Das linke Versagen

Die Hoffnung, B. fange an, für Italien Vergangenheit zu sein, war trügerisch. Woran liegt es? An seinem Rattenfänger-Talent? An der Dummheit der Wähler? An der indirekten Unterstützung durch Grillo? All das spielt eine Rolle, aber es unterschlägt einen weiteren Grund, der inzwischen nicht mehr zu verheimlichen ist: das Versagen der Linken.

Stefano Rodotà

Stefano Rodotà

In einem Interview mit dem „Manifesto“ erwähnte Stefano Rodotà kürzlich eine Episode, die zwei Jahre zurückliegt, aber die heutige Krise der Linken und insbesondere der PD beleuchtet. Damals hatte es eine breite „Graswurzel-Bewegung“ geschafft, fünf Volksbefragungen gegen die Regierung Berlusconi (Privatisierung des Wassers, KKWs usw.) durchzusetzen und zu gewinnen. Die PD verhielt sich anfangs reserviert, aber als abzusehen war, dass die Bewegung, deren Aktionskomitees wie Pilze aus dem Boden schossen, Erfolg haben könnte, sprang auch sie auf den fahrenden Zug. Der Verfassungsrechtler Rodotà, der sich in dieser Bewegung engagierte, schlug nach dem Sieg ein Treffen zwischen den siegreichen Komitees und der PD-Führung vor. Das Treffen kam nie zustande – die PD-Führung hatte kein Interesse.

Die Selbstabschottung der Partei

Michele Serra kommentierte dies (in der „Repubblica“ vom 30. 4.) so: „Mit dem Wissen von heute kann man sagen, dass damals die Linke des Apparats, die sich (heute) auf der Verliererstraße befindet, die Gelegenheit verpasste, mit der siegreichen Linken zusammenzutreffen, die selbst organisierte, lebendige und aktive Linke, die viel dazu beitrug, dass Pisapia in Mailand siegte und die Rechte in vielen italienischen Städten gestürzt wurde.“ Eine Linke, welche die PD im Wahlkampf 2013 wieder vergaß.

Schon zu KPI-Zeiten, als das Verhältnis zwischen Partei und „Basis“ noch weitgehend in Ordnung schien, gab es erste Vorboten einer solchen Spaltung. In Form der Auseinandersetzung zwischen einer staatsfixierten Linken, wie sie Napolitano, und einer „Bewegungslinken“, wie sie Pietro Ingrao verkörperte. Serra konstatiert, dass von der damaligen Führungsschicht nur Napolitano politisch überlebte, „der eher die Perspektive des Staates und der Institutionen verkörpert als die der Gesellschaft, der Bewegungen und der Volksstimmungen.“ Und der heute, zwei Jahrzehnte nach der Selbstauflösung der KPI, sich noch einmal zwingen ließ, sein Präsidentenamt zu verlängern, um eine Weichenstellung vorzunehmen, die B. im Spiel hält.

Verspielte Erneuerung

Was in KPI-Zeiten nur der innerparteiliche Konflikt zweier Flügel war, führte inzwischen zu zwei Lagern, die noch beide der „Linken“ zuzurechnen sind, aber wie Kontinente auseinander driften. Obwohl sie eigentlich zwei Seiten einer Medaille sein müssten: die Volkslinke und die Parteilinke. Was allerdings voraussetzt, dass die Parteilinke für das eigene Volk durchlässig bleibt.

Genau diese Durchlässigkeit funktioniert nicht mehr. Die Kosten für die Linke sind nach Serra immens: „Wie viele potenzielle Leader, wie viele Kader, wie viele neue Ideen, wie viel Innovation, wie viel Energie der italienischen Linken wurden verschleudert, wegen der Unfähigkeit, zwischen ihren politischen Strukturen und ihrem Volk, zwischen ihren Führern und ihren Bürgern eine Interaktion herzustellen?“ Der kometenhafte Aufstieg der 5-Sterne-Bewegung, der heute eine der Faktoren ist, die Italien lähmen, gehört dazu.

Die Angst vor dem Verlassen des Zentrums

Diese Selbstabschottung wird, wie Serra hinzufügt, in der PD von dem Reflex getragen, sich von jedem „minoritären Radikalismus“ fernzuhalten. Eine Angst mit respektabler Wurzel: das Bestreben, jederzeit „Verantwortung fürs Ganze“ zu übernehmen. Aber allzu oft mit der fatalen Konsequenz, zuerst auf die eigene „Zentralität“ zu schauen, und das heißt de facto: aufs Zentrum. So dass die PD bei den Kommunalwahlen vor zwei Jahren anfangs meist Parteisoldaten ins Rennen schickte, von denen sie annahm, dass sie auch dem Zentrum gefallen müssten.

Da aber die PD-Führung damals – glücklicherweise! – einen zaghaften Anlauf zur Erneuerung der PD unternahm und sich auf Vorwahlen einließ, musste sie feststellen, dass gerade in Großstädten wie Mailand, Neapel, Genua viele dieser Kandidaten durchfielen, weil sie den eigenen Wählern als ausgekungelte Parteibürokraten erschienen. So dass die PD am Ende oft Leute unterstützen musste, die sie eigentlich gar nicht gewollt hatte, aber wegen ihrer Unverbrauchtheit und persönlichen Glaubwürdigkeit – siehe Pisapia in Mailand – das Wählervolk in Bewegung setzten. Wie bei den Referenden war das Volk auch hier „linker“, als es die PD erlauben wollte. Die Bereitschaft, jederzeit „Verantwortung fürs Ganze“ zu übernehmen, ist positiv, die Abschottung gegen das eigene Volk ist es nicht. Deshalb war auch die Weigerung der PD, bei der Neuwahl des Staatspräsidenten einen Mann wie Rodotà zu unterstützen, weil er – als Laizist, Verfassungspatriot und dann noch als Grillo-Vorschlag – „zu sehr polarisiert“, ein Rückfall in alte Fehler.

Auch in Deutschland hörte man schon oft, dass „politische Wahlen in der Mitte entschieden werden“. Das italienische Beispiel zeigt, dass sich mit diesem Grundsatz, wird er zur politischen Leitlinie vereinseitigt, die Linke auch zerstören kann.