Re Giorgio

Der vierte Urnengang bei der Neuwahl des Staatspräsidenten endete mit dem Offenbarungseid der PD: Sie verfügt zwar über den größten Block von Wahlmännern und –frauen, aber ist unfähig, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Weder auf einen Kompromisskandidaten mit der PdL, in Gestalt von Marini, noch auf einen Kandidaten wie Romano Prodi, der eigentlich die „Seele“ der PD verkörpern sollte. Als Bersani den PD-Abgeordneten den Namen Prodi vorschlug, gab es Standing ovations. Doch in der Wahlkabine kam es anders: ca. 100 PD-Abtrünnige missbrauchten die Präsidentschaftswahl für interne „Abrechnungen“, ließen Prodi scheitern und versetzten damit Bersani den Gnadenstoss. Wir wissen nicht, wer danach als erster die zündende Idee hatte, wie die Karre wieder aus dem Dreck zu fahren war. Wir wissen nur: Am Samstag rutschten alle Parteiführer auf Knien zu Napolitano, um zu flehen: Mach’s noch mal, Giorgio. Einmalig in der italienischen Nachkriegsgeschichte, denn als die Verfassungsväter den Staatspräsidenten mit einer 7-jährigen Amtszeit ausstatteten, dachten sie offenbar nicht daran, dass einer von ihnen seine Amtszeit auf 14 Jahre verlängern könnte. Und bisher hat es auch keiner gemacht.

Unfreiwilliger König

Unfreiwilliger König

Auch für Napolitano eigentlich eine abwegige Idee. Denn immerhin ist er 87, wenn auch geistig präsent und noch bei halbwegs guter Gesundheit. Aber gerade weil er seine 5 Sinne beisammen hat, weiß er, dass er mit der Aussicht, noch mit 94 im Amt zu sein, nicht nur Hazard mit dem Schicksal, sondern auch mit den Gesetzen der Biologie spielt. Aber wenn jemand meint, in Italien gebe es keine Preußen, dann kennt er nicht Napolitano

Bersani weint, Berlusconi grinst

Napolitano weiß, dass es kein Zuckerschlecken sein wird. Er wird bald 90, und das politische Personal, mit dem er in den nächsten Jahren weiter zusammenarbeiten muss, kennt er zur Genüge. Angefangen mit Berlusconi, den er jahrelang als Ministerpräsidenten ertragen musste und der ihm allein schon durch sein Vulgarität auf die Nerven gegangen sein dürfte. Trotzdem sagt Napolitano ja, an diesem Samstagvormittag, während noch der 5. Wahlgang läuft, der wieder zu keinem Ergebnis führt. Noch am Samstagabend wird er im sechsten Wahlgang gewählt, mit 738 Ja-Stimmen von insgesamt 1007 Wahlleuten, also mit deutlich mehr als zwei Dritteln. Als das Endergebnis bekannt wird, brandet der Beifall hoch, die Mehrheit der Wahlleute erhebt sich (nur die Grillini bleiben sitzen), eine Welle der Erleichterung überflutet alle.

Man musste schon genau hinsehen, um feine, aber wichtige Unterschiede zu erkennen. Bersani, der gerade von seinem Amt als Generalsekretär der PD zurückgetreten ist, verbirgt sein Gesicht hinter seinen Händen und weint. Während auf Berlusconis Gesicht zunächst ein fast ungläubiges Lächeln erscheint, das dann zu einem breiten Grinsen wird.

