Das schwarze Loch der Rezession

Deutscher Volksmund zur Frage, was „die Italiener“ am liebsten tun: Dolce far niente. Faul in der Sonne liegen und nichts tun.

Ein Land befindet sich in der Rezession, so die Definition, wenn sein Bruttosozialprodukt in zumindest zwei aufeinander folgenden Quartalen stagniert oder schrumpft. In diesem Sinne befindet sich Italien seit 2011 in der Rezession. Sie dauert an: Für 2013 prognostizierte die Regierung Monti gerade eine weitere Schrumpfung von 1,5 bis 1,6 %.

Protestierende Arbeiter in Rom

Protestierende Arbeiter in Rom

Zurzeit verlieren monatlich knapp 100 000 Menschen ihre Arbeit, die Bevölkerung einer Großstadt. Nur eine Minderheit hat eine neue Chance. In Italien wird der Übergang in die Arbeitslosigkeit noch ein Jahr abgemildert durch die „Cassa Integrazione Guadagni“. Dann kommt der Sturz ins Bodenlose. Sozialhilfe gibt es nicht.

Proteste

Es gibt vermutlich nur wenige Großstädte in Italien, in denen nicht jede Woche irgendein weiterer Betrieb schließt. Die Betroffenen protestieren. Viele suchen dabei zuerst Sichtbar- und Hörbarkeit. Sie ziehen mit ihren Gewerkschaftsfahnen ins Stadtzentrum, die Frauen mit Trillerpfeifen, die Männer setzen sich auf den Boden und schlagen rhythmisch ihre Schutzhelme aufs Pflaster (siehe Foto). Ein Höllenspektakel, das Fernsehen kommt. Aber wenn es zu oft geschieht, wenn es sich wiederholt, beginnen die Menschen um die Sitzenden einen Bogen zu machen, man muss ja weiter. In den Fernseh-Nachrichten werden „Proteste“ zur festen Rubrik, die sich der Zuschauer zu ersparen beginnen, weil es immer das Gleiche ist. Und die Entlassungsschreiben liegen immer noch auf den Küchentischen.

Dann protestiert man eben noch schriller. Sardische Minenarbeiter, deren Betriebe vor der Schließung stehen, besetzen wochenlang die Flöze und drohen, lieber 400 Meter unter der Erde zu verrecken, wenn sie nicht rückgängig gemacht wird. Andere verlegen ihren Protest auf Türme in 50 Meter Höhe und drohen mit dem Sprung in den Abgrund. Sie demonstrieren – ein letztes Mal – Solidarität, ihre Angehörigen versorgen sie, aber das einigende Band ist nur noch das Festklammern an einer Schimäre. Das Gefühl der Vergeblichkeit wächst: Einer versucht, sich vor laufenden Fernsehkameras die Pulsadern aufzuschneiden, seine Kollegen reißen dem blutenden Mann das Messer aus der Hand.

Selbsttötungen

Andere gehen leise, ohne viel Aufhebens. Selbsttötungen „aus wirtschaftlichen Gründen“, wie die Statistiken sagen, haben sich in den letzten Jahren verdoppelt. Anfang April ging ein Fall durch die Zeitungen, in dem sich ein ganzer Alten-Haushalt in Civitanova Marche auslöschte. In dem kleinen Adria-Ort bildeten der 62-jährige Romeo, seine 68-jährige Frau Anna Maria und ihr 73-jähriger Bruder Giuseppe eine Wohngemeinschaft. Romeo war von Beruf Maurer, Anna Maria Rentnerin und Giuseppe bezog ebenfalls eine kleine Handwerker-Rente. Die Miete der Wohnung kostete monatlich 700 €, die beiden Renten erbrachten zusammen monatlich gut 1000 €. Solange Romeo, der noch kein Anrecht auf Rente hatte, noch in seinem Beruf als Maurermeister arbeitete, kamen sie über die Runden. Genau das wurde zum Schwachpunkt: Wegen der Krise in der Bauwirtschaft musste Romeo seinen kleinen Betrieb aufgeben und sich als Polier für andere Firmen verdingen. Dann fand er nur schwarz und als Hilfsarbeiter Arbeit. Und am Ende auch die nicht mehr. Die Rechnung der dreiköpfigen Familie ging nicht mehr auf. Gas und Elektrizität bezahlten zwar noch fallweise Verwandte, aber die Schulden beim Sozial- und beim Finanzamt, bei der Bank, beim Vermieter wuchsen. Ihr kleiner Panda war schon lange abgemeldet. Am 5. April hatten sie das Gefühl, dass ihnen alles über den Kopf wuchs. Romeo und Anna Maria erhängten sich in ihrer Garage, der 73-jährige Giuseppe sprang vom Hafen ins Meer. In ihrer Wohnung hinterließen sie einen Zettel, auf dem sie um Entschuldigung baten.

