Phlegräische Felder in Bewegung

Am Abend des 2. Oktober hat es in den Phlegräischen Feldern bei Pozzuoli erneut ein stärkeres Erdbeben gegeben (4.0 auf der Magnitudenskala), das auch in Neapel zu spüren war. Eine leichte weitere Erschütterung (2.2) ereignete sich in der Nacht. Die Einwohner liefen auf die Straße, es gab aber keine Verletzten. Schon einige Tage zuvor, am 27. September, war es zu einem Erdbeben der Stärke 4.2 gekommen, das heftigste seit 40 Jahren. Viele Menschen leben „auf gepackten Koffern“ oder übernachten im Auto, Ärzte berichten über eine starke Zunahme von Angststörungen, besonders bei Kindern und Jugendlichen.

Seit einiger Zeit kommen die Phlegräischen Felder wieder stärker in Bewegung. In den letzten zwei Jahren wurden dort 4987 Erdstöße registriert, die sich ab August dieses Jahres deutlich intensivierten.

Der „Supervulkan“ von Pozzuoli

Italien ist bekanntlich ein vulkanisch geprägtes Land. Etliche Bergformationen und Seen sind vulkanischen Ursprungs, es gibt Vulkane, die in Abständen (wie der Ätna) oder gar täglich (wie der Stromboli) Feuer und Lava spucken und sich damit von dem inneren Druck befreien, und andere, die zwar auch aktiv sind, aber seit langem „schweigen“. Letztere bergen die größeren Gefahren. Daher unterscheidet der Volksmund zwischen „guten“ und „bösen“ Vulkanen. Während Ätna und Stromboli „gut“ sind, gilt der Vesuv als „böse“. Denn man weiß: Irgendwann wird auch er wieder ausbrechen – das kann in hundert oder in ein paar Jahren sein –, und dann werden die Verwüstungen verheerend sein.

Doch noch stärker gefürchtet sind die Phlegräischen Felder im Golf von Pozzuoli. Ein riesiges Vulkanfeld, das Wissenschaftler als „Supervulkan“ einstufen, dessen Eruption weltweite Auswirkungen haben kann. Das Gebiet umfasst mehr als 150 km, der Vesuv ist ca. 20 km entfernt und das Stadtzentrum von Neapel nur ca. 4 km. Die Felder dehnen sich im Süden untermeerisch aus und schließen dabei auch die Inseln Ischia, Procida und Nisida ein.

Die ältesten Spuren vulkanischer Ablagerungen sind ca. 2 Millionen Jahre alt. Vor 39.000 Jahren kam es zu einem gewaltigen Ausbruch, die zur Bildung eines riesigen Kraters („Caldera“) mit einem Durchmesser von 15×12 km führte. Ganze Landstriche wurden zerstört, die globalen Durchschnittstemperaturen fielen und der Boden wurde durch eine Tuffschicht bedeckt, die heute noch in weiten Teilen Kampaniens zu finden ist. Jüngst entdeckte man sogar in Rumänien eine ein Meter hohe Tuffschicht, die dem Ausbruch der Campi Flegrei zugeordnet wird und jetzt von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts untersucht wird. Nur um sich die Dimension zu vergegenwärtigen: Die Tuffschicht in Rumänien liegt ca. 1500 km von den Phlegräischen Feldern entfernt.

Danach folgten mehrere eruptive Phasen. Die unterirdischen vulkanischen Aktivitäten erhitzen den Boden und produzieren schwefelhaltige heiße Wasserdämpfe (Solfataren), unzählige Thermalquellen, Fumarolen (Exhalationen von vulkanischen Gasen, die durch Oxidation und wärmeliebende Bakterien eine bunte Färbung erhalten) und Mofetten (Kohlendioxid-Exalationen)

Der letzte größere Ausbruch fand 1538 statt. Er dauerte acht Tage, aus dem Eruptionsmaterial entstand ein neuer Berg („Monte Nuovo“).

Die Phlegräischen Felder sind durch den sogenannten Bradyseismos gekennzeichnet, ein Phänomen, bei dem sich der Boden hebt und senkt. Er findet phasenweise statt („seismische Krisen“) und wird von Erdbeben begleitet, die durch in Bewegung geratene Magmaflüssigkeiten in tieferen Schichten verursacht werden. Eine solche seismische Phase kann sich nach einiger Zeit wieder „beruhigen“ – oder aber auch zu Eruptionen führen.

Experten in Sorge wegen möglichen Ausbruchs

Bei dem letzten großen Ausbruch von 1538 wurde eine Magma-Art ausgestoßen, die jener gleicht, die bei dem katastrophalen Großereignis vor 39.000 Jahren zur Bildung der „Caldera“ führte. Italienische und schweizerische Forscher folgern daraus, dass eine erneute Eruption ebenfalls gigantische Ausmaße haben könnte. Da das Gebiet auf der „Caldera“ dicht bewohnt (550.000 Menschen laut der letzten statistischen Erhebung) und mit – auch illegalen – Bauten übersät ist, wären die Folgen furchtbar, wenn es nicht zu einer rechtzeitigen Evakuierung kommt. Evakuierungspläne gibt es natürlich, aber sie wurden seit 1984 nicht mehr aktualisiert und entsprechen daher nicht mehr der jetzigen Lage, auch mit Blick auf Wege und Infrastrukturen.