Die Weichenstellung zum „breiten Einvernehmen“

B.s Grinsen hat seinen Grund. Hinter dem Respekt, den nun alle Welt Napolitano erweist, verschwindet fast die dahinter stehende Weichenstellung, welche die eigentliche Hauptsache ist. Denn Napolitano hat – knallhart – seine Kandidatur an eine Bedingung geknüpft: „Ich mache es nur, wenn auch Ihr (also PD, PdL und Montis Zentrum) Euch Eurer Verantwortung stellt“. Im Klartext heißt das die Bildung einer „Regierung des breiten Einvernehmens“, zu der er sie seit Monaten auffordert. Jetzt lautet das Motto: „Schluss mit den Spirenzien, alles hört auf mein Kommando. Sonst läuft nichts“. Die Bedingung ist das Bündnis, das die PD um jeden Preis vermeiden wollte – um noch etwas von der Veränderung zu retten, welche sie vor der Wahl versprach und die Italien dringend nötig hätte. Wie wenig begeistert die Anhängerschaft der PD von einem solchen Deal mit B. ist, zeigte sich bereits zu Beginn der Präsidentenwahl, als die PD noch versuchte, im Einvernehmen mit B. Marini durchzusetzen. Nun soll das Einvernehmen noch weitergehen, und die Namen, die jetzt als wahrscheinliche Kandidaten für den nächsten Ministerpräsidenten gehandelt werden, bestätigen es. Zum Beispiel Amato, der ehemalige Sozialist und Craxi-Freund (auch B. ist ein Ziehkind von Craxi). Eine Regierung mit Alfano von der PdL und Enrico Letta als letzter noch verbliebener Führungsfigur der PD als Stellvertreter.

Aufgrund der Eigentore, welche die PD bei dieser Präsidentenwahl geschossen hat, könnte man fast meinen, dass sie es darauf angelegt hat. Das einzige Mal, wo ihre Wahlleute kompakt abstimmten, war im sechsten Wahlgang, als sie ihre politische Autonomie wieder an Übervater Napolitano abgaben. Der sie dann auch prompt in einen Laufstall mit Berlusconi steckte, Dauer unbestimmt. Wir sagen „Übervater“ mit Bedacht, denn man könnte die italienischen Ereignisse der letzten Wochen auch so lesen: Der italienische Staatspräsident, dem laut Verfassung eigentlich nur die Funktion eines Reservemotors zukommt, hat einen gewaltigen Machtzuwachs erfahren. Das bestätigt Napolitanos starke Antrittsrede, die er am Montag vor dem Parlament hielt und in der er den Parteien heftig die Leviten las. Nun aber erwarte er von ihnen ein rasches Befolgen seiner Empfehlungen. Andernfalls … : Die Mahnung blieb unbestimmt: entweder sein Rücktritt oder Neuwahlen.

Das politische System Italiens bewegt sich in Richtung auf ein Präsidialsystem. De facto ist dieser Übergang schon vollzogen. Als ewiger Optimist könnte man sagen: Solange B. noch nicht Staatspräsident geworden ist, alles halb so schlimm. Eine riskante Hoffnung.

13 Kommentare

  • Wie immer finde ich diese Beiträge sehr informativ, dafür möchte mich auch mal bedanken. Als ehem. Italiener der im Außland wohnt und zwischen anderen europäischen Ländern pendelt, ist diese Berichterstattung sehr hilfreich.
    Dass ich politisch di Lösungen ganz anders sehe und wünsche dürfte aus meinen anderen Kommentaren klar sein. Aber ich kritisiere ebenfalls u. vielleicht noch stärker die gegenwärtige CDU-FPD, genauso wie die frühere SPD – Grüne Politik, und sehe auch für Deutschland die bittere Notwenigkeit einer wahren Wende.
    Die hoffnungslose politische lage Italiens (denn mit der Wiederwahl Napolitanos ist das korrupteste System aller Zeiten endgültig als „alternativlose Rettung“ erzwungen worden. Mit demokratischen Mitteln, wohlbemerkt, wie 1922 schon einmal in Italien und 1933 in Deutschland.
    Nur die Frage von Wem oder Was Italien jetzt gerettet wurde stellt niemand: es wäre auch ohne Antwort: den der allesfressende Wurm ist drinnen, nicht aussen vor der Tür.
    Aber grundsätzlich, wenn man nur tief genug schaut, hat es sich überhaupt nicht geändert: PD und PDL machen jetzt nur ganz öffentlich was sie schon immer in den letzten 20 Jahren gemacht haben. Die Perversion des parlamentarischen Systems Italiens hat jetz wohl nur den Gipfel erreicht …
    Nur: der Gipfel ist immer ein schmaler Platz wo es nicht für alle Platz gibt. Es wird also einfacher für die wahren Demokraten jetzt alle diese korrupte Profiteure vom Gipfel wegzufegen.
    Wenn die Merheit der Italiener dies wollen, denn sonst, wie ich es immer meinen italienischen Freunde sage, wenn es euch so passt, dann schluß mit dem Jammern und Klagen: viel schlimmer kann es nicht mehr kommen, jedenfalls mit aller Phantasie kann ich es mir keine obschönere politische Situation vorstellen.

