Der schwarze Rand der Rechten

Aus den Nachrichten, welche die deutsche Öffentlichkeit über die italienischen Kommunalwahlen erreichten, erfuhr sie vor allem, dass Mittelinks gewonnen und die Rechte verloren habe. Nicht weniger wichtig ist jedoch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb der Rechten selbst: Melonis postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (FdI) ist dabei, Salvinis Lega immer mehr zu überholen und zur stärksten Partei Italiens zu werden – nach den Umfragen im September  liegt sie inzwischen bei 20,4 und die Lega bei 19,5 Prozent. Auf den ersten Blick könnte es als Anzeichen für eine Zivilisierung der politischen Szene erscheinen. Denn wo Salvini den populistischen Haudrauf macht, gibt sich Giorgia Meloni zunächst wohlerzogen und zurückhaltend, wie die Tochter aus gutem Haus, die sich bei ihren Kundgebungen sympathieheischend so vorstellt: „Sono Giorgia, sono una donna, sono una madre, sono italiana, sono cristiana“. Bis sie, die von der Linken auch die „strillona“ (Schreihals) genannt wird, zu kreischen beginnt.

Eine verdeckte Recherche

Der Fernsehkanal „La 7“ ist einer der wenigen italienischen Privatsender, die nicht zu Berlusconis Mediaset-Konzern gehören. Am 30. 9. und 7. 10. strahlte er zwei Filme aus, die Furore machten: Sie präsentierten das erste Ergebnis einer dreijährigen Recherche von Journalisten der Fanpage, einer liberal-progressiven Internet-Zeitung, deren Spezialität der investigative Journalismus ist. In diesem Fall hatte sich ein Journalist als Geschäftsmann getarnt, der im rechten Milieu von Mailand Kontakte suchte, um der FdI mit Spenden unter die Arme zu greifen – zum beiderseitigen Nutzen. Im Lauf der Zeit gewann er das Vertrauen zweier wichtiger Akteure der FdI: von Roberto Jonghi Lavorini, auch „schwarzer Baron“ genannt, der sich seiner besonderen Nähe zu Giorgia Meloni rühmt und Verbindung zur ultrarechten Szene der Glatzköpfe und Mussolini-Nostalgiker unterhält; und von dessen Freund Carlo Fidanza, der im Straßburger Europarlament sitzt und bis vergangenen Sonntag die dortige FdI-Delegation leitete.

Ein Ergebnis der Ausstrahlungen dürfte die Mailänder Staatsanwaltschaft besonders interessieren: Sowohl Fidanza als auch der „schwarze Baron“ erklärten vor der versteckt mitlaufenden Kamera, dass die Partei auch illegale Parteispenden für den Wahlkampf entgegennimmt und dabei über eine ganze Reihe von „Waschmaschinen“ verfügt, die sie schon mit Erfolg benutzt hätten.

Politisch wichtiger ist das zweite Ergebnis, das die Filme augenfällig machten: Im Gegensatz zu dem von Giorgia Meloni gepflegten Erscheinungsbild verfügen die Fratelli d’Italia über einen breiten Rand, den man in Italien nicht „braun“, sondern „schwarz“ nennt, und der meist zugedeckt wird, um mit den antifaschistischen Gesetzen, die es auch in Italien gibt, nicht in offenen Konflikt zu geraten. Von dem die Decke aber immer wieder ein bisschen angehoben wird, gerade weit genug, um Sympathisanten zu signalisieren, dass es hier noch wirkliche „Kameraden“ gibt. Die Filme zeigen Versammlungen, in denen prominente Mitglieder den „römischen Gruß“ (bei uns: Hitlergruß) zelebrieren, gegen Immigranten hetzen, Schwarze verhöhnen und Fidanza „Heil Hitler“ schreit. Dann ein von der FdI organisiertes Bankett zur Erinnerung an den Marsch auf Rom, mit dem Liktorenbündel, Mussolini-Bild und FdI-Symbol (samt Flamme) auf der Speisekarte. Und eine Veranstaltung, zu der Melonis rechte Hand, der Abgeordnete Galeazzo Bignami, in Nazi-Uniform erscheint.

Die niemals unterbrochene Herkunft

Nach dem ersten Film wertete dies Ezio Mauro, der Leitartikler der „Repubblica“, am 3. Oktober noch etwas zurückhaltend als Beschwörung einer weiter vorhandenen „politischen und kulturellen Atmosphäre“, in der sich der Faschismus als „niemals unterbrochene Herkunft“ reproduziert, „als automatischer Reflex, Haltung, Gestus, Sprache, Horizont und allegorische Landschaft“.