Die Schattengrenze der Scham

Ein banaler Fall, könnte man sagen, aber eines bleibt rätselhaft. Niemand ahnte, dass sich die finanzielle Situation für die drei so dramatisch darstellte. Dass sie in Schwierigkeiten waren, wussten Verwandte, aber z.B. nicht die Kommune. Der Bürgermeister fand hinterher nur einen Zettel, den ihm Romeo geschrieben hatte und auf dem er sich zu „Hilfsarbeit jeder Art“ bereit erklärte. Jetzt weiß man: Es war ein Signal. Aber kein Wort über die Schulden, über das Gefühl der Ausweglosigkeit, das sich in der vorausgehenden Zeit bei allen Dreien aufgestaut haben muss. Warum? Aus Stolz und aus Scham. Sie wollten niemanden um etwas bitten.

Die Geschichte zeigt am Extrembeispiel, was es heißt, wenn ein Haushalt zum ersten Mal in die Schuldenfalle gerät. Eine Schattengrenze wird überschritten, in der es auch um Scham und Würde geht, und das heißt eben für manche: um Leben und Tod. In Italien gerät derzeit mehr ins Rutschen, als es mancher Mitteleuropäer ahnt. Dem es (meist) gut geht und der es gelernt hat, auch über die Armut im eigenen Land hinwegzusehen. Und der für Südeuropa nur eine robuste Botschaft hat: Sparen lernen! Was die Soziologen den Übergang in die „neue Armut“ nennen, das geschieht in Italien gerade hunderttausendfach.

PS: Einen Teil der Informationen, die dieser Beitrag verarbeitet, entnahm ich der „Repubblica“ vom 6. 4. 2013 und einem Artikel von Andrea Sarubbi in „La nuova Ferrara“ vom 8. 4. 2013, den uns freundlicherweise C. W. Macke zugänglich machte.

9 Kommentare

  • Werner Bläser

    In solchen wirtschaftlichen Situationen kommt die ganze Desaströsität des italienischen Staats- und Wirtschaftsmodells zum Tragen. Es ist von Grund auf konzeptionell verfehlt.
    Jahrzehntelang wurde die Bekämpfung von Kriminalität und Steuerbetrug nicht ernst genommen, dementsprechend gross wurde die Schattenwirtschaft, dementsprechend klein die Finanzausstattung des Staates.
    Woraus wiederum das fast völlige Fehlen eines italienischen Sozialsystems resultiert.
    Als „Ersatz“ hat man auf vielfältige Weise versucht, der Wirtschaft selbst alle sozialen Pflichten aufzubürden, die der Staat nicht schultern wollte. Unabhängig davon, ob die Firmen das finanziell tragen konnten oder nicht.
    Natürlich können das viele nicht, gehen pleite. Und die Arbeitsplätze gehen so reihenweise verloren.
    Während man in anderen europäischen Staaten über Steuern und Abgaben soviel Geld abschöpft, wie es der Ertragskraft der Steuersubjekte in der Wirtschaft entspricht, ging man so quasi mit dem „Rasenmäher“ vor.
    Die Ergebnisse sehen wir heute.
    Italien braucht nicht nur politisch/konstitutionell
    einen Neustart, sondern auch von der ganzen Wirtschafts- und Steuerkonzeption her.
    Eine totale Runderneuerung.

