Siege und Niederlagen

Als am letzten Wochenende im Oktober die Mittelinks-Koalition die Regionalwahl in Ligurien verloren hatte, wurde dies von Giorgia Meloni, obwohl der Sieg knapp war, heftig gefeiert – es zeige, dass die Rechtskoalition insgesamt auf dem richtigen Weg sei. Eine etwas riskante Folgerung, denn 14 Tage später standen in der Emilia-Romagna und in Umbrien noch zwei weitere Regionalwahlen an – was würde Meloni sagen, wenn bei denen etwas schief ging? Inzwischen wissen wir die Antwort: Sie hat beide Wahlen verloren und nichts gesagt.

Zwei von der Rechten verlorene Regionalwahlen

Es ging für sie nicht „etwas“, sondern alles schief. In der bevölkerungsreichen Emilia-Romagna, wo Mitte-Links den bisherigen Bürgermeister von Ravenna ins Rennen geschickt hatte, siegte Mittelinks mit 56,8%, im bevölkerungsärmeren Umbrien, wo die linkskatholische Bürgermeisterin von Assisi angetreten war, mit 51,2%. Mit einem Detail, das die Führerinnen und Führer der Rechten vielleicht noch mehr beunruhigen dürfte: Schon bei der knapp verlorenen Ligurien-Wahl konnte sich die PD damit trösten, trotz ihrer Niederlage im Bündnis als Einzelpartei mit 28% fast doppelt soviel Stimmen als Melonis FdI mit 15% bekommen zu haben Wer dies nur für einen „Ausrutscher“ hielt, wurde jetzt eines Besseren belehrt: Auch in der Emilia-Romagna erzielte die PD mit 43% fast doppelt soviel Stimmen als Melonis „Brüder“ (die 23,8% bekamen), in Umbrien lag das Verhältnis bei 30,5% : 19.5%. Die PD scheint auf bestem Weg zu sein, zur meistgewählten Partei Italiens zu werden – „sie wächst, weil sie vereinigt“, so die Kurzanalyse des PD- Verantwortlichen für Organisation.

Damit scheinen sich innerhalb der beiden Lager die Machtverhältnisse zu klären: Im Rechtsbündnis bleiben zwar die „Brüder“ trotz ihrer Verluste der entscheidende Faktor, vor allem auf Kosten von Salvinis Lega, die in beiden Regionen sogar hinter Forza Italia zurückfällt, welche sich in den Regionen zwischen 5 und 9% einpendelt. Salvinis Projekt, aus der einst sezessionistischen Lega Nord eine italienweit operierende rechte Protestpartei zu machen, geht ihrem Ende entgegen: In den Regionalparlamenten der Emilia Romagna und von Umbrien schrumpfte sie jeweils auf einen Vertreter.

Auch im Linksbündnis gibt es einen Verlierer, die 5-Sterne-Bewegung, die das von ihr angestrebte Duell zumindest in den Regionen mit der PD verloren hat: Hier sind ihre Werte auf unter 4% (Emilia Romagna) bzw. 5% (Umbrien) gefallen. Allerdings darf man diese Ergebnisse nicht einfach auf ihre Wahlchancen auf nationaler Ebene hochrechnen: Es ist schon Tradition bei der 5SB, auf regionaler Ebene schlecht abzuschneiden, was sie nicht davon abhält, auf nationaler Ebene immer noch eine wichtige und vielleicht auch entscheidende Rolle spielen zu können: Bei den letzten nationalen Wahlen von 2022 kam sie auf 15,5%, bei den Europawahlen von 2024 auf 10%.

Zwei Makel

Aber das Wahlergebnis hat auch für die Linke zwei Makel: In Umbrien haben nur 52%, in der Emilia-Romagna 46% der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen. Wie in ganz Europa scheint die Demokratie auch in Italien immer mehr in einen Teufelskreis zu geraten: In dem Maße, in dem die Beteiligung unter 50% sinkt, sehen sich noch weniger Menschen ermuntert, überhaupt noch zur Wahl zu gehen, die Entlegitimierung verstärkt sich selbst. Was die Ursachen betrifft, sind die Analysen der Wahlforscher wenig erhellend, wenn sie nur die Ausbreitung der Stimmung registrieren, dass es egal sei, wen die Menschen wählen, weil sich sowieso nichts ändere – eine Klage, die vielleicht für die von Überschwemmungen heimgesuchte Emilia-Romagna plausibel ist, wo die von der Regierung versprochenen Hilfen noch auf sich warten lassen.