  • D. Schnittke

    Ich glaube mittlerweile, es ist genauso gekommen, wie Napolitano, viele im PD und alle im PDL das wollten: der Status Quo ist zementiert, die Taschen-Füll-Maschine neu geölt, Grillo erst einmal im Abseits.

    Dass Bersani ein bisschen geweint hat, zeigt nur, dass er genau weiß, wem Italien für weitere Jahre in die „ehrenwerten“ Hände gelegt wurde.

    Ja, und Berlusconi hat – wenn auch mühsam mit all den Nähten – bis hinter beide Ohren gegrinst. Dies (und das anderntags einsetzende befreite Aufstöhnen der „Märkte“) sollte eigentlich jedem klarmachen, wer wirklich profitiert (was braucht man noch dazu? Vielleicht ein paar auf den Tischen tanzende Monte-dei-Paschi-Banker?).

    Und der „weise alte Mann“? Er hat – nachdem er doch vorher so glaubhaft erklärt hatte, seine Weigerung gegenüber einer Wiederwahl habe nicht nur Altersgründe, sondern vor allem solche, die in der Verfassung selbst zu suchen seien – so überraschend flink zugegriffen, dass ihm ein italienischer Kommentator (Antonio Padellaro in ilfattoquottidiano vom 21.04.13, „Napolitano, era tutto studiato“) sogar beinahe zutraut, das alles so eingefädelt zu haben.

    Italien ist das Land Macchiavellis. Grillo wird sich wohl demnächst den einen oder anderen Band von ihm zu Gemüte führen, ich schätze, er hat sich in den letzten Tagen einige Male verdutzt die Augen gerieben. Er muss schnell lernen, denn der Sonntag hat gezeigt, dass er es noch nicht richtig kann. Er hat jetzt erst einmal versprochen, keine Kraftausdrücke mehr zu verwenden, das ist lobenswert, denn Ehrlichkeit führt in der italienischen Politik offensichtlich nirgendwohin (übrigens hört er just in dem Moment damit auf, wo ich seine Wut langsam verstehe und mir immer wieder ein vaff… auf die Lippen schleicht).

  • Werner Bläser

    Läuft es auf Renzi, Letta oder Amato als Premier hinaus? Egal?
    Die Märkte spielen das Ende der Regierungskrise, Mibtel und Eurostoxx sind in Rallye-Laune, die Rendite der ital. 10jährigen BTPs ist dagegen im freien Fall – seit langer Zeit erstmals wieder unter 4%. Bei einem Schuldendienst Roms in Höhe von (nach meiner Erinnerung, grob über den Daumen gepeilt) 80 bis 90 Milliarden ist plastisch zu sehen, was diese Beinahe-Halbierung dem italienischen Staat erspart.
    Hinzu kommt, dass im Laufe dieses Jahres aller Voraussicht nach das Wachstum nach und nach wiederkehren wird, nicht zuletzt aufgrund der eingeleiteten Reformen;
    (Siehe dazu die Berichterstattung über den DEF und die Stellungnahme von Daniele Franco von der Banca d’Italia in verschiedenen Zeitungen, das sehr lesenswerte Originaldokument ist einzusehen auf der Webseite der Nationalbank).
    Die Frühindikatoren hatten dies schon eine Weile lang angedeutet, jedoch hatten wohl die politischen Turbulenzen in Italien eine erhebliche Verzögerung der Erholung bewirkt.
    Wer jetzt Premier wird, könnte sich eventuell den „Verdienst“ am Aufschwung ans Revers heften.
    Was Grillo über eine Staatspleite Italiens im Herbst redet, ist nach jetzigem Stand purer Unfug.