  • Werner Bläser

    Nachtrag.
    Einen Satz im Artikel hatte ich ganz überlesen:
    „Sozialhilfe gibt es nicht.“.
    So kategorisch stimmt das natürlich nicht ganz. Es stimmt, dass es kein nationales Gesetz gibt, das soziale Hilfen regelt, wie z.B. in Deutschland.
    Aber soziale Hilfen gibt es, sie liegen rechtlich in der Zuständigkeit der Regionen und werden in unterschiedlicher Höhe von den Gemeinden ausbezahlt („assistenza economia“, „sussidio monetario integrativa“). Dazu wurden verschiedene Vehikel eingerichtet wie der ‚Fondo per la non autosufficienza‘ und andere.
    Es stimmt natürlich auch, dass das italienische Sozialsystem nicht mit nordeuropäischen vergleichbar ist.
    Dies ist die Kehrseite der „Medaille“, dass eben den Betrieben – den leistungsfähigen wie den nicht leistungsfähigen – die sozialen Kosten aufgebürdet werden (so zahlen die Arbeitgeber z.B. drei Viertel der Sozialabgaben, so ist auch der „berüchtigte“ §18 Arbeiterstatut zu erklären, und vieles mehr).
    Hier gibt es immensen Reformbedarf.
    Soziale Absicherungskosten gehören in die Verantwortlichkeit der Gemeinschaft, finanziert von jedem Wirtschaftssubjekt nach Ertragskraft.

  • Hartwig Heine

    Es gibt kommunale Sozialfonds, die von der jeweiligen Region alimentiert werden. Aber wie das Gesundheitswesen sind auch gerade diese Fonds von der gegenwärtigen Sparpolitik betroffen. Während die Anforderungen wegen der zunehmenden Verarmung steigen, sinken die dafür verfügbaren Etats. Wenn ich die Nachrichten aus Civitanova Marche richtig interpretiere, war z.B. der dortige Sozialfonds schon jetzt, also im ersten Jahresdrittel, so gut wie leer.

  • Werner Bläser

    Auch die CIG-Fonds haben grosse Probleme (Frau Fornero sucht gerade händeringend nach neuen Milliarden für sie).
    Das ganze ital. Sozialsystem – eigentlich kann man bei diesem stückgewerkten Flickenteppich ohne solide Basis ja von „System“ gar nicht sprechen – müsste von Grund auf erneuert und alimentiert werden.
    Vor allem auf Kosten der Ausgaben für Politik und Bürokratie: Italien leistet sich 40% mehr Bürokraten als z.B. Deutschland, und durch Verkleinerung und Verringerung der Provinzverwaltungen liessen sich Unsummen einsparen. Ich bin in diesem konkreten Punkt ganz der Meinung von Grillo.
    Der – man höre und staune – heute in einem Interview (s. ‚Lettera 43‘, „Grillo usa l’arma Gabanelli…“) zum ersten Mal eine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit dem PD angedeutet hat. Auch für eine Regierung.
    Ich habe so etwas ja schon seit langem vermutet.
    Der Druck in seiner Bewegung ist halt da. Oder vielleicht hatte Grillo das auch von Anfang an vor und hat bis jetzt nur gepokert. Wer weiss.
    Jedenfalls: Was lange gärt, wird endlich gut (alte Bierbrauer-Weisheit).

  • Carl Wilhelm Macke

    Erst etwas verspätet habe ich den Text von Hartwig Heine über das „Schwarze Loch der Rezension in Italien“ zur Kenntnis genommen. In den ganzen Hick-Hack der letzten Wochen nach den Wahlen im Februar und vor der Präsidentschaftswahl im April ist dieser dramatische Aspekt italienischer Gegenwart bislang kaum zur Kenntnis genommen worden. Vielleicht ist der Kommentar von HH zu schwarz gefärbt, aber selbst eine ‚graue Färbung‘ wäre schon dramatisch genug. Man gehe nur einmal mit offenen Augen durch eine beliebige Klein- oder Mittelstadt Italiens, um die langsame Entleerung der Innenstädte schmerzhaft wahrzunehmen. Ein Geschäft nach dem anderen schliesst oder wird – wenn es ‚gut geht‘ – von Billigramschläden übernommen. Und zugenommen hat auch die Zahl der Menschen – nicht nur der ‚Extracomunitari‘ – die um ein Almosen bitten. Man kann nur hoffen, daß sich in italienischen Städten nicht allmählich ‚griechische Verhältnisse‘ ausbreiten, zu denen auch extrem nationalistische Schlägerbanden gehören. Als Hoffnung bleibt da nur, daß die italienische ‚Zivilgesellschaft‘ noch stärker und vernetzter als die entmutigte griechische Gesellschaft ist. Jedes politisches Projekt jenseits des ‚Berlusconismus‘ ( dessen Rückkehr verheerend für das Land wäre ) sollte daran gemessen werden, welche Antworten es auf die urbane Krise und das ’schwarze Loch‘ im Alltag von immer mehr Menschen findet. „Aus Sorge um Italien‘, aber auch ‚aus Sorge um Europa‘.