Wobei die „niemals unterbrochene Herkunft“ einen Widerspruch meint, in dem sich die italienische Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg befindet. Ihre Gründungsväter und –mütter hofften ihr mit der neuen Verfassung eine Grundlage zu geben, die eine Rückkehr zum Faschismus nicht mehr zulassen würde. Auf der Rechten entwickelten sich die Dinge jedoch anders. Im Dezember 1946 gründeten die Veteranen der letzten faschistischen Bastion, der Republik von Salò, den Movimento Sociale Italiano (MSI), der das Etikett „neofaschistisch“ bekam. Sein Verbot stand niemals zur Debatte – vielleicht weil er zunächst nur ein Traditionsverein mit etwas eigener Folklore zu sein schien, den die anderen Parteien (mit einer kurzen Ausnahme im Jahr 1960) als sowieso nicht bündnisfähig betrachteten. Als sich der MSI in der Mitte der 90er Jahre in „Alleanza nazionale“ (AN) umbenannte und diese auf Distanz zu ihrem faschistischen Erbe zu gehen schien, holte sie Berlusconi aus ihrer Isolation heraus, um sie – gemeinsam mit der Lega – zum Partner eines von ihm projektierten großen Rechtsblocks  zu machen. Da es Berlusconi dabei jedoch eher um die Festigung seiner persönlichen Macht als um die Entfaschisierung der AN ging, stellte er 2010 ausgerechnet den Mann kalt, der zum Protagonisten dieser Entfaschisierung hätte werden können (Gianfranco Fini). Womit für die Rechte die selbstkrititische Aufarbeitung ihrer Geschichte, die sie gerade begonnen hatte, wieder beendet war. Als sich 2012 die Kerntruppe der alten AN wieder aus dem Bündnis mit Berlusconi zurückzog und in „Fratelli d’Italia“ umbenannte, wurde Giorgia Meloni zu Finis Nachfolgerin – als Führerin einer Partei, die nun wieder politisch salonfähig geworden war, ohne dass sie sich vom Faschismus wirklich abgesetzt hatte. Wenn Meloni heute erklärt, dass die FdI weder „rassistisch“ noch „nazistisch“ sei, vermeidet sie es sorgfältig, sie auch „antifaschistisch“ zu nennen. Den historischen italienischen Faschismus kritisiert sie höchstens wegen seiner Rassengesetze und des Paktes mit Hitler, nicht aber als diktatorisches und mörderisches System. Was für den MSI gilt, gilt auch für alle seine Nachfolgeparteien, und zwar bis heute: die Durchlässigkeit für die Organisationen des ultrarechten Terrorismus, deren Vertreter dann auch auf den Mitgliederlisten und Wahlzetteln der Mutterpartei erschienen. Wenn es diese allzu toll treiben, werden diese Organisationen dann auch immer mal wieder vom Staat verboten – aber die Mutterpartei, die sie genährt hatte, bleibt unangetastet.  

So hat es auch eine mehr als symbolische Bedeutung, dass die dreifarbige Flamme, die mit dem MSI zum Wahrzeichen des Neofaschismus wurde, bis heute von allen Nachfolge-Organisationen übernommen wurde – auch von der FdI.

Ein neuer Anfall von „Squadrismo“: Angriff auf die CGIL

Der Angriff auf das Gewerkschaftshaus

Inzwischen zeigt sich, dass sich die ultrarechte Szene Italiens keineswegs darauf beschränkt, den Faschismus nur als „politische und kulturelle Atmosphäre“ zu praktizieren. Die Gelegenheit ist ja günstig: Aus dem Protest gegen die Restriktionen, die der Kampf gegen die Pandemie erfordert, sind starke Bewegungen entstanden, an die sie sich anhängen kann. Als diese Bewegungen am vergangenen Samstag in Rom zehntausend Leute auf die Beine brachten, schaffte es die „Forza Nuova“, die den radikalsten Flügel der Faschisten repräsentiert, im Schutz der Tränengaswolken und der Zusammenstöße mit der Polizei einen Stoßtrupp von etwa 2000 Leuten zu formieren (die Zahlenangaben schwanken), die sich zum Hauptsitz des Gewerkschaftsverbandes CGIL dirigieren ließen. Nachdem sie die schwachen Polizeiketten durchbrochen hatten, drangen sie in das Gebäude ein, warfen die Stühle um, zerstückelten die Bilder, rissen Plakate von den Wänden und Telefonleitungen raus und zerstörten die PCs und sonstigen Arbeitsmittel. „Heute schreiben wir Geschichte“, stand hinterher an der Wand – was die Angreifer animierte, waren die Bilder vom Sturm auf das Washingtoner Capitol. Wer die italienische Geschichte kennt, weiß, dass dies auch die Hundertjahrfeier eines Geschehens war, an das Ezio Mauro am 11. 10. erinnerte: Der faschistische Squadrismo von 1921 begann mit 59 besetzten „Case del popolo“, 141 abgefackelten Sektionen der sozialistischen Partei, 100 beschädigten Kulturzentren, 28 angegriffenen Gewerkschaftshäusern, mit 83 aufgelösten Bauernligen, 197 zerschlagenen Genossenschaften und 119 zerstörten Arbeitskammern. Das so eingeläutete Regime währte 20 Jahre. „Wir kommen wieder, das war nur der Anfang“, kündigen ihre heutigen Adepten an.

