TeleMeloni

„Die Demokratie kann plötzlich verloren gehen oder in vielen kleinen Schritten. Und die Frage ist, ob es nicht das ist, was gerade in Italien geschieht… In Ungarn hat Orban die Pressefreiheit beendet und alle demokratischen Institutionen unterhöhlt, und Europa hat darauf nur sehr langsam geantwortet und bisher eigentlich nichts getan. So ist es auch mit Polen… Hier muss man auf jede kleine Änderung achten…“ (Der Nobelpreisträger für Ökonomie von 2001, Joseph Stiglitz, am 27. 5. bei einer Tagung in Trento).

Es gibt Defizite der italienischen Demokratie, die schon seit Jahren auf der Hand liegen, deren Bewältigung aber offenbar die Kraft der politischen Klasse übersteigt und die jetzt die siegreiche Rechte zu nutzen beginnt. Ein solches Defizit ist z. B. das Fehlen eines Wahlgesetzes, das die in der Bevölkerung vorhandenen Differenzen halbwegs gerecht abbildet. Während das real bestehende Wahlgesetz vor allem die Fähigkeit honoriert, schon vor der Wahl ungeachtet aller Meinungsunterschiede Kartelle zur Verteilung der Macht zu bilden. Worin die Rechte besser ist als eine Linke, die dazu neigt, aus jeder Differenz eine Prinzipienfrage zu machen, in der man nicht nachgeben darf, wenn man nicht Identität, Gesicht und Wählerschaft verlieren will.

Das staatliche Fernsehen Italiens – Theorie und Wirklichkeit

Ein vielleicht noch schwerwiegenderes Defizit betrifft das staatliche Fernsehen, dem zwar in Gestalt der Privatsender (die überwiegend Berlusconi gehören), der Presse und der sozialen Medien einiges an Konkurrenz erwachsen ist, das aber immer noch über Einfluss auf die öffentliche Meinung verfügt. Woran die Theoretiker der repräsentativen Demokratie einst die Hoffnung knüpften, das Fernsehen könne zusammen mit anderen Medien zu einer „Vierten Gewalt“ werden, die durch wahrhaftige Berichterstattung und Förderung offener Diskussion die Bürger in die Lage versetzt, die Arbeit der Parlamente und der Regierung zu kontrollieren. Was jedoch eine starke Voraussetzung hat: dass die Medien von der Politik weitgehend unabhängig sind. Das ist die Achillesferse: Sollte es diese Unabhängigkeit nicht geben, sondern die Politik eher das Fernsehen kontrollieren als das Fernsehen die Politik, fällt ihr damit ein wichtiges Instrument zur Manipulation der öffentlichen Meinung in den Schoß.

Hier beginnt die institutionelle Rückständigkeit des italienischen Staats-Fernsehens: Während in Deutschland die Gesetzgeber mit kräftiger Nachhilfe des Verfassungsgerichts dafür sorgten, dass sich die Vertreter der Parteien und der Regierungen in den Rundfunk- und Verwaltungsräten in der Minderheit befinden, gilt in Italien das Gegenteil: Der Verwaltungsrat, der auch den Geschäftsführer der RAI wählt, besteht aus sieben Mitgliedern, von denen zwei vom Senat, zwei von der Abgeordnetenkammer und zwei von der jeweiligen Regierung ernannt werden – nur das siebte Mitglied muss kein Parteibuch haben, da es von den Beschäftigten der RAI gewählt wird. Auch in Italien gibt es ein Verfassungsgericht – warum es hier bisher nie korrigierend eingegriffen hat, ist eines der italienischen Rätsel.

Das Ergebnis, das man sich an drei Fingern abzählen kann, war bisher bei jeder Neuwahl zu besichtigen, deren Ergebnis nicht nur in der Bestätigung der alten Regierung bestand: Das staatliche Fernsehen war die „Kriegsbeute“ jeder neuen Regierung. Die Tiefe der dann folgenden Revirements – z. B. bei der Auswahl der Geschäftsführer, der Moderatoren der Talkshows und der Ausrichtung der Nachrichten-Redaktionen der drei RAI-Sender – hing nur noch davon ab, über welches politische Fingerspitzengefühl die jeweiligen Akteure verfügten. Wobei es auch stillschweigende Übereinkommen gab, welche die politischen Übergänge abmilderten und mehrere Legislaturperioden überdauerten: So war die RAI3 (mit den schlechteren Sendezeiten) schon zur Zeit der DC-Regierungen eine Domäne der Linken, RAI2 (deren Nachrichten, wie damals behauptet wurde, sich „der Papst anschaut“) eine Domäne der Katholiken, und RAI1 der eigentliche Regierungssender, in dem der Chefmoderator Bruno Vespa, eine Institution, bis heute allabendlich Hof hält.