  • D. Schnittke

    „Purer Unfug“ ist es m.E. nicht, es ist, folgt man nur (!) den Zahlen, wahscheinlich sogar die Wahrheit. Solange man aber noch ein Fünkchen Hoffnung hat, sollte man sie (z.B. als Politiker oder Wirtschaftsfachmann etc) trotzdem – da sie gleichzeitig self-fulfilling prophecy ist – nicht aussprechen (da ich weder das eine noch das andere bin, bleibt es folgenlos).

    Letztlich hängt die Pleite eines Staates vom Kredit ab, vom Glauben, dass die Wirtschaftskraft eines Landes ausreichend ist, um mit allen Schulden fertig zu werden (würde man da nüchtern draufblicken, wären die meisten Staaten schon pleite).

    Relativ willkürlich werden Höchstgrenzen der Verschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung gesetzt, die Überschreitung dieser Limits stellt zwar ein Gefahrenpotenzial dar, wird aber von niemandem mehr richtig geahndet (die ursprüngliche Idee, das mit Strafzahlungen zu ahnden, war ja auch ein bisschen seltsam), und eine tatsächliche Grenze zur „absoluten“ Zahlungsunfähigkeit hat wohlweislich nie jemand definiert. Kommt ein Staat wirklich irgendwie in die Nähe der Pleite (im Vertrag von Maastricht wird das Wort nicht benützt, als Grenze ist für die Gesamtverschuldung 60% des BIP angegeben, Italien hatte Ende 2011 120% erreicht – darf man da von „Nähe der Pleite“ reden?) und kann seine Wirtschaftsdaten nicht (wie D) mit Exporten (an Pleitestaaten) aufpäppeln, kann man seine Lage noch eine Weile mit Straßen, Gebäuden etc. schönrechnen, danach kann man vielleicht noch eine freundliche Wachstumsprognose aus dem Hut zaubern (die nach 3 Monaten leider korrigiert werden muss), oder eben ein bisschen am Spread schrauben, aber irgendwann ist Schluss. Dann hilft nur noch, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Und diesem Punkt ist Italien in den letzten Wochen mit jedem Tag näher gekommen.

    (Dass geliehenes Geld nun plötzlich billiger geworden ist, mag eine Verschnaufpause sein, strukturell ändert sich nichts. Die Geschichte der künftig wahrscheinlich regierenden Parteien zeigt auch, dass Verschnaufpausen – und als solche könnte man ja auch die Jahre des Euro in Italien mit der Gnade des billigen Geldes erachten – von ihnen nicht für das Wohl des Staates, den gesunden Aufbau der Wirtschaft etc. genutzt wurden.)

    Solange aber noch alle glauben (wollen/müssen), dass ein Staat nicht pleite ist (und/oder von seinen Mit-Staaten nicht allein gelassen wird), lohnt es sich auch nicht (bzw es ist doof, weil man dann Geld verliert), auf seine Pleite zu spekulieren, und die Pleite bleibt aus (oder wird verschoben). Auch Italien ist wohl „too big to fail“, deshalb wird man – will man nicht den steinigen Weg Islands beschreiten (bei dem hauptsächlich der Mittelstand die Zeche zahlt, aber eben auch einige „Großkopfete“, was für viele den Charme der Lösung ausmacht) – weiter an ein happy end glauben müssen.

    Die Tragik ist, dass es – trotz kurzzeitiger Zinsberuhigung – mit der derzeitigen Politikergarde (um Herrn Heine, den ich schätze, das Wort „Kaste“ zu ersparen) m.E. kein happy end gibt, und dass Grillo (einer der wenigen, dem ich das uneigennützige Streben nach dem Wohl Italiens noch abnehme) daran entweder nicht mehr glaubt (und die Konsequenzen für überlebbar, ja beherrschbar hält) oder den dafür nötigen „leisen Balanceakt“ einfach nicht hinbekommt. Ich hoffe, ich irre mich, und irgendwo tut sich ein dritter Weg auf.

