssel überwiegt die Angst in die entgegengesetzte Richtung: dass Trump mit seinem Bestreben Erfolg haben könnte, die EU zu ignorieren und stattdessen bilaterale Abkommen mit den einzelnen Mitgliedsländern anzustreben – und so jede weitere Integration zu behindern. Dies ist auch die Besorgnis der renommierten Ökonomin Lucrezia Reichlin, die befürchtet, dass sich hier Trump besonders auf Italien konzentrieren werde, da ja nun der deutsch-französische Motor ausgefallen sei, mit katastrophalen Folgen für die Weltklimapolitik (Trump hat schon angekündigt, sich wieder aus den Pariser Abkommen zurückziehen und wieder mit Bohrungen nach fossilen Energieträgern beginnen zu wollen). Außerdem werde seine Wirtschaftspolitik zu einer Abwertung des Euros gegenüber dem Dollar führen, mit inflationären Folgen für Europa.

Den folgenden Artikel veröffentlichte der englische Historiker, Publizist und Schriftsteller Timothy Garton Ash am 8. November in der „Repubblica“. Er ist Direktor des European Studies Centre der Universität Oxford, sein Forschungsschwerpunkt ist die europäische Gegenwart.

Kiew ist das erste Opfer des neuen Präsidenten

Das erste Opfer der zweiten Amtszeit von Donald Trump als Präsident der USA wird wohl die Ukraine sein. Die einzigen, die dieses Desaster verhindern können, sind wir Europäer, auch wenn sich unser Kontinent im Chaos befindet. Die Regierung der deutschen Koalition hat sich ausgerechnet den Tag für einen bitteren Zusammenbruch ausgesucht, an dem uns die Nachricht von Trumps Triumph erreichte. Wenn wir keine Antwort auf diese Herausforderung finden, wird nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa schwach, getrennt und wütend (zerstritten?) bleiben, während wir in eine neue und gefährliche Phase der kontinentalen Geschichte eintreten.

In der Ukraine selbst haben Leute versucht, noch etwas Positives in der orangenen Wolke zu finden, die sich Washington nähert. Nach allem waren sie immer frustrierter über Bidens Selbstverstümmelung (?) geworden. Diese vage Hoffnung ist in einer Botschaft verewigt, die mir ein ukrainischer Kommandant von der vordersten Frontlinie schickte. Trump, schrieb er, ‚ist ein Mann der Überraschungen, vielleicht verbessert sich die Lage‘.

Ich denke, dass es eine Chance von 5 bis 10% gibt, dass der 47. Präsident der USA, der ‚Mann der Überraschungen‘, mit der Erhöhung der Hilfen für die Ukraine droht, um Putin zu einem Friedensabkommen zu zwingen.

Wie der ukrainische Präsident Selenskyj geschickt unterstreicht, hasst es Trump, die Rolle des Verlierers zu spielen. Trotzdem wird er mit 90 bis 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit genau das tun, was er schon verschiedentlich angekündigt hat, um den Krieg zu beenden… Im Juli erklärte er Fox News: „Selenskyj werde ich sagen: Schluss jetzt. Ihr müsst ein Abkommen schließen.“ Auch wenn er hinzufügte, dass er damit gedroht habe, Kiew viel mehr Hilfen zu schicken, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen. Doch die Vorstellungen seines Vizepräsidenten J.D. Vance laufen darauf hinaus, die gegenwärtige territoriale Spaltung der Ukraine zu akzeptieren und sie zu zwingen, die Neutralität hinzunehmen – was für Putin einen großen Sieg bedeuten würde.

In Wahrheit gibt es kein Abkommen, das Putin und Selenskyj sofort akzeptieren würden… Was Trump trotzdem machen kann, ist eine Reduktion der ökonomischen und militärischen Hilfe durch die USA, die so drastisch ist, dass sie Kiew zwingt, auf einen Waffenstillstand in einer Position der Schwäche einzugehen. Noch schlimmer könnte es zu einem Szenario führen, das der Militärexperte Jack Watling das Szenario von Brest-Litowsk nennt (der Friedensvertrag von Brest-Litowsk beendete 1918 den ersten Weltkrieg an der Ostfront zwischen der SU und den Mittelmächten, AdR). Mit einer Ukraine, die nach einem Abkommen aus einer solchen Position der Schwäche heraus strebt, dass sie allein schon die Androhung einer neuen feindlichen Offensive zu weiteren Konzessionen gezwungen wird, wie es übrigens auch Russland geschah, als es 1918 das Abkommen mit dem imperialistischen Deutschland und seinen Verbündeten aushandelte.

