Wird Dornröschen wach geküsst?

Italien sei ein schlafendes Dornröschen, eingeschlossen im Dornenwald der italienischen Politik. So Matteo Renzi in seiner Rede nach seiner Wahl zum neuen Generalsekretär der Demokratischen Partei (PD) vor jubelnden Anhängern. Und er ließ keinen Zweifel daran, wem die Rolle des Prinzen zufällt, der Dornröschen – „das schönste Land der Welt, das von der weltweit miserabelsten politischen Klasse beherrscht wird“ – wach küssen wird.

Prinz Matteo und die schlafende Schöne

Prinz Matteo und die schlafende Schöne

2,8 Millionen Italienerinnen und Italiener nahmen am vergangenen Sonntag an der Wahl des Parteichefs teil. Eine hohe Zahl, gerade angesichts der krisenhaften Entwicklung der PD nach den Parlamentswahlen im Februar: vom unbefriedigenden Wahlergebnis bis zum Scheitern des damaligen Generalsekretärs Bersani, von der Verhinderung der Wahl Prodis zum Staatspräsidenten durch 101 innerparteiliche „Heckenschützen“ bis zur Zwangskoalition mit der Rechten in der Regierung.

Renzi ist klarer Wahlsieger

Trotzdem – oder gerade deswegen? – liefen die Leute in Scharen zu den Wahlständen, die ehrenamtliche Helfer überall im Land aufgebaut hatten. Die Wahl war offen auch für Nichtmitglieder, sofern sie schriftlich erklärten, die Ziele der Partei zu unterstützen, und zwei Euro zahlten. Eine Öffnung, die sicherlich stark zu der guten Wahlbeteiligung beigetragen hat, aber aus meiner Sicht eine zweischneidige Angelegenheit ist. Einerseits hat sie motivierend auf „sympathisierende“ Nichtmitglieder gewirkt und diese der Partei näher gebracht. Andererseits konnte damit die Entscheidung, wer die Partei führen soll, auch von Leuten beeinflusst werden, die mit der PD nichts oder wenig am Hut haben: rechte Wähler aus dem Berlusconi-Lager (für Renzi) genauso wie linke Wähler aus der Vendola-Partei (v. a. für Civati). In welcher Zahl, darüber kann man nur spekulieren.

Dennoch: Matteo Renzi ist der klare Sieger. Der junge Bürgermeister von Florenz konnte auf sich fast 68 % der Stimmen vereinen. Seine Kontrahenten Gianni Cuperlo und Pippo Civati lagen mit jeweils 18 und 14% weit abgeschlagen hinter ihm. Besonders für Cuperlo, der bei den Vorwahlen in den örtlichen Parteizirkeln noch 38 % erreicht hatte, war es eine bittere Niederlage. Viele identifizierten ihn offenbar noch mit der „alten Garde“ der PD – und nicht mit ihrer Erneuerung. Der junge „Linksaußen“ Civati hingegen, der in Umfragen anfangs bei 5-6 % lag, erlangte mit 14 % einen überraschenden Achtungserfolg.

Renzi verdankt sein Sieg zum guten Teil der nüchternen und durchaus realistischen Einschätzung vieler Wähler, mit ihm an der Spitze habe man eine viel größere Chance zu gewinnen als mit den anderen beiden. Das Wort „Vincere“ (Gewinnen) stand auch im Mittelpunkt von Renzis Wahlkampf und auch seiner Rede nach der Wahl.

„Wir werden die Spieler wechseln! Wir sind jetzt dran!“

In seiner „Dornröschen-Rede“ (in der er übrigens kein einziges Mal Berlusconi erwähnte) ging Renzi hart mit der noch bestehenden Führungsriege der PD ins Gericht. „Das ist nicht das Ende der Linken!“ rief der von vielen als „Rechter“ kritisierte. „Nein, das ist nur das Ende einer bestimmten Führungsgruppe der Linken! Wir wechseln nicht die Spielfeldhälfte, wir wechseln die Spieler!“ Selbstbewusst forderte er für sich und seine Generation das Recht ein, das Ruder zu übernehmen. So selbstbewusst, dass es klar war: er meint damit nicht nur das Ruder der Partei, sondern des ganzen Landes. „Jetzt sind wir dran! Wir, die beim Fall der Berliner Mauer Kinder waren. Wir, welche die Politik als Waisen hinterlassen hat. Wir, die mit dem Euro statt mit Europa aufwachsen mussten. Wir Globalisierungskinder, die auch von den internationalen Organisationen im Stich gelassen wurden“. Wofür er als Beispiele die Genozide in Afrika und im Bosnienkrieg nannte, bei der die internationale Gemeinschaft versagt habe.