    Carl Wilhelm Macke ( München/ Ferrara )

  • Diese Analyse ist die beste die ich über diese Probleme gelesen habe.
    Leider musste soweit kommen, und vielleicht geht es noch weiter in die Rezession bis etwas geschiet, dass die Lage dramatisch und grundsätzlich ändert. Ich kenne auch persönlich einen Todesfall von einem „esodato“, einer der die Zwangskündigung annahm, unter dem Versprechen eines Überganggeldes bis zum Rentenalter, aber aus den zwei Jahren wurden dann plötzlich sieben, und dann hatte der arme keine Hoffung mehr und fühlte sich betrogen, aus Scham nahm sich das Leben. Ich hätte gerne Herrn Monti, der Scharlatan-Ökonom, für diesen Tod zur Verantwortung gezogen.
    Das Märchen, dass die Südländer nicht arbeiten wollen ist dann die letzte zynische Lüge: Deutschland hat die Arbeitslosigkeit in Südeuropa exportiert.
    Die Einheitswährung Euro, die eine christliche Kanzlerin und ihr Finanzminister gegen jeden Vernunft verteidigen, ist jetzt auch noch blutgeschmiert.
    Aber wem kümmer das: Hauptsache sind die „Märkte“ nicht verunsichert … und die Banken gerettet.
    In dieser grausamen Logik ist jeder Selbstmord von Rentner und Kleinbetriebbesitzer ein Beitrag zur Eurostabilität, es läßt sich ökonomisch sogar in Zahlen messen.
    Über die verlorene Demokratie in Europa braucht man sich jetzt nicht mehr zu äußern, es ist Sache von Gestern, vorbei und vergessen.

  • Werner Bläser

    @Herrn Priotto. Die Tatsachen sind deprimierend. Aber woran liegt das? Deutschland hätte die Arbeitslosigkeit nach Südeuropa exportiert?
    Man könnte genausogut sagen, Südeuropa exportiert seine Probleme in die ganz Welt.
    Die meisten Experten sind jedenfalls dieser Meinung. Wenn der Euro das Problem ist, warum tritt dann niemand aus? Das müsste Ihnen doch zu denken geben.
    Deutschland war das einzige Land, das mit politischem Druck in den Euro „geführt“ werden musste (hier waren ausser Kohl und Waigel kaum grössere Gruppen dafür). Die Südländer waren es, die den Euro unbedingt wollten. Haben Sie das schon vergessen?
    Ausgerechnet Herr Prodi, der Vater der italienischen Euromitlgliedschaft, zählte jetzt noch zu den Präsidentschaftskandidaten.
    Die Gründe, Deutschland den Euro aufzudrängen, waren auf Seiten Frankreichs der Wunsch, die
    D-Mark (diese, laut Jacques Attali, „ökonomische Atombombe Deutschlands“) angesichts der Wiedervereinigung zu neutralisieren.
    Die Mittelmeerländer erhofften sich ökonomische Vorteile, z.B. im Zinsbereich, die ja dann auch eintraten. (Die Zinsen für Italien in der Vor-Euro-Ära waren z.T. über 10% – ist Ihnen das denn nicht bekannt??).
    Diese Vorteile wurden im wahrsten Sinne des Wortes verplempert.
    Frankreich und einige Mittelmeerländer (nicht alle) sperren sich jetzt vehement gegen Reformen.
    Motto: „Wie kämen wir denn dazu, was anders zu machen, als wir es immer gemacht haben? Nein, die anderen sind schuld.“
    Wenn Deutschland, wie von Montebourg und anderen gefordert, seine Wettbewerbsfähigkeit herabsetzt (anstatt dass der Süden seine verbessert), was sagen wir dann den Chinesen, Südafrikanern, Indern, Brasilianern…?
    „Ihr müsst jetzt Eure Wettbewerbsfähigkeit auch herabsetzen, damit Italien und andere zurechtkommen?“.
    Die Antwort wäre klar.
    Das Gelächter aus Asien und anderen Teilen der Welt über unsere Dekadenz würde homerische Ausmasse annehmen. Und es würde allen in Europa gleich schlecht gehen, nicht besser.
    Wir können uns hier nicht eine Insel der Seligen einrichten. Diesen Traum müssen wir uns abschminken.