Aber auch in den Szenarien eines ‚Friedens aus Stärke‘, das sich einige wenige ukrainische Falken von Trump erhoffen, müsste Europa viel mehr tun. In einem Artikel für das Wall Street Journal hat Mike Pompeo vorgeschlagen, dass die europäischen Verbündeten der Nato ihre Ausgaben für Verteidigungs auf 3% ihres BSP erhöhen und 80% eines 100-Milliarden-Fonds für die ukrainische Militärhilfe bereitstellen. Robert O’Brien, der ehemalige nationale Sicherheitsberater von Trump, hat in den Foreign Affairs geschrieben, es werde die ‚Vorgehensweise Trumps‘ sein‚ weiterhin tödli- che Waffen für die Ukraine zu liefern, die aber von den europäischen Ländern finanziert werden, und dabei eine diplomatische Tür zu Russland offenzuhalten‘.

Viele Europäer sehen ein, dass sie in der Klemme zwischen einem aggressiv vorgehenden Russland und einem sich aggressiv zurückziehenden Amerika mehr für die eigene Verteidigung tun müssen. Emmanuel Macron hat im Einklang mit dem deutschen Kanzler auf Trumps Sieg mit der Bekräftigung reagiert, sie würden gemeinsam für ein ‚noch geschlosseneres, stärkeres, souveräneres Europa‘ arbeiten. Doch Frankreich hat eine schwache und instabile Regierung, deren Überleben faktisch von der Populistin Marine Le Pen abhängt, Putins Freundin. Und die Scholz-Regierung ist nur ein paar Stunden später zusammengebrochen, wodurch das zentrale europäische Machtzentrum in ein Limbo zwischen zwei Wahlen – das potentiell monatelang andauern kann – geraten ist, und das ausgerechnet in dieser entscheidenden geopolitischen Phase. Zu den Gründen für den Bruch der Koalition soll auch die Weigerung des FDP-Leaders und Finanzministers Lindner gehören, eine Erhöhung der deutschen Unterstützung von 3 Milliarden für die Ukraine zu akzeptieren.

Europa ist auch bei seiner Antwort auf Trump gespalten. In vielen der über 40 Länder Europas, die sich gestern beim Gipfeltreffen der europäischen Union in Budapest trafen, gibt es politische Kräfte, die ihn unterstützen. Einige davon sind an der Macht. Ganz oben auf der Liste ist der Hausherr, der ungarische Viktor Orbán. Dazu kommen Robert Fico aus der Slowakei, Aleksander Vucic aus Serbien und Geert Wilders aus den Niederlanden. Auch Giorgia Meloni könnte sich in diese Richtung bewegen. Dann gibt es – zwar nicht an der Regierung, aber politisch einflussreich – Le Pen in Frankreich, Nigel Farage in Großbritannien, die AfD in Deutschland, die Partei Recht und Gerechtigkeit in Polen und Vox in Spanien. Nach einer Studie von Europe Elects hätte die Mehrheit der Befragten in sieben europäischen Ländern – Slowenien, Slowakei, Moldavien, Bulgarien, Ungarn, Georgien und Serbien – für Trump gestimmt. Abgesehen von den 78% der Russen, die das Gleiche getan hätten. Ja, Trump ist die Wahl der Russen.

Dann gibt es noch Großbritannien. Mitglieder der Regierung von Keir Starmer haben früher Trump beschimpft. Aber jetzt teilte Downing Street mit, der englische Premier habe in seinem Telefonat dem gewählten Präsidenten seine „aufrichtige“ Gratulationen ausgesprochen und dabei „mit Zuneigung“ an das gemeinsame Abendessen am Anfang des Jahres erinnert, bei dem sie sich persönlich kennenlernten. Natürlich ist dies Teil der üblichen Heuchelei in den internationalen Beziehungen, aber es ist durchaus möglich, dass die britische Regierung, angesichts der äußerst schlechten Wirtschaftslage versucht, dank „besonderer Beziehungen“ von den hohen Zöllen verschont zu bleiben, mit denen Trump die EU zu treffen droht. Dennoch braucht Europa, wie der wahrscheinlich nächste deutsche Kanzler Friedrich Merz bemerkte, mindestens eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich, Polen und auch Großbritannien, um die Ukraine zu retten und sich selbst in einer gefährlichen Welt zu verteidigen.

