Fischzug der Ultrarechten im NoVax-Teich

Dass aus den NoVax- und NoGreenpass-Protesten nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa Bewegungen wurden, in denen die Ultrarechte mitschwimmt, ist nichts Neues. Seit dem 9. Oktober – dem Tag, an dem in Rom plötzlich aus einer ihrer Demonstrationen der Sturm auf eine Gewerkschaftszentrale wurde – konnte man ahnen, dass dahinter auch ein Plan stecken könnte. Denn seine Initiatoren blieben bei dieser Gelegenheit nicht unsichtbar: Es waren Roberto Fiore und Giuliano Castellino, zwei römische Führer der Forza Nuova (FN).

Die Forza Nuova

Wer ist die FN? Normalerweise könnte man in ihr ein verlorenes Häuflein rechtsradikaler Spinner sehen: Sie fordern die Auflösung beider parlamentarischer Kammern und die Einrichtung von Volksgerichten, aber verfügen dafür (vor allem wohl in Rom) nur über 200 bis 300 Aktivisten, die sich bisher hauptsächlich durch Antisemitismus, Rassismus und Homophobie profilieren. Einen gewissen Ruf erwarben sie sich als Leute, die gerne zulangen, auch außerhalb der Legalität: In Rom schickten sie schon Schweineköpfe an die israelische Botschaft und veranstalten Hetzjagden auf Farbige und Schwule. Aber wie konnten sie es schaffen, einer NoVax-Demonstration mit zehntausend Teilnehmern ihren Stempel so weit aufzudrücken, dass diese wie eine militärische Kampftruppe den Marsch zum (gut bewachten) Regierungssitz zum Scheinangriff machte und ihn kurzerhand in einen Ausfall gegen das (schlecht bewachte) Gewerkschaftshaus umfunktionierte – womit aus dem Protest gegen eine Maßnahme der Regierung plötzlich ein Angriff auf das „System“ wurde?

Eine Recherche von zwei Journalisten

Die beiden „Repubblica“-Journalisten Giuliano Foschini und Fabio Tonacci suchten die Antwort in den Telegram-Chats, in denen die FN-Führer aktiv sind. Früher als andere hätten diese die „Intuition“ gehabt, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eine heterogene Bewegung von Enttäuschten hervorgebracht hatte, die sie rekrutieren können. Dabei versteckten sich die FN-Führer zunächst hinter unpolitischen Etiketten, „um die Gruppen zu infiltrieren und weiter aufzuhetzen und unter ihnen die wütendsten und extremistischsten Elemente aufzuspüren, die zu Zusammenstößen auf der Straße bereit sind“.

Vorarbeit 2020

Der Anfang war für sie ein Reinfall: Am Karfreitag 2020 versuchten sie, unter der Parole „Ein weiterer Sonntag im Hausarrest, ohne Messe und ohne Gott“ eine provokante Prozession auf die Beine zu bringen, die bis zum Petersplatz führen sollte. Es kamen nur 6 Leute, die schon beim Versuch, ihre Transparente zu entfalten, von der Polizei gestoppt wurden. Woraus die FN-Führer lernten, dass sie sich besser dort anhängten, wo sich die NoVax-Bewegung schon aus eigenem Antrieb versammelte. Als sich Anfang Juni die Fußball-Ultras verschiedener italienischer Serie A-Vereine in Rom trafen, um gegen die Anti-Covid-Maßnahmen der Regierung zu protestieren (was in Ausschreitungen gegen Journalisten und Polizei mit viel Öffentlichkeitswirkung mündete), war die FN dabei: „Wir müssen die Glutherde des Widerstands am Leben erhalten“. Da es in den folgenden Monaten zu Unruhen unter Covid-betroffenen Restaurant- und Hotelbesitzern und Händlern kam, rief die FN Anfang September mit anderen NoVax-Organisationen zu einer Demonstration für die „nationale Befreiung von der Gesundheits-, Finanz-, Justiz- und Mediendiktatur“ auf, 1500 Teilnehmer prügeln sich mit der Polizei. Anfang Oktober folgt der nächste Schritt in einem römischen Hotel: Castellino erklärt den (wenigen) Anwesenden das aktuelle FN-Programm: „Auflösung von Abgeordnetenkammer und Senat, Abschaffung der CSM (Oberster Rat der Richter und Staatsanwälte, das Selbstverwaltungsorgan der Justiz), Entmachtung der Staatsanwälte und politischen Organisationen. Wir müssen das Volk in die Befreiung führen“. Dafür verkündete er die Bildung einer sog. „Regierung der Befreiung“, in der Castellino Minister für die Umsetzung des Programms und Fiore Außenminister wurde; Justizminister wurde ein Rechtsanwalt, der bisher als Verteidiger inhaftierter FN-Mitglieder fungierte. Als sich jedoch zeigt, dass es unter den Aktivisten der NoVax-Bewegung immer noch Widerstand gegen die Einmischung der „Politik“ gibt (womit auch die FN gemeint ist), kommt der nächste Schachzug: Im Dezember 2020 erklärt die FN ihre Selbstauflösung. Ihre Aktivisten  treten nun einem bunten Haufen bei, der sich „Italia Libera“ nennt und dem Vertreter der No-Mask-Bewegung, der italienischen Gelbwesten und anderer Protestbewegungen angehören. Die Banner mit den FN-Emblemen verschwinden aus den Kundgebungen und Demonstrationen, aber die Personen bleiben.  Die von nun an wie Kader einer Geheimorganisation arbeiten.