Der zweite Makel ist das, was die Wahlforscher die hohe „Volatilität“ derer nennen, die überhaupt noch zur Wahl gehen und deren Partei-Präferenzen durch abrupte Kehrtwendungen gekennzeichnet sind – als ob ein großer Teil der Wählerschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten von der Leidenschaft erfasst wurde, wie am Kuchenbuffet einmal das gesamte Parteienangebot von Links bis Rechts durchzuprobieren.

Europäisches Trauerspiel

Richtig schlecht sind jedoch die Nachrichten aus Europa, bei denen auch Italien eine große Rolle spielt. Denn es ist den Kräften, die schon länger an einer Öffnung der EVP zu Melonis Konservativen (EKR) arbeiten, gelungen, die politischen Gewichte in der EU nach rechts zu verschieben – mit Methoden, die jede Hoffnung, in der EU würde mit fairen Mitteln um die Macht gekämpft, Lügen straft.

Als sich am 18. Juli 2024 die Regierungschefs trafen, um sich auf ihren Kandidaten – oder ihre Kandidatin – für die Nachfolge für Ursula von der Leyen zu einigen, schien man sich schnell einig zu sein: Sie sollte ihre eigene Nachfolgerin werden, und zwar unterstützt von 401 Abgeordneten der

bisherigen „Ursula Mehrheit“, die wie bisher aus den Fraktionen der EVP, der Sozialisten und der liberalen „Renew“ bestand. Wie schon vor vier Jahren wurden auch diesmal die europäischen „Grünen“ nicht offiziell beteiligt, aber das fiel nicht weiter auf, weil sie in den Ausschüssen meist konstruktiv und sachorientiert mitarbeiteten, so dass sie eine Zeitlang eine Art ständig verfügbare Reserve zu sein schienen, die man bei Bedarf auch wieder als Sündenbock für alles nutzen kann. Dass auch diesmal eine Reihe von ihnen einspringen musste, um die offizielle Soll-Zahl von 401 zu erreichen, wurde nicht an die große Glocke gehängt – 20 von ihnen, dies drang durch, wollten diesmal mit „Nein“ stimmen.

Stolperstein Italien

Aber es zeigte sich bald, dass in der „Lösung“ vom 18. Juli ein großer Widerhaken steckte: Melonis europäische „Konservative“ und damit ihre eigenen Europa-Abgeordneten gehörten nicht zur „Ursula-Mehrheit“, was Meloni nicht davon abhielt, trotzdem auf eine Führungsrolle in der EU zu drängen. Offenbar gibt es zwischen EVP-Generalsekretär Manfred Weber, der schon lange die EVP und damit auch die EU nach rechts öffnen will, und Giorgia Meloni eine entsprechende Vereinbarung. Aber noch hielt die Brandmauer, und es bedurfte einer ausgewachsenen Intrige, um sie aufzubrechen.

Meloni forderte, dass ihr bisheriger Minister für europäische Angelegenheiten, Raffaele Fitto, neuer EU-Kommissar und einer der 6 Vizepräsidenten der Kommission werden solle – ein etwas vermessener Anspruch, da Fittos „Brüder“ (und „Schwestern“) noch am 18. Juli im EU-Parlament gegen die Wiederwahl von der Leyens gestimmt hatten.