Und was will er nun tun, jetzt, wo er „dran ist“? Viele Ziele, die Renzi nennt, sind zwar richtig, aber recht allgemein formuliert: Arbeitslosigkeit bekämpfen, die Schwächsten stärker schützen als diejenigen, die schon in Lohn und Arbeit sind; die Verfassung verteidigen; Privatisierungen nur, wenn sie sinnvoll und keine „Ausverkäufe“ sind; die Modernisierung des Landes vorrangig durch Bildung und Forschung vorantreiben. Bei einigen Stichworten deuten sich allerdings schon konkretere Kursänderungen an: zum Beispiel wenn er betont, dass „Leistung kein Schimpfwort sein darf“, oder wenn er auch die Gewerkschaften aufruft, sich zu erneuern und bei sich selbst alte Machtstrukturen aufzubrechen („Es darf nicht sein, dass man, um Karriere zu machen, den Mitgliedsausweis der Gewerkschaft haben muss!“).

Ab morgen alles anders?

Doch vor allem eine Frage treibt den neuen Generalsekretär um: Schnellstens müsse ein neues Wahlgesetz her, das das noch geltende (und vom Verfassungsgericht gerade für verfassungswidrig erklärte) ersetzt. Ein Wahlgesetz auf der Basis eines Mehrheits- und nicht Verhältniswahlrechts, damit aus den Wahlen klar hervorgeht, „wer gewonnen und wer verloren hat“ und eine stabile Regierung gebildet werden kann.

Hier verspricht Renzi, der Regierung seines Parteifreundes Letta Beine zu machen. Doch sein Credo, „Ab morgen hat die Regierung das zu tun, was die PD (d. h. vor allem Renzi) will“, ist allzu simpel. Nicht nur weil die Zerrissenheit innerhalb der PD nach dieser Wahl nicht per Zauberstab auszulöschen ist, sondern weil der neue PD-Chef gerade in Sachen Wahlgesetz Bündnispartner auch außerhalb seiner Partei braucht, damit im Senat eine entsprechende Mehrheit zustande kommt. Doch die Positionen im politischen Spektrum – von links bis rechts über die Mitte – sind hier noch weit auseinander.

Überhaupt: Renzi und die Regierung. Ministerpräsident Letta hat zwar nach der Wahl zuversichtlich erklärt: „Matteo und ich werden als eine Mannschaft spielen“. Was hätte er auch sonst, klug wie er ist, sagen sollen? Doch nach einem harmonischen Mannschaftsspiel klingt es nicht gerade, wenn Matteo in den Saal ruft: „Schluss jetzt endlich mit den Mauscheleien! Schluss mit den großen Koalitionen!“. Die versammelten Anhänger waren gerade hier hellauf begeistert. Aber Ministerpräsident Letta, dem gegenwärtigen Chef einer großen Koalition, werden dabei die Ohren gewaltig geklingelt haben.

3 Kommentare

  • D. Schnittke

    „In seiner „Dornröschen-Rede“ (in der er übrigens kein einziges Mal Berlusconi erwähnte)…“