Aber ist ein solcher diplomatischer und verteidigungspolitischer Zusammenschluss angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Zerstrittenheit der Union wirklich möglich? Wir haben zwei Monate bis zu Trumps Amtsübernahme am 20. Januar, um darauf eine positive Antwort zu finden. Wir müssen es schaffen.“

Italienische Reaktionen

Schaut man sich die Reaktionen und Glückwunschtelegramme an, welche die Nachricht von Trumps Wahlsieg in Italien auslösten, stößt man auf aufschlussreiche Varianten. Am ungehemmtesten war der zu erwartende Jubel im Salvini-Lager: „Gratulation, Präsident Trump, was für ein historischer Tag!“, samt aufgezählten Gemeinsamkeiten: „Patriotismus, Grenzkontrollen, Steuersenkungen, christliche Wurzeln, Redefreiheit, Verpflichtung auf den Weltfrieden, Common Sense, Leidenschaft und Hoffnung“. Im Laufe des Tags schob Salvini nach, was er dabei noch vergessen hatte: „Ich bin glücklich, dass ich in Italien einer der wenigen, wenn nicht der einzige war, der seine Präferenz (für Trump, AdR) schon seit längerer Zeit nicht versteckt hat“. Am Morgen nach der Wahl liefen seine „Patrioten“ triumphierend durch die Korridore des Europaparlaments, mit der roten Mütze „Make America great again“ auf dem Kopf.

Worin auch eine Spitze gegen seine Rivalin Giorgia Meloni steckt. Die es sich allerdings leisten kann, langsamer und präsidentieller zu reagieren, indem sie ihren „aufrichtigsten Glückwünschen“ hinzufügte: „Italien und die USA sind ‚Schwester‘-Nationen, die eine unzerstörbare Allianz, gemeinsame Werte und eine historische Freundschaft verbinden. Es ist eine historische Bindung, die sich jetzt, da bin ich sicher, weiter vertiefen wird“. Denn sie hat bei Trump noch einen Stein im Brett: die Gunst des Multimilliardärs Elon Musk, der wohl zukünftig einer der engsten Berater Trumps sein wird. Das Thema Ukraine wird von Meloni vorerst ausgeklammert.

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Auf der anderen Seite gibt es wenig Anlass zum Jubel. Elly Schleins Kommentar ist kurz: „Trumps Sieg ist eine schlechte Nachricht für Europa und für Italien. Nicht nur weil er in diesen Tagen wieder seine Abneigung gegen die EU zum Ausdruck brachte, sondern auch wegen der wirtschaftspolitischen Folgen… Wer ihn heute aus parteipolitischen Gründen feiert, wird es bald nicht mehr tun, wenn seine neue protektionistische Politik auch die Unternehmen und Arbeiter dieses Landes trifft“.

Woran bemerkenswert ist, dass der Hinweis auf Europa nur in den Kommentaren aus dem linken Lager vorkommt – ein schlechtes Vorzeichen für die Hoffnung, Europa werde Trump als Gemeinschaft entgegentreten. Die von der Rechten geführten Länder stehen zur Begrüßung bereit, in vorauseilendem Gehorsam schön einzeln, wie es der Tycoon will.

Und Conte, der erhoffte Bündnispartner der italienischen Linken? Er hat noch eine Auszeichnung, die ihm Trump vor fünf Jahren ausstellte, als Conte mit Salvini die italienische Regierung führte, und die er nun wieder aus dem Schrank holen kann: dass er „ein Mann von Talent“ und „phantastischer Typ“ sei, mit dem Trump „gut zusammenarbeiten“ könne. Die heutige Spätwirkung bei Conte: einerseits Glückwünsche zu einem Sieg, der von „breiten Schichten des Volkes getragen“ sei, verpackt in den Wunsch, dass Trump die internationalen Kriege beendet, „wozu auch Italien einen wichtigen Beitrag leisten kann“. Den damit verbundenen Seitenhieb auf alle „scheinbaren Liberalen und Progressiven, die schon das Banner des Friedens eingeholt haben und auf Krieg setzen“, überlässt er seiner kleinen Truppe im Europaparlament. Er bleibt bündnisfähig in jeder Richtung, ist die Botschaft des Mannes, der weder „links noch rechts“ sein will.