  • D. Schnittke

    Nachtrag: natürlich gehört zum Kreditkapital eines Staates auch das angesammelte Vermögen seiner Bürger (nicht unbedingt das der Superreichen, sondern halt das, an das der Staat auch rankommt, aber lassen wir das). Da traf es sich (doppelt) gut, dass justament zu dem Zeitpunkt, als irgendwer Pleitegeier über Südeuropa schweben sah, die schönen bunten Bildchen mit den Statistiken zur Vermögensverteilung in Europa auftauchten. Man konnte nicht nur plötzlich neu munitioniert auf den reichen (aber natürlich trotzdem faulen) Südländern rumhacken, sondern man hatte auch deren Pleite (die ja so oder so alle kosten wird, da hilft auch kein Euroausstieg, egal, von wem) ein Stück weggeschoben (Staatsschulden enorm, aber private Vermögen vorhanden) bzw schon mal eine Idee formuliert, wer sie hauptsächlich zu bezahlen haben wird.

    Das Tolle: die, die in den jeweiligen Ländern (beschränken wir uns in diesem Blog auf D und I) eh nichts oder nicht viel haben, werden seit einiger Zeit von den (oder vielmehr: durch die) Medien gegeneinander gehetzt (auch mithilfe dieser Statistik, die übrigens – wenn man die Schweizer Variante mit Pro-Kopf-Vermögen betrachtet – nicht mehr ganz so große Unterschiede zeigt). Ich weiß nicht genau, wie gut das momentan in D funktioniert, hier in Westsardinien ist jeder, mit dem ich spreche, davon überzeugt, dass die Deutschen an allem, und zwar an wirklich allem Schuld haben. Und zwar nicht etwa die deutschen Banken oder gar die Deutsche Bank, sondern die deutschen Bürger, die sich nach hiesigen Vorstellungen alle (!) von Manna und Ambrosia nähren (den ärmsten 10 Prozent wird ja wohl auch bald nichts anderes mehr bleiben).