  • Herr Bläser,

    Ich schreibe als Übung, ich kenne sie nicht und will Sie auch nicht umstimmen. Wenn es Ihnen wohl tut, behalten sie ruhig Ihre Meinungen. Meine ändere ich dagegen entsprechend den neuen besseren Erkenntnissen die ich gewinne.
    Leider konnte ich in Ihre Kritik keine neue sehen.
    Ihre Argumente sind mir leider nur allzubekannt, sie sind insgesamt genau die Verdrehung von Tatsachen, die eine ganze politische Elite in den letzten 20 Jahren verbreitet hat.
    Manche haben diesen Berg von Lügen einverleibt, andere die Sachlage geprüft und diese Lügen entlarvt.
    Dies ist in Deutschland wie in Italien und in allen anderen Ländern Europas der Fall. Ich kenne kritische Stimmen aus allen Ländern. Und genau so wenig darf man deshalb sagen „Deutschland hat gemacht“ oder „Spanien hat nicht gemacht“ usw.: es gab und gibt in allen Ländern eine politische Klasse die zunächst da ist, zum Verdienen und nicht zum Dienen. Und die das vorzüglich entscheidet, was die Lobbies befehlen, und nur widerwillig sich für das Wohl der Allgemeinheit einsetzt, und zwar immer nur notgedrungen wenn die Gefahr droht, die Macht abgeben zu müssen.
    Nun einige Berichtigungen:
    Die Zinsen in Italien vor der Euro Ära waren nicht 10 % sondern fast 18 %. Und in Deutschland 14 % (und ich rede von Hypothekenzinsen!!).
    Doch damals erhielt man leicht 12 % und mehr auf kurzfristige Geldanlagen, und es herrschte fast eine Vollbeschäftigung.
    Die Wirtschaften wuchsen um 4-7 % u. mehr jährlich.
    Im Vergleich zu den jeztuigen Zeiten ein Goldalter !
    Dank dem Euro ist die Inflation jetzt fast beseitigt (scheinbar, denn sie wurde nur unbenannt: s. unten): aber der Preis dafür ist die 50 % Arbeitslosigkeit in der Hälfte der großen Ländern Europas (und immerhin über 12 % im Gesamtdurchschnitt).
    In der DDR hätte man solche Resultate spöttisch als „Errungenschft “ bezeichnet, und jetzt möchte mancher Besserwisser sie als Wirtschaftsmodell anpreisen!