Ob es zu einem Ausbruch kommt, ist nicht vorhersehbar, betonen die Experten. Bisher gäbe es lediglich eine deutliche Intensivierung der bradyseismischen Erdbewegungen, über künftige Entwicklungen seien aktuell keine Vorhersagen möglich, erklärte der Präsident des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie/INGV Carlo Doglioni während einer Anhörung vor dem Umweltausschuss der Abgeordnetenkammer.Für Francesca Bianco, die Leiterin der Vulkanabteilung des INGV, gibt es zurzeit keine Anzeichen für einen „unmittelbar bevorstehenden“ Ausbruch, wie zum Beispiel die Präsenz von Magma nah unter der Erdkruste. Dennoch sei das aktuelle Geschehen auf den Phlegräischen Feldern „besorgniserregend“ und werde daher intensiv überwacht.

Etwas pessimistischer klingt die Einschätzung des Geologen Mario Tozzi: Die Campi Flegrei seien ein System, das aus etwa dreißig Vulkanen besteht, schon die Folgen des Ausbruchs von „nur“ einem Vulkan könnten katastrophal sein, nicht nur für Italien, sondern – abhängig von der Stärke der Eruption – auch für Europa. Die Freisetzung riesiger Mengen von Gasen und Asche in die Atmosphäre könne einen globalen Winter verursachen, der ganze Länder erfasst. Nach Ansicht des Wissenschaftlers ist der „Supervulkan“ dabei, in „eine kritische Phase“ zu treten. Die gleiche Ansicht wird in einer gemeinsamen Studie von INGV und dem University College in London vertreten.

Notfallpläne mit vielen Fragezeichen

Der Minister für Zivilschutz Nello Musumeci (Fratelli d’Italia) hat nach einem Krisengipfel mit Vertretern der betroffenen Gebiete, für den Zivilschutz zuständigen Institutionen und Fachexperten einen „Sonderplan“ angekündigt, der neben Maßnahmen für eine mögliche Evakuierung und Übungen für den Notfall auch Überprüfungen des Gebäudezustands, der Alarmsysteme für die Warnung der Bevölkerung und die Einbeziehung ehrenamtlicher Helfer vorsieht.

Der Plan soll „innerhalb einiger Wochen“ fertig werden, so der Minister. Zu der Bereitstellung der dafür notwendigen Ressourcen sagte er allerdings nur, dass sich neben der Zentralregierung auch die Region Kampanien daran beteiligen müsse. Noch sind die Mittel allerdings nirgendwo veranschlagt – und es ist nicht abzusehen, woher sie kommen sollen. Zurzeit läuft die Haushaltsplanung für das kommende Jahr, und schon jetzt ist klar, dass es Finanzierungslücken an allen möglichen Stellen gibt. Das Gesamtvolumen des nächsten Haushalts beträgt ca. 30 Milliarden (davon 14 Milliarden, die durch zusätzliche Schulden finanziert werden). Das ist die gleiche Summe, die nach Meinung von Wirtschaftsexperten allein für eine Evakuierung nötig wäre. Bei solchen Dimensionen und der derzeit unabsehbaren Entwicklung des vulkanischen Geschehens kommt eine präventive Evakuierung zurzeit nicht in Betracht. Also konzentriert man sich darauf, die Beobachtungen und Messungen in den Phlegräischen Feldern weiter zu intensivieren. Der Geophysiker Giovanni Macadonio, der im Vesuv-Observatorium des INGV tätig ist, versucht zu beruhigen: „Das Monitoring der Campi Flegrei ist außerordentlich engmaschig. Mit Satelliten und GPS können wir auch minimale Bodendeformationen feststellen, zudem messen wir regelmäßig die Temperatur und Komposition von Flüssigkeiten und Gasen, die aus dem Boden austreten, und haben bisher keine Anomalien festgestellt. Sollte sich das Szenario ändern und der Vulkan in einen kritischen Zustand kommen, würden wir das sehr wahrscheinlich (also nicht mit Sicherheit! MH) merken. Außerdem ist der Lavakanal beim Vesuv und den Phlegräischen Feldern – anders als beim Ätna und dem Stromboli – verstopft und durch Felsenschichten gesperrt. Das verringert die Möglichkeiten einer plötzlichen Eruption. Wir würden also wahrscheinlich ein paar Tage Zeit haben, um den Alarm auszulösen“.

Ein paar Tage? Das wird die Einwohner, unter deren Füßen die Erde bebt und brodelt, kaum beruhigen. Ihnen bleibt aber nichts anderes übrig, als mit ihrer Angst zu leben und abzuwarten. Einige überlegen allerdings auch, wegzuziehen. Man spricht immer häufiger darüber. „Die Einwohner sind zwar am Bradyseismos gewöhnt“ sagt der örtliche Priester, „aber die Phänomene häufen sich und werden immer stärker, die Leute leiden unter Angstzuständen. Doch alles zu verlassen und wegzugehen ist sehr schwer, man hat hier Angehörige, Haus, Arbeit“. Ein Psychologe meint, es sei ein bisschen wie zu Beginn der Covid-Pandemie: ein verbreitetes Gefühl von Furcht, Unsicherheit und Hilflosigkeit.

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