Rückblick auf einen verzagten Erneuerer

Am vergangenen Samstag wählte die PD Guglielmo Epifani zu ihrem neuen Generalsekretär und Nachfolger von Pierluigi Bersani. Epifanis wichtigste Qualifikation wird offenbar darin gesehen, ein „Vermittler“ zu sein, was einiges über den Zustand der PD aussagt, die er nun führen soll. Die eigentliche politische Frage – was aus der Partei wird -, wurde auf den Herbst verschoben, wenn ihr nächster Kongress ansteht.

Pier Luigi Bersani

Pier Luigi Bersani

Schlimmer konnte es für die PD nicht kommen: Gerade in dem Moment, in dem sie handlungsfähig sein musste, verliert sie ihre Führungsspitze. Bersani trat zurück, als ihm bei der Suche nach einem neuen Staatspräsidenten die eigenen Leute zweimal die Gefolgschaft versagten. Besonders übel endete der Versuch, Prodi zu wählen: Noch am Vormittag hatten knapp 500 Wahlleute Bersanis Vorschlag einstimmig und – wie es schien – enthusiastisch zugestimmt, was dann aber nachmittags 101 von ihnen in der Wahlkabine wieder „vergaßen“. Ihr größter Teil blieb bis heute in Deckung – ein Erbe, das Italien an B. ausliefert und die PD zerfressen wird wie eine Säure.

War dies die Absicht? In Italien blühen die Verschwörungstheorien, aber eine andere Erklärung ist plausibler: Die Partei ist ein Sammelsurium von „Strömungen“, denen die internen Macht- und Konkurrenzkämpfe wichtiger sind als gemeinsames Handeln. Nach dieser Lesart waren es vor allem „Dalemiani“ und „Popolari“, die sich rächten – die „Dalemiani“, weil ihr Oligarch D’Alema, der schon immer gern mit B. kungelte, zuletzt ins Abseits geraten war, und die „Popolari“, weil zuvor andere Heckenschützen „ihren“ Kandidaten Marini erledigt hatten („Partito Popolare“: ein Spaltprodukt der DC, das sich 2007 in die PD auflöste).

Gute Absichten

Und Bersani? Die Intrige, der er am Ende zum Opfer fiel, war schmutzig. Aber war er nur Opfer? Zumindest scheint er seine eigene Partei nicht gekannt zu haben, kein Zeichen von Führungsstärke bei einem Generalsekretär. Persönlich ist er ein grundsympathischer Kumpel-Typ, mit dem Dackelblick des besorgten Familienvaters und dem ewigen angerauchten Stumpen im Mund. Er legt den Menschen gern den Arm um die Schulter, auch wenn es eine Schulter zu viel ist (z. B. die von Alfano). In Grillos Zombie-Panoptikum war er die Lieblingsleiche (was eher für ihn sprach).

Ich denke, Bersani sah vieles richtig. Mit Europa meinte er es ernst, ebenso mit den Reformen: auf den Gebieten der Ökonomie und Justiz, der Korruption und Steuerflucht. Er wollte die Sparpolitik fortsetzen, aber mit mehr sozialer Gerechtigkeit und Frischluft für Arbeit. Und einen neuen Stil der Politik: nicht als Pfründe, sondern als Dienst am Gemeinwesen. Keine populistischen Versprechen, die doch nicht zu halten sind.

Vor allem das Versprechen Kein Regierungsbündnis mit Berlusconi wollte er halten. Bis zur Selbstverleugnung lief er hinter den Grillini her und bettelte um ein Reformbündnis. Napolitanos Forderung nach einem „breiten Einvernehmen“ mit B. wollte er nur partiell nachkommen: Brückenschlag zu B. bei der Wahl des Staatspräsidenten und institutionellen Reformen, Brückenschlag zu Grillo bei reformpolitischen Projekten, die nur gegen B. durchzusetzen sind. Eine „Zweigleisigkeit“, mit der er nicht nur auf den Widerstand von B., sondern auch auf die Skepsis von Napolitano stieß. Sie hätte Erfolg haben können, wäre 1) Grillo zu einem solchen Reformbündnis bereit gewesen und wäre 2) die eigene Partei Bersani dabei gefolgt. Beides ging schief: Grillo nutzte jede Gelegenheit, um Bersani zu demütigen, und die eigenen Leute waren nicht einmal fähig, sich auf einen Kandidaten für den Staatspräsidenten zu einigen.