  • Werner Bläser

    Zinsen, Schulden, Wachstum, Reformen…

    Vor einigen Tagen ging eine genüssliche Welle von Sarkasmus durch die meisten Wirtschaftszeitungen. Reinhardt und Rogoff – Klassikern der Ökonomie – wurde nachgewiesen, dass sie mit ihren Rohdaten geschludert hatten. Und dass demzufolge ihre These, dass Staatsschulden von über 90% des BIP zu stark verminderten Wachstumsraten führen, falsch sei.
    Abgesehen davon, dass auch die Kritiker (Pollin et al.) ihre eigenen Daten falsch interpretieren (auch danach sind hohe Schuldenstände nicht günstig – nur weniger ungünstig als von R&R angenommen), ist die ganze Fragestellung in höchstem Masse naiv.
    Wenn man einen normalen Bankkaufmann fragen würde, wieviel Kredit man einem Kunden geben dürfe, könnte er darauf keine definitive Antwort geben, denn die Frage ist – so gestellt – sinnlos. Denn selbstverständlich hängt das von vielen Parametern ab: Welche Sicherheiten hat der Kunde, welches Einkommen, wie sicher ist sein Job, wie alt ist er, und vieles mehr.
    Genau das gleiche gilt auch für die Schulden von Staaten. Staaten haben – genau wie Privatkunden von Banken – unterschiedliche Voraussetzungen, und von daher ist es völlig unmöglich, für alle einheitliche Schuldentragfähigkeitsgrenzen zu definieren.
    Der IWF tut dies trotzdem; und auch die theoretische Ökonomie arbeitet immer wieder mit solch hanebüchen vereinfachenden Fragestellungen.
    Die Kapitalmärkte, obwohl natürlich nicht frei von Fehleinschätzungen, versuchen i.a., stärker zu differenzieren.
    So wird den USA eine hohe Schuldentragfähigkeit zugestanden, u.a. weil die Weltleitwährungsrolle des Dollar eine zusätzliche „künstliche“ Nachfrage nach US-Bonds generiert.
    Japan kommt mit Schulden von 245% des BIP nicht unter die Räder, weil 95% der Schulden in Händen der eigenen Bürger sind (die kann man immer besteuern oder über durch Gelddrucken verursachte Inflation teilenteignen, um die Bonds zu bedienen).
    Ausserdem haben beide Länder wertvolle Assets und – grosso modo (!) – einigermassen laufende Wirtschaften.
    Andere Länder haben andere Voraussetzungen. Italien z.B. hat zwar auch erkleckliche Assets auf der Haben-Seite (wenn diese auch von der jüngsten EZB-Studie methodisch fragwürdig weit übertrieben dargestellt wurden). Aber seit vielen Jahren eine chronische Wachstumsschwäche. Hier lässt sich geradezu exemplarisch ablesen, wie sinnlos verallgemeinernde Fragen sind, wie die, welche Rezepte funktionieren: Keynes oder „österreichische Schule“.
    Italien hat es zu verschiedenen Zeiten und Gelegenheiten mit beidem versucht, dazu noch lange mit einem guten Schuss französischer „planification“ (s. dazu u.a. Gioachino Fraenkel, Die ital. Wirtschaftspolitik zw. Politik und Wirtschaft, 1991; H. Sperber/J. Sprink, Internationale Wirtschaft und Finanzen, 2007).
    Das Henne-oder-Ei-Problem (verursacht geringes Wachstum hohe Staatsschulden oder verursachen hohe Schulden geringes Wachstum?) wird an diesem Beispiel durch die Facette erweitert, dass hohes Wachstum durchaus auch hohe Schulden mit-verursachen kann:
    Während der 70iger Jahre war in Italien überwiegend Keynes en vogue. Dies führte zu Wachstumsraten, die im Durchschnitt höher waren, als die des letzten Jahrzehnts. Aber die Produktivität wuchs nicht mit. Und die Politik wurde durch die vergleichsweise höheren Wachstumsraten dazu verführt, sich durch unfinanzierbare Versprechungen Wählerstimmen zu „erkaufen“ – eine Tradition, die Berlusconi bis heute bruchlos fortsetzt.
    Dies hatte zur Folge, dass trotz Wachstum der Schuldenberg anwuchs und die italienische Wirtschaft zunehmend unter Strukturproblemen litt. Die vorherigen, durch expansive Maßnahmen erhöhten Wachstumsraten hatten also keine nachhaltige Grundlage.
    Italien unter heutigen Bedingungen über „Keynes“ zum Wachsen zu bringen, hätte nach diesen Erfahrungen nur Sinn, wenn zuerst strukturelle Reformen zu Ende gebracht worden wären. Monti hat einiges davon eingeleitet, wenn auch mit sozialer Schieflage.
    Die jüngste Stellungnahme der Banca d’Italia zum DEF weist z.B. auf die Problematik hin, dass die Steuerlast in Italien unnatürlich hoch sein muss, weil die ehrlichen Steuerbürger eben für die unehrlichen mit-bezahlen müssen.
    Wachstum liesse sich also beispielsweise durchaus mit Massnahmen wie z.B. einem besseren Steuersystem und einer effektiven Steuerverwaltung fördern.
    Der Kapitalmarkt beobachtet solche Entwicklungen sehr genau und danach stellen sich Grössen wie Rendite und CDS-Werte ein.
    Wenn die Renditen für ital. Staatsanleihen sich vom Höchst von Ende 2011 halbieren, dann würde dies für den ital. Staat eine Ersparnis in Höhe von ca. 40 Milliarden Euro bedeuten.
    Damit könnte man schon einiges anfangen.
    Und Draghi hat ja mit seinem (bisher nur „angedrohten“) OMT-Programm sozusagen Netz und doppelten Boden unter die Renditen von Ländern gezogen, die zu Reformen bereit sind.
    Die Voraussetzungen für Italien, zu einem nachhaltigen (und nicht strohfeuerartigen) Wachstum zu kommen, sind prinzipiell also keineswegs so schlecht.
    (Mit teuren Konjunkturprogrammen allein wird es nicht gehen – wie der ehemalige amerikanische Finanzminister Brady zur lateinamerikanischen Schuldenkrise sagte: „The solution to too much debt is not more debt“.)
    Es liegt vielmehr an der Politik und an den Sozialpartnern, die jetzt erstmals das Kriegsbeil zu begraben scheinen (man sieht ja zarte Kooperationsansätze zw. Gewerkschaften, CGIL inklusive, und Confindustria).
    Italien durch Reformen im Steuerrecht, Arbeitsrecht, Genehmigungsverfahren u.v.m. „ans Laufen“ zu bringen, wäre an sich rein technisch-ökonomisch keine unmögliche Aufgabe.
    Wenn es denn auf Seiten von Politik und gesellschaftlichen Gruppen ein Mindestmass (!) an Zusammenarbeit, Solidität, Verlässlichkeit und Anstand gäbe.
    Dann könnte Italien nicht nur weit von dem von Grillo prophezeiten Zusammenbruch entfernt sein. Sondern sogar ein kleines „powerhouse“ im Süden werden.
    Träumen darf man ja wohl noch.