    Wer unbedingt den Euro wollte waren übrigens nicht „Die Südländer“ sondern die korrupte Politiker dieser Länder, die sich damit billiges Geld borgen konnten, um sich selber zu bereichern mit unsinnig aufgeblähte Staatsausgaben und Verteilung von Korruptionsgeldern. Die spanischen Banken haben in die Immobilienblase enorme Summen geworfen, aber es waren Gelder … aus Deutschland ! Daher ist die Kanzlerin zur Bankenhilfe geeilt, und hat den Rechstbruch bei der Euroregelung in Kauf genommen.
    Prodi war selbst erständlich ein Euro-Beführworter: als Beauftragter von Goldmann-Sachs musste er dadurche eine Situtin schaffen, in der Geldgeber hohe Zinsen bei gleichzeitiger Sicherheit der Anleihen erhalten konnten. Nur eine Bindung an festen Wechselkursen konnte dies verwirklichen. Dass dieser Bankfunktionär jetzt als Presidentkandidat in Italien gilt ist kein Wunder, bei der dort ganz korrupten politischen Klasse, und es soll sogar schlimmere geben, Presidentkandidaten die versprechen allen unter Prozess stehenden Abgeordneten Straffreiheit zu garantieren.
    Die Südländer sperren sich nicht „vehement gegen Reformen“, sonder mit aller Entschiedenheit und vollkommen zu Recht gegen die wahnsinnigen Maßnahmen, die ihren Ländern lediglich Rezession und Misere bringen. Und sie wollen lediglich arbeiten dürfen, was gerade durch solche „Reforme“ verhindert wird.
    Ein Scharlatan-Ökonom wie Monti hat in einem Jahr mehr Schäden verursacht als sein korrupter Vorgänger. Statt sie zu reduzieren hat er die Staatsschulden noch kräftig wachsen lassen, die Arbeitslosigkeit ist außer Kontrolle geraten, die Wirtschaft liegt am Boden. Und wenn Reformen als Ergebnis 50%
    und mehr Jugendarbeitslosigkeit verursachen, wie in Spanien und Griechenland, und demnächst auch in Italien, dann kann kein Vernünftiger Mensch noch behaupten, die gelobten Reformatoren à la Mario Monti u. Kumpanen hätten auch nur ein Hauch vom ökonomischen Verstand übrig. Wenn ein spezielles Irrenhaus für Ökonomen gebe, wäre jetzt voll mit solchen Professoren.
    Die Südländer – und wie man im Herbst sehen wird – auch die deutsche Arbeiter und Lohnabhängige wollen nicht mehr von der Lohndumpingreformen à la Schröder wissen, die Deutschland die „technische“ Vollbeschäftigung garantiert hat, indem die Vollzeitstellen und Festeinstellungen in Zeit-und Leiharbeit verwandelt hat.
    Die Reallöhne in Deutschland sind in den letzten 10 Jahren ständig gesunken, die Profite des Kapitals standig in die Höhe gewachsen. Als Aktionär könnte ich mich zwar darüber freuen, ich habe viel Geld gewonnen, aber ich weiß, aus welchem Schweiß und Misere es abstammt.
    Nur ein total Unwissender kann glauben, dass die Produktivität ins unendliche gesteigert werden kann, ohne dass dies auf Kosten von anderen passiert, im eigenen wie in anderen Ländern. Und es geht nicht um Ökologie, sondern schon ganz einfach um Elementarökonomie.
    Nicht die Produktivität wurde nämlich erhöht, sondern die Profite, und zwar als Umverteilung von Unten nach Oben.
    Denn wie erklärt sich sonst, dass bei einem Wachstum von 1-2% des BIP z.B. die großen deutschen und ausländischen Investoren Rendite und Gewinne von 10 % -20 % erreichen konnten, und selbst der einfache bescheidene und konservativ gerichtete Aktienbesitzer Dividende von 6 % einstreichen konnte? Diese Entwicklung ist offensichtlich die Umverteilung der Arbeitserträge von vielen zugunsten der Renditen von wenigen.
    Schließlich müsste man nur an die Geschichte denken: was jetzt als „Sparmaßnamen für die Eurorettung und Reduzierung der Staatsschulden“ angepriesen wird, ist nichts anderes als eine plumpe Wiederholung der Politik von Brüning am Ende der Weimarer Republik. Ich hoffe, man hat nicht vergessen was dies bedeutet hat, und mit welchen Folgen. Denn damals wie heute haben solche irre Maßnahmen zuerst zur Arbeitslosigkeit, dann zur Geldentwertung, und schließlich zur Aufhebung der Demokratie geführt.
    Vielleicht sehen manche die Geldentwertung nicht: tatsächlich findet dies nicht in der Vermehrung der Zahlungsmittel, sondern in der Abwertung der Löhne, im Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft, in der Streichung von Staatsausgaben.
    Logischerweise ist das Resultat identisch.

    Wie verdreht in manchen Köpfen die Wahrnehmung der einfachsten ökonomischen Tatsachen geraten ist, zeigt vorzüglich die Anspielung auf die angebliche Dekadenz Europas falls hier die Produktivität hinter den Chinesischen oder Indischen Maßstäben fallen sollte.
    Also es liegt offensichtlich in den von Ihnen vorgetragenen Gedanke vor, man sollte auch hier Arbeiter in die gefährlichsten Bergwerke ohne Schutz schicken, Niedriglöhnpolitik praktizieren und unbezahlte Überstunden wie in China und Indien zur Regel erklären? Was für eine Errungenschaft ! Und dabei sogar nichts Neues: Amazon praktiziert dies schon lange mitten in Deutschland. Die „chinesen“ sind schon unter uns, die heißen nur anders. Um die Sache abzurunden sollte man schließlich auch noch einen Raubzug auf die Umwelt in Europa nach indischem oder chineischem Modell führen?
    Die Chinesen haben eher zu weinen wegen der Arbeitsbedingung die bei ihnen herrschen bevor über eine menschlichere Arbeitsgestaltung in Europa lachen möchten.