Stop and go and stop

Ein durchgehender Zug der Ära Bersani waren vielversprechende Anläufe, denen dann wieder die Luft ausging. Dazu gehörten die Vorwahlen des vergangenen Winters („Primarie“), welche die Basis mobilisierten und die Partei verjüngten. Aber der eigentliche Wahlkampf wurde verschlafen. Dass man einen Lagerwahlkampf nur gewinnen kann, wenn man dafür auch die eigenen Anhänger in Bewegung setzt, kam Bersani nicht in den Sinn. Ähnliches wiederholte sich, als B. begann, seinen Kampf gegen die Justiz und seine drohenden Verurteilungen auf die Straße zu verlagern. Statt die Menschen für die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und gegen die Korruption zu mobilisieren, verfiel die PD in eine Art Angststarre. Dabei hätte die PD gerade jetzt ihr Profil nicht nur als Partei der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch des Rechtsstaats schärfen müssen. Bei allem guten Willen blieb Bersani auch ein Mann des Apparats.

Kühnheit und Verzagtheit

Als es nach der Wahl darum ging, die Arbeit der Abgeordnetenkammer und des Senats in Gang zu bringen und erst einmal ihre Präsidenten zu wählen, hatte Bersani einen Einfall, der viele überraschte. Er benannte zwei unverbrauchte Kandidaten, die nicht zur Nomenklatura gehören und die ein Teil von Grillos Leuten mitwählte. Aber bei der Suche nach einem neuen Staatspräsidenten verließ Bersani diese Kühnheit wieder. Hier bot Grillo die Kandidatur von Rodotà an, einem politisch erfahrenen Verfassungsrechtler. Nachdem Marini, der Kompromisskandidat mit der PdL, am Widerstand der PD-internen Opposition gescheitert war, hätte Bersani das Ruder noch herumreißen können. Er wagte es nicht, vielleicht weil er meinte, dass die Kandidatur von Rodotà das eigene Lager spalten würde. Er übersah, dass die Spaltung längst da war. Was sich dann auch bei Prodis Kandidatur zeigte, bei der Bersani glaubte, auf „Nummer sicher“ zu gehen.

So wurde die Ära Bersani letztlich zu einer Ära der verpassten Gelegenheiten, in der das Profil der PD als Reformkraft immer unschärfer wurde. Man kann darüber streiten, ob es an ihrem Ende unumgänglich war, ein Notbündnis mit einem korrupten Populisten einzugehen. Aber wenn man schon auf ein derartiges Notbündnis eingeht, war dies die schlechteste Ausgangsposition.

2 Kommentare

  • Werner Bläser

    Schöne Analyse einer hässlichen Sache. Ich sass auch vor dem Parlaments-TV und traute bei den Abstimmungsergebnissen zur Präsidentenwahl meinen Augen und Ohren nicht.
    Eine Partei, die Schiffe-Versenken mit sich selbst als Ziel spielt. Ein Konkurrent von aussen (Grillo), der offenbar Gefangener seiner eigenen Rhetorik ist und den Absprung daraus viel zu spät findet.
    Und der Jäger im Hintergrund (B.), der wartet, dass ihm das Wild (die Macht) einfach zugetrieben wird.
    Der Stoff, aus dem Polit-Thriller gemacht werden.
    Aber noch spannender als das Verhalten der Protagonisten im römischen Parlament finde ich die Motivationslage der ganz normalen italienischen Wähler. Hat Grillo recht (Interview in der ‚Wiener Zeitung‘), wenn er sagt, dass ein sehr grosser Teil der Italiener einfach B. wählt, weil sie sich im System, so, wie es ist, gut eingerichtet haben und jede Veränderung fürchten?
    Oder sind die Italiener in der Mehrzahl einfach allergisch gegen linke Ideen? Oder ist es nur die historische Tendenz der ital. Linken zur Selbst-Zerfleischung? Oder sind nur der persönliche „appeal“ B.s und seine mediale Gehirnwäsche dafür verantwortlich?
    Ich bin mir darüber nicht im klaren, glaube aber, dass es schon ein genuin italienisches Problem an sich ist. Denn eine ähnliche Figur mit solchem Erfolg kann ich mir in England, Frankreich, Deutschland… heutzutage nicht vorstellen.
    Wenn es ein italienisches Problem an sich ist, was ist zu erwarten/befürchten, wenn die Person B. gerichtlich aus dem Verkehr gezogen wird?
    „Denn der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch…“

  • Werner Bläser

    … es gehört zwar nicht an diese Stelle, ist aber wichtig für Italien, und keine Zeitung berichtet normalerweise über solche Dinge:
    Die ital. Zentralbank meldet gerade, dass der Anteil an ausländischen Investoren, die die ital. Staatsschuld halten, auf etwa ein Drittel gefallen ist. Damit bestätigt sich ein kontinuierlicher Abwärtstrend.
    Die Relevanz dieser Tatsache besteht darin, dass niedrige Ausländeranteile bei der Staatsschuld tendenziell mit niedrigeren Renditen korreliert sind.
    Heisst: Italien kriegt auf der Haushaltsseite mehr Luft zum Atmen.

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