  • D. Schnittke

    „Wenn man einen normalen Bankkaufmann fragen würde, …“

    Ihr Beispiel impliziert, dass bei der Vergabe von Krediten (an Privatleute, Unternehmen oder Staaten) so etwas wie Rationalität herrscht, dass Banken sich die Frage stellen mögen: bekomme ich – neben den Zinsen, die sozusagen mein Verdienst sind (dafür, dass ich ein Risiko eingehe), auch das geliehene Geld wieder zurück?

    Das können Sie eigentlich nicht ernst meinen.

  • D. Schnittke

    Habe mich – zugegeben – in Ihrer langen Analyse zwischen Keynes & Co etwas verlaufen, sodass mir Ihr folgender Satz erst jetzt bewusst wird:

    „Wenn die Renditen für ital. Staatsanleihen sich vom Höchst von Ende 2011 halbieren, dann würde dies für den ital. Staat eine Ersparnis in Höhe von ca. 40 Milliarden Euro bedeuten. Damit könnte man schon einiges anfangen.“

    Erinnert mich irgendwie an:

    „Ich wollte mir gestern Schuhe kaufen. Hab aber kein Geld.“
    „Sei froh, dann hast Du das Geld gespart.“
    „Stimmt, und mit dem Gesparten könnte ich mir ja jetzt die Schuhe doch kaufen.“

    Kann es sein, dass Sie einer dieser Wirtschaftsberater von Regierungen sind?

  • Werner Bläser

    „Wenn man einen normalen Bankkaufmann fragen würde…“. Herrscht da Rationalität? Ja, natürlich, im allgemeinen schon.
    Man sollte die in Krisenzeiten besonders grassierenden Stammtischparolen nicht mit der Realität verwechseln. Es kann doch auch für einen offensichtlichen ökonomischen Laien nicht so schwer sein, zu begreifen, dass ohne ein normales Mass an Rationalität bei der Kreditvergabe gar kein Bankgeschäft möglich wäre. Alle – wirklich ALLE – Banken würden ja innerhalb von wenigen Wochen/Monaten pleite gehen.
    Nun, tun sie das?
    Ich glaube nicht, dass Sie Ihr Geld unter der Matratze verwahren. Sondern bei einer Bank. Wenn Sie meinen, dass bei Kreditvergaben grundsätzlich keine Rationalität herrscht, dann sollten Sie es schleunigst von der Bank zur Matratze transferieren.
    Bei aller berechtigten Kritik an Banken sollte man doch auf dem Teppich bleiben und nicht in Stammtischparolen verfallen. –

    „Wenn die Renditen der ital. Anleihen vom Höchst … sich halbieren…“.
    Man muss kein Wirtschaftsberater sein, um Zahlen lesen zu können. Es soll sogar vereinzelt Journalisten geben, die das beherrschen.
    Schauen Sie sich einfach auf Bloomberg, oder wo Sie wollen, die Zahlen an.
    Ich helfe Ihnen, für den Fall, dass es zu schwierig ist: Die Renditen der 10jährigen BTPs sind von gut über 7 auf ca. 4% gefallen.
    Jetzt nehmen Sie doch einfach mal Ihren Taschenrechner und rechnen nach, wieviel zur Halbierung noch fehlt. Ein Tipp: Es ist nicht mehr viel.

