Don Gallo

„Gerechtigkeit“ ist eine Forderung, zu der er in seinen Predigten immer wieder zurückkehrt und um deretwillen ich auch diesen Beitrag schreibe. Über die Rolle der Katholischen Kirche in der italienischen Politik haben wir oft berichtet: über Priester, die Mafiosi segnen, über den Vatikan, der mit den Mächtigen paktiert. Aber der Katholizismus hat auch ein anderes Gesicht – wie „die Italiener“, die sich nicht von B. einfangen ließen.

Ich stieß auf Don Gallo, als ich Gründe dafür suchte, dass ein „Außenseiter“ die Vorwahlen von Mittelinks für das Genueser Bürgermeisteramt gewann. Außer der kleinen SEL habe ihn nur ein Priester namens Don Gallo unterstützt, war zu lesen. Wie kam er zu solchem Einfluss?

Don Gallo ist Jahrgang 1928, 83 Jahre alt. Für B.s „Giornale“ ein „Gassenpriester“, nennt er sich selbst einen „Priester des Bürgersteigs“, der keinen Unterschied zwischen Predigt und Handeln macht und damit bei „den Letzten“, den Armen und Ausgegrenzten beginnt. In den 70er Jahren gründete er am Genueser Hafen seine „Basiskommune“, die Drogenabhängigen, Obdachlosen, Prostituierten und Ex-Häftlingen einen Schutzraum bietet. Und deren geistige Offenheit und Solidarität sie auch zum Treffpunkt für Jugendliche und Künstler machte.

Er selbst war als Jugendlicher bei den Partisanen, und man muss in YouTube die Inbrunst sehen, mit der er, der Pazifist, noch heute im vollen Priester-Ornat die Partisanen-Version von „Bella Ciao“ singt – es war für ihn keine Jugendsünde. Dass er sich auf Savonarola beruft, den Bußprediger von Florenz, der schon vor 500 Jahren soziale Gerechtigkeit einforderte und von der Kirche verbrannt wurde, ist kein Zufall. Ebenso wie auf Don Bosco, den Gründer der Salesianer, wegen seiner Spiritualität und seines lebenstüchtigen Pragmatismus im Umgang mit benachteiligten Jugendlichen. Und auf den „Lutheraner Bonhoeffer“.

Seitdem verbindet er den praktischen Kampf gegen die Drogenabhängigkeit, der er in seiner Kommune begegnet, mit dem politischen Kampf für die Legalisierung leichter Drogen. Weshalb er, „angelicamente anarchico“, sich noch als 78-jähriger im Rathaus von Genua feierlich und trotz garantierter Geldstrafe einen Joint anzündete. Auch sonst geht er keinem Konflikt mit der Kirche aus dem Wege: Er ist gegen das Zölibat und jede Art von Sexfeindlichkeit („die körperliche Liebe ist ein Gottesgeschenk“), Homo- und Transsexualität inbegriffen, sowie für die kirchliche Freigabe der Präservative. Und natürlich für die Priesterweihe von Frauen („wenn Jesus die Menschen anschaute, die ihn umstanden, und ihnen sagte, dass er sie liebt, hat er da etwa hinzugesetzt: aber die Frauen etwas weniger?“).

Auch politisch nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er ist einer der Vorkämpfer der italienischen Friedensbewegung und unterstützt den Massenprotest gegen eine geplante neue US-Basis nahe Vicenza. Dass er den Lauf der Dinge verändern kann, zeigte sich bei der „Überraschung aus Genua“. In You Tube ist zu sehen, wie er mit Antonio Martino, einem Ökonomie-Professor und ehemaligen Berlusconi-Minister, über Franz von Assisi diskutiert. Für Martino war Franz von Assisi der Theoretiker eines dysfunktionalen Wirtschafssmodells, für Don Gallo der Künder der Gerechtigkeit für alle Geschöpfe. Der Professor, der dabei völlig außer Fassung geriet, verlor alle contenance.

Für seine Vorgesetzten ist Don Gallo ein „Kommunist“, in der katholischen Hierarchie kam er nie über die unterste Stufe hinaus. Aber er betrachtet es als Wunder, dass er noch nicht exkommuniziert wurde. Um ihn aus dem Verkehr zu ziehen, versetzte ihn sein zuständiger Kardinal zweimal als Gefängnispfarrer auf die Sträflingsinsel Capraia bei Elba. Beim dritten Versuch versagte ihm Don Gallo den Gehorsam: Er tat es nicht. Seitdem ist er in Genua aktiv, mit wachsender Popularität, die er auch seinem Humor und seiner Selbstironie verdankt. Mit dem Genueser Liedermacher Fabrizio De Andrè, den Don Gallo provokativ seinen „fünften Evangelisten“ nennt und der inzwischen verstorben ist, war er sehr eng befreundet.

Über Berlusconi äußerte er sich vor einem knappen Jahr sinngemäß so: „Wir heißen bei uns jeden willkommen, also auch ihn. Der arme Mann ist krank, er soll in unsere Kommune kommen, er hat das so nötig. Er wird sehen, dass es ihm hier gut geht, hier heilen wir ihn auch von seiner Sexkrankheit.“

Don Gallo gehört zu den Gerechten dieser Erde.