    Aber schließlich doch ein Gedanke den ich unterschreiben kann: “ Wir können uns hier nicht eine Insel der Seligen einrichten.“
    Zwar widerspricht dies alle Ihre übrigen Gedanken und Vorwürfe gegen meine Sicht der Dingen. Also dieser Satz paßt überhaupt nicht im duktus Ihrer Argumentation.
    Denn es ist unumstritten, dass ein Land, das aus Überschuß an Exporten lebt, keine Insel werden kann. Und wer die Konkurrenz gut heißt, kann ebensowenig Abschottunggedanken pflegen.
    Umgekehrt ist richtig, alle Länder Europa und der Welt sind auf Gedeih und Verderbe zusammengebunden. Vereinfacht und meistens unüberlegt nennt man diese Tatsache „Globalisierung“ (eine Fassade hiner der die meisten keine genauere Vorstellung haben).
    Ich nenne es lieber „internationale Solidarität“: denn es gilt nicht im darwinistischen Sinn den ökonomischen Wettbewerb ad absurdum zu führen, bis nur die Tüchtigen überleben und die anderen verderben, sondern um das Zusammenwachsen.
    Und um richtige Verteilung, was auch Belohnung der Leistungern bedeutet. Aber es müssen echte und der Allgemeinheit Wohnbringende Leistungen sein, nicht irrsinnige Boni die Bankmanager dafür erhalten, weil sie ihre Institute zur Pleite geführt haben.
    Wer die Welt verstehen will, kann sich nicht mit einfachen Erklärungen abspeisen lassen. Mann muss bereit sein, die Sachen gründlich zu studieren und hinter den wirklichkeitsschonenden Fassaden zu schauen. Und wenn die Tatsachen und Logik die Unhaltbarkeit der Annahmen lügen strafen, muss man die Meinung entsprechen ändern und danach handeln.
    Niemand besitzt die absolute Wahrheit, aber auch niemand muss sich allen Lügen anschließen und sie bejahen.
    Meine Übung ist zu Ende, ich werde nicht auf eine Anwort warten,
    ich will niemand bekehren. Daher werde auch auf diese Seite nicht mehr zurück kommen, ich möchte meine Zeit eher den Ausführungen von Weltrangökonomen widmen, von denen etwas zu lernen gibt. Und dies würde ich mir erlauben, Ihnen ebenfalls zu empfehelen.

  • Werner Bläser

    Ich kann nicht auf alle Ihre Argumente eingehen. Aber teilweise gebe ich Ihnen sogar Recht. In Deutschland wurde von unten nach oben umverteilt, und das muss behoben werden.
    Und die Binnenwirtschaft gegenüber der reinen Exportorientierung gestärkt werden. Und das chinesische Wachstum ruht teilweise auf der Ausbeutung von Arbeitern (dort herrscht halt Kommunismus, ist man versucht, sarkastisch zu sagen – ich weiss es, weil der überwiegende Teil meiner Familie aus in China lebenden Chinesen besteht).
    Und natürlich lässt sich die Produktivität nicht unendlich steigern, auch da gebe ich Ihnen Recht.
    Aber in Italien ist die Produktivität für die Währung Euro viel zu niedrig. Und es wäre vergleichsweise leicht, diese zu steigern. OHNE die Arbeiter besonders zusätzlich unter dem Strich zu belasten. Gruppen-Interessen stehen dem entgegen.
    Und ich bestreite vehement Ihre Behauptung, dass es Italien früher blendend ging (ein „Goldalter“, wie Sie schreiben). Trotz des Wirtschaftswachstums (man sprach schon gg. England vom „sorpasso“) wuchsen die Schulden. (Für die übrigens die Zinssätze für die 10jährigen Government Bonds als Massstab herangezogen werden und nicht die von Ihnen erwähnten Hypothekenzinsen.)
    Wenn dieses Zeitalter so toll war, wieso stand dann Italien Anfang der 90iger Jahre, also lange vor dem Euro, „am Abgrund“, wie es Amato beschrieb? Er führte sogar eine einmalige Sondersteuer, genau wie jüngst in Zypern, auf die Bankkonten ein, um den Kollaps der Wirtschaft abzuwenden.
    Ist das heute alles vergessen? Oder war das alles gelogen, und Italien ging es um 1990 blendend?
    Dann frage ich mich, warum Italien damals so dringend in den Euro wollte, warum laut Umfragen heute noch eine Mehrheit der Italiener für den Euro ist, und warum Italien nicht aus dem Euro austritt.

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