Der rechte Durchmarsch beginnt

Melonis neue Rechtsregierung ist zu solchen Rücksichtsnahmen nicht mehr bereit – was sich jetzt für das Fernsehen abzeichnet, ist kein Revirement. sondern eine völlige Übernahme, die alle Sender und alle Sparten erfasst und bei der kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Zwar ist es vorerst noch ein Erdrutsch auf Raten, denn der Verwaltungsrat, der sich Anfang 2021 unter Draghi konstituierte, wird erst 2024 neu gewählt werden und dann vollständig die neuen politischen Mehrheiten widerspiegeln, mit der entsprechenden Handlungsfreiheit für die Regierung. Was sie aber nicht daran hindert, jetzt schon im Vollgefühl der Macht über die Namen der Nachfolger an den Schaltstellen des TV zu diskutieren. Denn in Wahrheit hat der Umbau schon begonnen, und zwar ganz oben bei Carlo Fuortes, dem bisherigen Geschäftsführer der RAI, dessen Vertrag eigentlich ebenfalls bis 2024 lief. Der hatte es noch im Februar beim Sanremo-Festival gewagt, seine schützende Hand über einen Entertainer zu halten, welcher der RAI zwar nie erreichte Einschaltquoten bescherte, aber dafür Akteure auf die Bühne ließ, die durch ihr provokantes Verhalten (mit schwulem Zungenkuss und zerschnittenen Minister-Postern) eine von nun an unerwünschte Regierungsferne zeigten. Um Fuortes vorzeitig wegloben zu können, machten sie ihm nicht nur klar, dass es für ihn in der RAI keine Zukunft mehr gibt, sondern erließen sogar ein eigenes Dekret, in dem sie den bisherigen Intendanten des „lyrischen Theaters“ in Neapel in den Ruhestand versetzten, nur um den frei werdenden Platz Fuortes „anbieten“ zu können. Die gezielte Demütigung hatte Erfolg, Fuortes ging „freiwillig“. Inzwischen kann sich die Rechtsregierung schon jetzt zwei weitere vorzeitige Skalps an die Wand hängen: die von Fabio Fazio und Lucia Annunziata. deren Sendungen „Che tempo che fa“ und „Mezz’ora in più“ sowohl hohe Einschaltquoten als auch Qualität verbürgten. Sie gingen ebenfalls „freiwillig“. Ein PD -Vertreter resümiert: „Die RAI wird zur TeleMeloni… Nie ist ein öffentlicher Dienst so parteipolitisch einseitig geworden. Ein Regime-TV.“

Vom Berlusconi-TV zu TeleMeloni

Das Fernsehen als Instrument der Massenmanipulation hat in Italien eine lange Geschichte. Berlusconis Karriere als Medien-Tycoon begann vor einem halben Jahrhundert (1973) mit der Installierung eines lokalen kommerziellen Senders für eine von ihm in Mailand errichtete Trabantenstadt. Was sich als Erfolgsmodell erwies, das ihn später zum Herren über einen eigenen Kosmos von Privatsendern machte, die sich neben dem staatlichen Fernseh-Unternehmen RAI etablierten und den Menschen rosarote Träume von Wohlstand, niedrigen Steuern und den Anblick halbnackter Frauen verkauften. Als sein Medienkonzern Anfang der 90er Jahre in Gefahr geriet, weil Berlusconis politischer Freund und Förderer Craxi in die Mühlen der Tangentopoli-Affäre geraten war, tat er den nächsten Schritt und ging nun auch selbst in die Politik. Wobei sich seine meinungsbildende Medienmacht als groß genug erwies, um in den folgenden 18 Jahren (bis 2011) zur bestimmenden Figur einer Rechtskoalition zu werden, die es – wenn auch mit Unterbrechungen – immer wieder schaffte, die Regierung zu übernehmen.

Zwar war die damit erreichte Kontrolle der öffentlichen Meinung nicht total – ähnlich gespalten wie die Wählerschaft waren auch die TV-Zuschauer, von denen ein guter Teil den Nachrichten und Talkshows der staatlichen Sender treu blieb, die auch noch Raum für ihre persönlichen politischen Präferenzen boten.

Kulturkampf über alle Sender

Dies könnte sich nun ändern, denn die Anzeichen mehren sich, dass die vereinigte – und von Meloni geführte – Rechte einen Kulturkampf anstrebt, der auf die Gleichschaltung aller Instanzen der öffentlichen Meinungsbildung hinausläuft. Gegenüber Berlusconis Lösung, die Zuschauer zwar mit den nackten Busen in seine Sendungen zu locken, aber ihnen gleichzeitig institutionell noch die Möglichkeit zum Einschalten von Alternativen zu lassen, wäre dies ein weiterer qualitativer Sprung zur „Orbanisierung“ Italiens. Diese Rechte, sagte kürzlich Ezio Mauro in der „Repubblica“, will nicht nur jetzt schon dafür sorgen, dass sie auch die nächste Wahl gewinnt, sondern auch zum neuen Common sense der Menschen werden.

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