  • D. Schnittke

    „Alle – wirklich ALLE – Banken würden ja innerhalb von wenigen Wochen/Monaten pleite gehen.
    Nun, tun sie das?“

    Ist die Frage ernst gemeint?

    Dann sollten Sie sie vielleicht mal irgendwo in Dublin laut in einem Pub stellen. Ich schätze, die dortigen Stammtischbrüder und -schwestern werden Ihnen etwas dazu erzählen können.
    Aber Vorsicht, wie ich gehört habe, lassen die sich mittlerweile von Heißluftbläser, Ackermann & Co nicht mehr einreden, sie seien zu blöd, um den Zusammenhang zu kapieren.

    Bezüglich Ihrer Antwort auf meinen Post Nr. 8: ich habe Ihre Fähigkeit, Zahlen zu lesen, nie angezweifelt (überlege es mir aber hinsichtlich Ihrer Fähigkeit, einen Text zu lesen).

  • Werner Bläser

    Habe Ihren Text gelesen und gebe Ihnen noch einen Tipp: Egal, in welchem Pub oder wo immer Sie Ihre wirtschaftlichen Weisheiten gewinnen – lassen Sie den Cannonau einfach mal ’ne Zeitlang stehen.
    Es würde vielleicht beim Verstehen einfachster Zusammenhänge helfen.

  • D. Schnittke

    Ich würde ja auch gerne so einfache Ssssusammenhänge verstehen und gucke diesen Blog ja auch, weil hier so ein Ökonomie-Konipheren…kopriphagen…korii- Fachmann halt – ist.
    Aber ich bin sssso verwirrt!
    Ssseit mehr als 5 Jahren ersssählen mir meine Sssaufbrüder nun, dass die größten Zockerbanken eigentlich längst pleite wären (hicks!), weil sssie in USssA oder Spanien oder wo völlig abgedrehte Baukredite vergeben haben, sssich die Risiken gegenseitig durch so Tochterdings abgesichert, die Abssicherung sssechsmal weiterverhökert, auf jeden Vorgang bisssu 25% Zinsen und die sich darausssu errechnenden Boni aufgeschlagen und am Ende beim Wetten auf einen Kreditausfall noch einmal anständig abgesahnt haben, und irgendwann hätte das irgendwie nicht mehr so richtig funnnzioniert. Und dann wär jemand gekommen, der jemand gessswungen hätte jemand ssu sswingen, die Jungs da wieder rauszuhauen mit so Bürgschaffn. Oder Bürgerschaffn. Egal, die Bürger müssnesschaffn, dass die Jungs nix zahln.
    Hey, und jetzt kommen Sie und wissen alles und sagen, das hätten die Jungs gar nicht gebraucht, weill sssie ja immer alles im Griff hatten und den vollen Durchblick und deshalb gehen die gar nicht pleite. Das ist doch auch so verwirrend. Prost. Ich geh jetzt schlafen und komm nicht mehr her. Versprochen.

  • Werner Bläser

    Sie mögen meine Beiträge nicht. Kann ich verstehen, sind ja so komplizierte Dinge wie Zahlen drin. Ich hingegen mag ihre. Wegen ihres (allerdings unfreiwilligen) Unterhaltungswertes.
    In welche Rubrik kann man Ihre zutiefst analen Analysen stecken?
    „Wie Klein-Schnittchen sich aus der Realität schleicht?
    Oder pubertäres Parolen-Pubsen, frisch aus dem Pub?“

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