Grillo, Botschafter der Regression

„Die Parteien haben das Land ins Elend gestürzt. Deshalb müssen wir ihnen den öffentlichen Prozess machen, damit sie uns all das Geld zurückzahlen, das sie verfressen haben, bis zur letzten Lira… Wir müssen ihnen ein kleines Nürnberg bereiten“ (Grillo am 17. 4. 12).

„Ich will einen Staat, der Eier hat. Schaffen wir die Gewerkschaften ab, die eine alte Struktur sind, alt wie die Parteien. Die Gewerkschaften brauchen wir nicht mehr, die Unternehmen sollen sowieso denen gehören, die arbeiten“ (Grillo am 18. 1. 13, auf Wahlkampf in Brindisi).

Grillo füllt die Plätze

Grillo füllt die Plätze


Weg mit den Parteien…

Bei der Wahl am nächsten Wochenende wird Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung ein starkes Ergebnis erzielen. Denn mit seinen Attacken gegen alle Parteien rennt er bei vielen seiner Landsleute offene Türen ein. Wobei oft seine Begründung übersehen wird: Letztlich greift er sie nicht wegen Korruptheit an (bei solchen Subtilitäten gäbe es vielleicht noch Unterschiede). Sondern weil er für „direkte Demokratie“ ist, in der Parteien nur stören. Das Konzept dieser „direkten Demokratie“, als deren Gralshüter Grillo im Web und auf den Marktplätzen auftritt, liefert ihm sein Guru Casaleggio. Der damit dem Chor der Stammtischstrategen, die alle Politiker für „gleich“ und „Verbrecher“ erklären, die höhere theoretische Weihe erteilt.

Jetzt kommt die zweite Botschaft aus dem Hause Grillo: Nicht nur die Parteien, sondern auch die Gewerkschaften gehören abgeschafft. Da mag mancher Arbeitgeber erfreut die Ohren spitzen. Aber auch hier liefert Grillo eine tiefere Begründung, die dem Arbeitgeber weniger gefallen mag: Die Unternehmen sollen sowieso denen gehören, die in ihnen arbeiten.

… weg mit den Gewerkschaften

Wahrlich verblüffend: Eine „rechte“ Position (weg mit den Gewerkschaften), „links“ begründet. Allerdings mit einem argumentativen Bruch: Anstelle der Gewerkschaften soll es der „Staat“ richten, und zwar einer, „der Eier hat“. Aber würde zur „direkten Demokratie“ nicht eher ein Staat passen, in dem alles gesellschaftliche Handeln unvermittelt „von unten“ gesteuert wird, in dem also nicht der Staat, sondern der Bürger die „Eier“ hat?

Was Casaleggios Sprachrohr Grillo predigt, ist eine regressive Gesellschaft: politische Willensbildung ohne Parteien, soziale Regulierung ohne Gewerkschaften. Es ist regressiv auf zwei Ebenen: Zum einen unterstützt es alle reaktionären Strömungen, die gegen Parteien und Gewerkschaften wettern. Wenn Grillo (heute) die Gewerkschaften abschaffen will, weil die Unternehmen sowieso (wann?) den Arbeitenden gehören sollen, will er den Spatz in der Hand umbringen, weil vielleicht einmal eine Taube aufs Dach flattern könnte. Wenn es denn überhaupt eine Taube ist.

Zum anderen wärmt er ein alte Utopie auf: eine Gesellschaft, in der wieder alles „direkt“ ist, ohne lästige Vermittlungen, ohne die Gewichte und Gegengewichte, welche die europäischen Demokratien im Laufe der Zeit herausgebildet haben. In den kommunistischen Staaten gehörte diese Utopie zur Staatsideologie, bis sie sich ins Gegenteil verkehrte: Da der Staat sowieso dem Volk gehört, gibt es nur „eine“ Partei, welcher der Staat gehört (mit „Eiern“, aber meist korrupt bis auf die Knochen). Und da die Unternehmen sowieso den Arbeitenden gehören, ist jede echte gewerkschaftliche Interessenvertretung untersagt. In China herrscht der Raubtierkapitalismus. Auch faschistische Regimes pflegten den reaktionären Traum von den „direkten“ Gesellschaften, den Volksgemeinschaften.

Tut man Grillo damit Unrecht? Auch bei ihm schlägt die Predigt von der „direkten Demokratie“ in Absolutismus um, wenn es um seine eigene Rolle geht. So wie er ohne jede Hemmung einen bürgerlichen Rechtstitel einsetzt, die Verfügung über das Symbol der 5-Sterne-Bewegung im Web, um bei sich jede Transparenz und Kontrolle enden zu lassen.

Weder links noch rechts

Bekanntlich berühren sich die Extreme, auch zwischen Links und Rechts. So wandte sich Grillo vor einem Jahr gegen die Initiative, die in Italien geborenen Immigrantenkinder einzubürgern – diese „sinnlose“ Idee „linker Gutmenschen“ diene nur dazu, „die Italiener von ihren realen Problemen abzulenken“. Die Ausländerfeinde unter seinen Zuhörern klatschten. Als ihn kürzlich Vertreter der antisemitischen „Casa Pound“ fragten, ob sie in der 5-Sterne-Bewegung mitmachen könnten, sah Grillo dafür „keine objektiven Probleme“. Und erläuterte später im Blog, in seiner 5-Sterne-Bewegung gebe es „weder links noch rechts“.

Es passt zusammen: Ideologie der „direkten Demokratie“, Hetze gegen Parteien und Gewerkschaften, Öffnung nach rechts, persönlicher Absolutismus. Und die Aktivisten an seiner „Basis“? Zu ihrer Ehrenrettung muss man sagen: Da gibt es noch manchmal Widerstand. Vor einem Jahr beteiligte sich die Turiner Gruppe der 5-Sterne-Bewegung an der Einbürgerungskampagne, obwohl Grillo dagegen war. Und in den letzten Monaten regte sich Widerstand gegen seinen Führungsstil. Bisher bereinigte er solche Probleme durch Rausschmiss, wohl in der Hoffnung, dass der Rest aus Angst umso linientreuer ist.

Zumal er bei den Wählern Erfolg hat, angeblich gerade unter ehemaligen Berlusconi-Anhängern. Kein Wunder: Die Botschaften ähneln sich.

Letzte Meldung

„Berlin warnt vor Berlusconi“, unter dieser Überschrift meldete die Süddeutsche Zeitung vom 19. 2., dass nicht nur Außenminister Westerwelle (FDP), sondern auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Polenz (CDU) sowie der außenpolitische Sprecher der SPD, Mützenich, vor einer Rückkehr Berlusconis an die Macht gewarnt haben.

Endlich, möchte man sagen. Aber leider auch zu spät und am falschen Ort. Denn man weiß nicht, welcher Seite in Italien die Berliner Stellungnahme die bessere Munition liefert: ob Berlusconis politischen Gegnern oder ihm selbst, der nun einmal mehr auf die Berliner Bevormundung (sogar im Wahlkampf!) verweisen kann. Es hätte früher geschehen müssen, und zwar im Europaparlament, wo die CDU/CSU Seite an Seite mit Berlusconis Leuten in einer gemeinsamen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) sitzt. Hätte man dort B.s Truppe rechtzeitig vor die Tür gesetzt, wäre es ein Akt legitimer Selbstreinigung gewesen, der auch für die italienische Öffentlichkeit die Fronten klärt, ohne den Beigeschmack der „Einmischung von außen“. Aber in Straßburg sitzt man weiterhin Seite an Seite. In aller Freundschaft, in einer Fraktion.

Die Redaktion