Überraschung in Genua

Im traditionell „linken“ Genua (gut 600 000 Einwohner) geschah am vergangenen Wochenende Überraschendes. Als Vorspiel zu den Gemeindewahlen im Frühjahr hielt das Wahlbündnis von PD, SEL und IdV sog. „Primarie“ ab (nach dem Vorbild amerikanischer primaries, aber ohne den dortigen Zirkus), um von ihren Mitgliedern und Sympathisanten den Kandidaten für das Bürgermeisteramt küren zu lassen. Alle rechneten mit dem Sieg einer PD-Repräsentantin, denn die amtierende Bürgermeisterin der Stadt, Marta Vincenzi, war wieder angetreten. Allerdings schickte die PD noch eine zweite Bewerberin ins Rennen – worauf sich prompt beide PD-Bewerberinnen heftig zu bekämpfen begannen. Das wirklich Überraschende war, dass bei den Vorwahlen – an denen sich 24 000 Genueser (bei den letzten Vorwahlen waren es noch 35 000) beteiligten – beide deutlich von einem „Außenseiter“ geschlagen wurden, der auf Anhieb 46 % der Stimmen erhielt. Während Marta Vincenzi nur auf 27,5 %, die andere PD-Kandidatin auf 23,6 % kam.

Der Sieger heißt Marco Doria, ein Mann ohne Parteibuch, der seinen Vorwahlkampf mit einem Mini-Budget von 8000 Euro bestritt. Er ist Universitätsprofessor für Ökonomie und hatte nur zwei offizielle Unterstützer: die SEL und Don Gallo, ein 83-jähriger charismatischer Lokalgeistlicher. Offenbar entschied sich die Genueser „Zivilgesellschaft“ für Doria – darunter viele Stammwähler der PD, da es in Genua nicht genug SEL-Wähler gibt, um das Ergebnis zu erklären.

Das Ergebnis schlägt Wellen. Für die PdL ist es Ausdruck des Machtkampfs zwischen einem moderatem und einem linksradikalen Flügel der PD, was es möglich macht, Doria flugs als „Linksradikalen“ zu brandmarken. Aber der Ökonomie-Professor entzieht sich diesem Klischee. Während seine Konkurrentinnen im Vorwahlkampf über Bündnisfragen redeten (soll man mit der UDC, soll man nicht?), sprach er über die Probleme der Stadt: ihre katastrophale Zubetonierung (bei der letzten Überschwemmung), die Entwicklung des Hafens. Er kündigte sogar Steuererhöhungen an, wenn nur so die Qualität der städtischen Dienstleistungen aufrecht erhalten werden könne.

Die Reaktion der PD auf das Ergebnis war zwiespältig. Ihr Vorsitzender Bersani hielt sich an die verabredeten Spielregeln: man werde natürlich den Sieger dieser Vorwahlen auch im Wahlkampf unterstützen. Aber andere Funktionsträger der Partei sehen das Ergebnis als „Niederlage“, was einige schon durch ihren Rücktritt bekräftigten. Dass es sich nicht nur um ein lokales Problem handelt, zeigen die Niederlagen, welche die PD schon 2011 bei den Vorwahlen in anderen Städten einfuhr, am schmerzhaftesten in Mailand.

Es gibt Stimmen in der PD, die nun beginnen, das Instrument der Primarie überhaupt in Frage zu stellen. Dabei hatte Bersani erst vor kurzem verkündet, ein Spezifikum der PD sei das demokratische und bürgernahe Verfahren bei seiner Kandidatenwahl. Andere wollen bei den Vorwahlen wenigstens die Öffnung nach außen abschaffen, entweder in der (nun auch von Bersani befürworteten) milderen Form, nur einen PD-Kandidaten in die Vorwahlen zu schicken, oder Vorwahlen nur noch parteiintern durchzuführen, womit auch vermieden würde, sich bereits vor der Wahl auf ein Parteienbündnis festzulegen. Wohinter der in der PD immer noch unentschiedene Richtungsstreit steht, auf welches Bündnis sie bei den nächsten Wahlen primär setzen soll: mit den „linken“ SEL und IdV oder mit der zentristischen UDC.

Wer jetzt in der PD die Primarie in Frage stellt, weil sie in der letzten Zeit allzu oft von parteifremden Kandidaten gewonnen wurden, der „bekämpft das Fieber, indem er das Thermometer beiseite legt“ (so eine Kommentatorin in der Repubblica vom 14. 2.). Das Fieber ist eine bürokratisierte PD, die Probleme hat, glaubhafte Personalvorschläge machen zu können. Die Vorwahlen sind das Thermometer – nicht nur, um das Fieber anzuzeigen, sondern auch als erster Schritt zur Heilung, indem talentierten „Außenseitern“ die Chance gegeben wird, in die Bresche zu springen

Die allseits beklagte Entfernung von Bürgern und politischer Klasse ist kein Naturgesetz. Die Bereitschaft der Bürger, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen, ist vorhanden – wenn ihnen dafür eine Gelegenheit geboten wird, z. B. bei Vorwahlen. Auch in Deutschland wird diese Entfernung beklagt, auch hier ist sie vielleicht kein Naturgesetz. Könnten wir in diesem Punkt von Italien lernen?

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