    Warum sollte er? Er hat ja eigentlich bereits im Frühjahr, als es kurzzeitig nötig war, deutlich kundgetan, wes Geistes Kind er ist, im Sinne von: Solange B. Stimmen auf sich vereint, ist er als Partner akzeptabel. Doch das haben die Italiener schon vergessen.
    Jetzt ist bald „Erntezeit“, also warum schlafende Hunde wecken?
    (s. hierzu auch
    http://www.petrareski.com/2013/04/26/der-triumph-der-vergeblichkeit/:
    „Wer jetzt fragt, wo Renzi ist, jener weitsichtige Hoffnungsträger der PD (er pilgerte bereits im Jahr 2010 zu B. in seine Villa in Arcore und beteuert bis heute, dass er dies sofort wiederholen würde): Nun, ihm hat sein Freund B. den Gefallen getan, so zu tun, als hätte er etwas gegen Matteo Renzi als Ministerpräsidenten. Denn schließlich soll der Junge nicht jetzt schon verheizt werden, in einer Regierung, die vermutlich nicht eine ganze Legislaturperiode dauern wird, sondern nur so lange, bis die Italiener sich nicht mehr daran erinnern können, was eigentlich passiert ist. Renzi sitzt also auf der Bank.“)

    „…sondern weil der neue PD-Chef gerade in Sachen Wahlgesetz Bündnispartner auch außerhalb seiner Partei braucht, damit im Senat eine entsprechende Mehrheit zustande kommt. Doch die Positionen im politischen Spektrum – von links bis rechts über die Mitte – sind hier noch weit auseinander“

    „Auch außerhalb“ ist gut… er sollte erst einmal innerhalb suchen gehen. Noch einmal zum Nachlesen, wer eine Änderung des Wahlgesetzes (bzw eine Rückkehr zum Matarellum) verhindert hat. Wenn der Rest der PD (Renzi und 33 andere waren anfangs dafür) wollte (gewollt hätte), könnte man das Gesetz morgen ändern (hätte man Ende Mai…).
    http://www.repubblica.it/politica/2013/05/29/news/legge_elettorale_ancora_scontro_alla_camera_sulla_proposta_di_ritorno_al_mattarellum-59891351/

    Silvio geht langsam (jedenfalls vom öffentlich einsehbaren Teil Bühne), und auf tritt Matteo, der neue feuchte Traum der Italiener/innen. Sie werden sich die Augen reiben, sollten sie jemals aufwachen (nicht sehr wahrscheinlich).

  • manella schlitter

    die italiener – damit renzi – scheinen noch nicht verstanden zu haben,
    1.in welchen zwaengen sie stecken, egal, wer versucht, die probleme anzugehen – zu loesen bleibt ein traum.

    2. dass die italiener vor allem regierungsstabilitaet noetig haben, ruhe, nicht alle paar monate andere figuren, parteien, aenderungen der letzten reform, neue steuern, die alte ersetzen, ecc, ecc, das das chaos fuer sie selber staendig vergroessern muss, kapieren sie nicht. sie lieben das staendige polittheater und -gehampele, und jetzt glauben sie, der junge kanns richten.

    3. letta ist jung, hat nerven und ruhe, ist aber nicht zuendend. so einer ist den italienen zu fad.
    endlich hat die pd jemanden wie letta, der gut manoevrieren kann, pudelt sich ein neuer schauspieler auf, wie berl., grillo, …. mit vagen versprechungen (jung sein ist trumpf) und demontiert letta, also die reformen der reformen, die partei und damit letztlich sich selber.
    statt dass er froh ist, das ruder in diesen unbequemen zeiten letta zu ueberlassen und abwarten, bis sie besser werden, um die reformfruechte zu ernten (siehe schroeder-merkel). er hat doch zeit.
    aber dafuer ist er eben zu unerfahren, jung und, was sein eigentliches manko ist, unklug.

  • Wellenreiterin

    1. In welchen Zwängen die Italiener stecken, merken sie täglich an den schwindenden Ressourcen, aus denen sie ihr Leben bestreiten müssen, das braucht ihnen keiner aus Deutschland zu erklären.
    2. Letta allein ist eben wirklich nicht besonders kreativ, sondern eher ein Dompteur, in den letzten Monaten auch vielzu sehr in der Defensive wegen Berlusc., um das Land voranzubringen.
    3. Renzi kann durchaus eine gute Ergänzung zu Letta sein, er bringt frischen Wind hinein, die beiden ergänzen sich, und wie es scheint, arbeiten sie doch nicht gegeneinander. Das ist doch schon mal eine Baisis.

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