Nostalgie nach Berlusconi

(Wir entnehmen den folgenden Artikel wiederum dem Bozener „Salto“ – die Redaktion)

Silvio Berlusconi erlebt einen neuen Höhenflug. Dutzende Parlamentarier wollen ins Lager von Forza Italia wechseln, das in Umfragen klar vorne liegt.

Regionenminister Enrico Costa ist zurückgeteten. Sein Schritt kam keineswegs unerwartet, denn Costa hatte letzthin immer wieder den Kurs der Regierung kritisiert und seinen Widerstand gegen das umstrittene Jus soli unterstrichen. Im bunten Lager der centristi, aus dem Costa stammt, leiden viele Parlamentarier unter denselben Symptome wie er: nostalgia patologica del Cavaliere. Für Regierungschef Paolo Gentiloni, der Costas Ressort vorerst übernimmt, brechen kritische Zeiten an.

Ein beträchtlicher Teil der fast 100 Parlamentarier des Zentrums dürften in den kommenden Monaten in den Schoß von Forza Italia zurückkehren und damit die ohnedies schwächelnde Regierungsmehrheit im Senat weiter schmelzen lassen.

Der Wiederauferstandene

Der Wiederauferstandene

Zu ihnen gehört auch Alfanos Area popolare, die sich immer deutlicher vom Regierungspartner Renzi in Richtung Mitte absetzt. Wirft man einen Blick auf die drei großen politischen Kräfte M5S, Forza Italia und Partito Democratico, so steht Berlusconis Rechtsbündnis weitaus am Besten da. Während im Partito Democratico der Konflikt zwischen Renzi und seinen Gegnern Franceschini und Orlando eskaliert und in der Fünfsterne-Bewegung die Hoffnungen auf einen raschen Sturz der Regierung schwinden, kann sich Silvio Berlusconi die Hände reiben über den regen Zulauf, den seine Partei erfährt. Der ist so überwältigend, dass der Ex-Cavaliere seinen Vetrauensanwalt Niccoló Ghedini damit beauftragt hat, die Spreu vom Weizen zu trennen und nur jene zu akzepieren, die als riciclabili („recycelbar“, d. R.) eingestuft werden. Notfalls soll ein partito dependance („Nebenpartei“, d. R.) entstehen, in dem als unsicher betrachtete Anwärter geparkt werden können.

Totgesagte leben länger. Bei der Bildung unorthodoxer Koalitionen hat der Cavaliere schon immer Geschick bewiesen. Er hat den MSI salonfähig gemacht und erstmals Alleanza Nazionale und Lega Nord in seine Regierung geholt (1994, A. d. R.). Dass er selbst nicht kandidieren kann, bevor der Strassburger Gerichtshof über seinen Rekurs entscheidet, erweist sich eher als Glücksfall denn als Handicap. Schließlich wird Berlusconi in Kürze 81.

Maroni als Spitzenkandidat?

Weil er mit dem populistischen Lega-Chef Matteo Salvini nicht kann, peilt er eine durchaus zugkräftige Alternative an: Roberto Maroni soll für das Amt des Regierungschefs kandidieren. Eine geschickter Schachzug, denn Maroni hat sich als Gouverneur der Lombardei bewährt, Italiens wichtigster und größter Region, die mehr Einwohner und ein höheres Sozialprodukt hat als Österreich. Zudem gehört er zum alten Lega-Flügel, der Salvini nicht auf dem Weg von der territorialen zur nationalen Partei gefolgt ist. Als ehemaliger Innenminister verfügt er über Regierungserfahrung und ist für gemäßigte Wähler durchaus akzeptabel. Salvinis wütende Proteste können den Cavaliere kalt lassen. Der aus der Lega gefeuerte Ex-Bürgermeister von Verona Flavio Tosi ist bereits zu ihm übergelaufen und viele andere werden es in den kommenden Monaten tun.

Die jüngsten Wahlsiege des Mitterechts-Lagers in Genua, Verona und anderen Großstädten haben bewiesen, dass die Koalition durchaus auf ein revival hoffen kann. In allen Umfragen liegt das Rechtsbündnis klar vorne. Dagegen herrscht im Partito Democratico Katerstimmung. Renzi erkärt seine Gentiloni Solidarität und sägt gleichzeitig an seinem Stuhl. Mit Elisa Simoni ist am Dienstag eine weitere Abgeordnete in D’Alemas Linkspartei Articolo 1 gewechselt.

Der linke Flügel wirft Renzi vor, die Partei immer weiter nach rechts zu führen. Besonders kritisch dürfte es im Herbst werden, wenn Gentiloni beim Haushaltsgesetz im Senat auf jede Stimme angewiesen ist und viele Parlamentarier wie gewohnt Eigeninteressen durchsetzen wollen. Dann zieht ins Parlament zudem wieder ein altbekanntes Streitobjekt ein: das Wahlrecht. Paradox genug: Bei dem Vorsprung seiner Partei könnte Silvio Berlusconi durchaus jene Version unterstützen, die er am meisten verabscheut: das Mattarellum.