Wettlauf gegen die Zeit

Kaum jemand glaubt, dass sich die Geschichte so einfach wiederholen lässt. Trotzdem gibt es derzeit eine Art Wettlauf gegen die Zeit. Den faschistischen Nostalgikern bescherte die Pandemie ein neues unverhofftes Lebenselixier: eine heterogene Protestbewegung, die sich aus Verschwörungstheoretikern, Covidleugnern, Impfgegnern und sonstigen Esoterikern rekrutiert. Für sie stellen die medizinische Wissenschaft und die mit ihr begründeten Maßnahmen gegen die Pandemie eine von obskuren Mächten ausgeheckte Magie zur Unterdrückung des Volks dar, gegen die jeder Widerstand gerechtfertigt ist. Und die deshalb auch keine Berührungsängste gegenüber den selbsternannten Führern der Forza Nuova hat, die sich ihrerseits an der wachsenden Zahlen ihrer neuen Gefolgschaft berauschen. Und die als Gegenleistung dem Zerstörungswerk eine militärische Organisation und einen scheinbar „historischen“ Sinn geben.

Auf der anderen Seite stehen Vertreter der Institutionen wie Mattarella oder Draghi, die in diesen Protestbewegungen eher die letzten Zuckungen des Zustands einer Anomalie sehen, in die das Land durch die Pandemie versetzt wurde. In Wahrheit seien die Vorzeichen für die weitere Entwicklung doch günstig: Die Herdenimmunität werde bald erreicht, die Pandemie bald überwunden sein, wozu ja gerade die Einführung des green pass diene, was dann auch das Ende der Restriktionen ermöglichen werde. Und damit stünden doch jetzt schon alle Signale für eine wirtschaftliche Wiederbelebung auf grün, zusätzlich begünstigt durch das europäische Recovery-Programm.

Die Antwort der Gewerkschaften

Die Hoffnung, dass sich diese Protestbewegungen damit eigentlich „von selbst“ erledigen müssten, scheint also nicht unbegründet – wenn sie nicht in den letzten Monaten in die Spirale einer eigendynamischen Selbstverstärkung geraten, wenn der Staat jetzt nur mit Repression reagiert. Zwar fordert nun die CGIL ein schnelles Verbot der „Forza Nuova“, rief aber mit den anderen großen Gewerkschaftsverbänden für den 16. 10. zu einer zentraler „nationalen antifaschistische“ Demonstration in Rom auf. Die Massen, die kamen, waren unübersehbar – die römische Quästur spricht von 60.000 Teilnehmern, die Zeitungen sprechen von 100.000. Gleichzeitig fand diesmal in Mailand eine „No green pass“-Demonstration statt, zu der 15.000 Menschen gekommen sein sollen – den erneuten Versuch, zum Sitz der CGIL vorzudringen, unterband diesmal die Polizei.

Inzwischen hat Matteo Salvini den überbordenden Verschwörungstheorien noch einen letzten Dreh hinzugefügt: Die Tatsache, dass die Polizei am Samstag vor 8 Tagen nicht gleich die Rädelsführer von „Forza Nuova“ verhaftete, zeige doch nur, dass es Kreise gebe, die ein Interesse am Scheitern der Demonstration hatten, um der Rechten zu schaden. Und wer habe diesen Nichteinsatz der Polizei veranlasst? Hinter der Verwüstung des Gewerkschaftshauses stecken also in Wahrheit nicht die Führer von „Forza Nuova“, sondern eine Innenministerin, die Salvini als seine Erzfeindin betrachtet und die zurücktreten müsse. Es wird Leute geben, die ihm auch das glauben.