Als daraufhin die Führer von Renew und den Sozialisten ankündigten, sich Fittos Wahl zu widersetzen, begann Webers „Spezialoperation“. Sein Punkt, an dem er ansetzte, schien zunächst wenig mit Fitto und Italien zu tun zu haben: die Überschwemmungskatastrophe von Valencia. Als EVP-Generalsekretür hatte Weber schon vorher seine spanischen EVP-Genossen (er war ja auch ihr Generalsekretär) zu einer Schmutzkampagne gegen die bisherige Umweltministerin Teresa Ribera ermuntert, um ihr jetzt das eklatante Behördenversagen bei dieser Katastrophe in die Schuhe zu schieben (das nach unseren Informationen vor allem an der rechten Regionalregierung lag) – gipfelnd in der Forderung, dass die spanische Regierung ihre Kandidatur für die Kommission zurückziehen müsse.

Der Sinn der Operation wurde klar, als in Brüssel die Verhandlung über die italienische Forderung anstand, Fitto zum Mitglied der neuen Kommission zu machen. Denn angesichts des Widerstands, der sich nun zeigte, zog Weber seinen vorbereiteten Trumpf aus dem Ärmel: Er verknüpfte die „Fälle“ Fitto und Ribera, und machte damit klar, warum er den „Fall“ Ribera überhaupt hochgekocht hatte: als Hebel, um den Verhandlungsführern von Renew und Sozialisten ihre Zustimmung zur Kandidatur von Fitto abzuzwingen. Wenn ihr weiterhin die Beförderung Fittos in die Kommission ablehnt, scheint er gedroht zu haben, werden wir bei unserem Nein zur Kandidatur von Ribera bleiben – mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Weber hatte Erfolg, der naheliegende „Kompromiss“ wurde geschlossen: d. h. es gab grünes Licht für Ribera und für Fitto.

Eine Intrige und ihre Folgen

Bei dieser Vereinbarung soll sich Ursula von der Leyen auch verpflichtet haben, in den nächsten Jahren in bestimmten Politikfeldern keine Mehrheiten mit der Rechten und Ultrarechten zu suchen. Eine etwas merkwürdige Beruhigungspille, die schwer Einzuhaltendes verspricht und nichts daran ändert, dass die extreme Rechte ab sofort einen ersten Brückenkopf in der Kommission hat. Und dass sich Ursula von der Leyen künftig auch stets um die Zustimmung von Melonis EU-Abgeordneten kümmern muss, um noch Europapolitik machen zu können.

Das Vorpreschen Webers trägt dazu bei, die Risse in der noch fragilen Architektur Europas weiter zu vertiefen, die ersten Trümmerstücke fallen schon. Noch nie war das Ergebnis so knapp, noch nie liefen so viele Abgeordnete, die eigentlich zur „Ursula-Mehrheit“ gehören, vor der Abstimmung von der Fahne, und noch nie war die Kommission so sehr auf die ultrarechten Stimmen von Melonis „Brüdern“ angewiesen. Denn Meloni scheint ihrer Freundin Ursula als Kompensation für die zu erwartenden Verluste in Aussicht gestellt zu haben, dass dann auch ihre italienischen EKR-Abgeordneten für sie stimmen würden, um ihr für die Abstimmung zusätzliche Sicherheit zu geben. Dann, so die Verlockung, habe sie, wie man in Deutschland sagt, „mehr Beinfreiheit“, oder (auf Italienisch) könne sie dann endlich an „zwei Herden kochen“. Die Kehrseite wird unterschlagen, dass Freundin Ursula damit auch in eine neue Abhängigkeit gerät.

Claudio Tito, der Brüssel-Korrespondent der „Repubblica“, hat es ausgerechnet: Webers Manöver, um Fitto in die Kommission aufzunehmen, hat der „Ursula-Mehrheit“ von vor 5 Jahren heute etwa 111 Stimmen gekostet, die vor allem von den Sozialisten (darunter die deutsche SPD)A, den Liberalen („Renew“), den Grünen und aus der EVP selbst kommen. Dafür hielten 33 Abgeordnete von Melonis Konservativen am Mittwoch ihr Wort und stimmten für von der Leyen. Der Einsatz von 33 Rechtsradikalen genügte, um die Brandmauer aufzubrechen und aus der einstigen „Ursula-Mehrheit“ einen Scherbenhaufen zu machen.