Abhöraffäre um den Staatspräsidenten: cui bono?

Seit Wochen erhitzen abgehörte Gespräche zwischen dem früheren Innenminister Mancino, der in Verdacht steht, während seiner Amtszeit in den 90er Jahren mit der Mafia geheim verhandelt zu haben, und Staatspräsident Napolitano die Gemüter.

Schon lange ermittelt die Staatsanwaltschaft von Palermo, weil es damals zu Verhandlungen zwischen staatlichen Institutionen und der Cosa Nostra gekommen sein soll. Vieles deutet darauf hin, dass sich der Staat nach der Ermordung der Richter Falcone und Borsellino darauf einließ, den verurteilten Mafiosi Hafterleichterungen zuzusichern – als Gegenleistung für einen Verzicht auf weitere Terror- und Mordanschläge. Einer der staatlichen Verhandlungsführer soll Mancino gewesen sein, der während der gegenwärtigen Ermittlungen wiederholt Berater von Staatspräsident Napolitano anrief, um seine Unschuld zu beteuern und eine bessere „Koordination“ zwischen den Ermittlungsbehörden anzumahnen. Wobei er es zweimal schaffte, Napolitano selbst an die Strippe zu bekommen. Da Mancino abgehört wurde, wurde auch die Stimme des Staatsoberhaupts auf den Abhörbändern festgehalten. Was rechtlich unzulässig ist.

Das italienische Recht (Art. 90 der Verfassung und Art. 7 des Gesetzes Nr. 219 vom 5. 6. 1989) verbietet es ausdrücklich, Gespräche des Staatspräsidenten abzuhören. Ausnahmen sind nur für den Fall vorgesehen, dass der Staatspräsident wegen Hochverrats oder wegen Angriffs auf die Verfassung im Rahmen eines Impeachment-Verfahrens seines Amtes enthoben wurde. Was bei Napolitano weiß Gott nicht der Fall ist.

Die Reaktion Napolitanos kam sofort nach Bekanntwerden der Abhörbänder. Er erklärte, die Staatsanwaltschaft hätte die „versehentlich“ mitgeschnittenen Telefonate – die sie übrigens selbst als rechtlich völlig irrelevant einstuft – unverzüglich vernichten müssen. Da dies nicht geschehen sei, müsse – wie bei Konflikten zwischen Organen der Staatsgewalt vorgesehen und um Schaden vom Amt des Staatspräsidenten abzuwenden – das Verfassungsgericht über die rechtliche Zulässigkeit des Handelns der Staatsanwälte befinden. Am 16. 7. beauftragte er die „Avvocatura generale dello Stato“, die Interessen des Staatspräsidenten vor dem Verfassungsgericht zu vertreten. Die Staatsanwälte von Palermo argumentieren, nicht der Staatspräsident, sondern der verdächtige Mancino sei abgehört worden, und über eine Vernichtung der betreffenden Bänder müsse deshalb erst einmal der zuständige Richter entscheiden.

Der institutionelle Konflikt wirbelt die politischen Landschaft heftig auf: die PdL ergreift Partei für Napolitano, allerdings aus durchsichtigem Grund: „Wir haben schon bei Berlusconi gesagt, dass die Richter Missbrauch treiben und die Abhörgesetze geändert werden müssen!“. PD und Zentrumsparteien sehen die Notwendigkeit, das Amt des Staatspräsidenten zu schützen, fordern aber gleichzeitig eine restlose Aufklärung der Ereignisse zu Beginn der 90er Jahre. Di Pietro und die Tageszeitung „Il Fatto quotidiano“ erklären sich zu Paladinen der Antimafia-Richter und kritisieren den rechtlichen Schritt des Präsidenten als gefährlichen Versuch, die brisanten Ermittlungen zu behindern. Eine Unterstellung ohne Grundlage.

Dass es zu einem solchen Konflikt gekommen ist, ist misslich. Manche finden, Napolitano hätte „aus Opportunitätsgründen“ die Sache auf sich beruhen lassen sollen, um keine Staatsanwälte bloß zu stellen, die wegen ihrer couragierten Arbeit gegen die Mafia ohnehin gefährdet sind und jeglicher Unterstützung durch die Institutionen bedürfen. Der Präsident erwidert, dass die Anwendung von Recht und Gesetz nicht von solchen Opportunitäten abhängig gemacht werden kann. Es sei seine verfassungsmäßige Pflicht, das höchste Amt im Staat vor Beschädigungen – durch wen auch immer – zu schützen und dieses Amt unversehrt seinem Nachfolger zu übergeben. Er hat damit nach meiner Meinung völlig Recht. Die Aufweichung demokratischer Institutionen kennzeichnet gerade den Berlusconismus.

Weiter aufgeheizt wird nun die Auseinandersetzung durch die Zeitschrift „Panorama“, die B.s Familie gehört: Sie „enthüllte“ vor einigen Tagen angebliche Inhalte der Telefonate zwischen Mancino und Napolitano, bei denen sich der Staatspräsident missfällig über den (zur damaligen Zeit noch amtierenden ) Ministerpräsidenten B. geäußert habe. Napolitano ließ über sein Amt erklären, es handele sich dabei um „schlichte Fälschungen“. In ungewohnt scharfer Form warnte er vor „trüben Manövern zur Destabilisierung“ und vor Versuchen, ihn mit Unterstellungen und Lügen kompromittieren oder gar erpressen zu wollen.

Wichtig ist, dass die Staatsanwälte von Palermo selbst die Veröffentlichung dementierten und scharf verurteilten. Es handele sich um Erfindungen und man müsse sich fragen, wer ein Interesse haben könne, die Autorität des Staatspräsidenten auf diese Weise zu diskreditieren und politisch zu schwächen. Woraufhin B., der zunächst auffällig geschwiegen hatte, erklärte, mit den „Enthüllungen“ in seiner eigenen (!) Zeitschrift habe er nichts zu tun.

Die Frage der Staatsanwälte ist nicht unbegründet. Napolitanos Amtsperiode endet bald: im Mai 2013, fast gleichzeitig mit den Neuwahlen. Er hat in dieser delikaten Übergangsphase die Kompetenz, das Parlament (auch im Fall vorgezogener Neuwahlen) aufzulösen und zu entscheiden, wer mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt wird. Dazu braucht er eine starke, autonome Position und die volle Autorität seines Amts. Was nicht jedem in den Kram zu passen scheint.

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