Systematische Annäherung

2021 wird zum Jahr der Annäherung an die NoVax-Bewegung, wobei sie sich auf die Wortführer konzentrieren, die in den Chats der Telegram-Gruppen und –Kanälen durch eine besondere verbale und praktische Militanz („der schlägt zu“) hervortreten. Das Jagd-Gebiet ist groß und ausdifferenziert: „No Green Pass – vinciamo insieme“ hat 31.400 Mitglieder, „Manifestazione No Green Pass“ 27.200, der Kanal „No green pass“ (Logo: Hakenkreuz im Verbotsschild) 4.170. Und kleinere Chat-Gruppen, wie die mit regionalem Bezug („No green pass Veneto“), No green pass-Motorradfahrer und die Gruppe „Nein zur Nazi-Gesundheitsdiktatur“, die knapp 1000 Mitglieder hat und dessen Administrator sich rühmt, Impfpässe anfertigen zu können, die „in ganz Europa gültig sind“.

Dabei werfen die FN-Führer einen Köder aus, der gleichzeitig der weiteren Radikalisierung dient: Sie werben nicht um neue Mitglieder, sondern stellen die Frage ins Zentrum, ob die NoVax-Aktivisten bereit sind, nun für ihre Überzeugung auch zu den Waffen zu greifen: „Jetzt entscheidet ihr, wo ihr steht, ob ihr zu den Waffen greifen oder weiterhin die Schafe sein wollt. Verschafft euch richtige Waffen, dann beginnt die große Säuberung“. Oder: „Wer jetzt dazu nicht bereit ist, kann auf die andere Seite gehen und den Salonhelden spielen“. Im Chat von „Movimento Umanità Libera“, an dem sich auch FN-Leute beteiligen und in dem ein wildes Gemisch von Konspirationismus, Negationismus und Anarchie vorherrscht, macht der Administrator Nägel mit Köpfen: Er verweist auf 3D-Drucker, mit denen man Waffen in wenigen Stunden, höchstens Tagen herstellen kann, und verkündet sein Glaubensbekenntnis: „Es geht nicht darum, sich eine oder zwei Pistolen anzuschaffen, sondern eine Nation zu bewaffnen, in der alle (bisher) unbewaffnet waren“.

Die Vorgehensweise der FN-Führung ist aufwendig, aber erfolgreich: Sie erwirbt sich in der NoVax-Bewegung das Ansehen und Vertrauen, das zur Führung nötig ist. Der 9. Oktober ist die Probe aufs Exempel. Die Situation ist reif, um die Bewegung mit der Waffenfrage auf die „nächste Stufe zu heben“.

Nun aber griff erst einmal die Justiz ein: Fiore und Castellino wurden nach dem 9. Oktober verhaftet, die Sonderabteilung der Staatspolizei für Terror- und Extremismusbekämpfung (DIGOS) begann mit Ermittlungen. Nun wurde auch eine mögliche Auflösung von FN als im Parlament verhandelt, bisher ohne konkretes Ergebnis. Es ist in Italien noch schwerer als in Deutschland, eine extremistische Partei zu verbieten.

Einfallstor nach ultrarechts

Bleibt die Rätselfrage: Wie kann eine Ultrarechte, die so hanebüchene Positionen wie die FN vertritt, bestimmenden Einfluss auf eine Bewegung bekommen, die ja auch ein paar „linke“ Versatzstücke (mit den Feinden „Großkapital“, „Big Pharma“ etc.) in sich aufnahm? Zunächst eine Wahrnehmung, die einem alten „68er“ (wie mir) nicht ganz leicht fällt: Es gibt durchaus Berührungspunkte zwischen der damaligen APO und der heutigen NoVax-Bewegung: den jeden Widerstand rechtfertigenden Viktimismus im Narrativ von einer bevorstehenden „Diktatur“ (damals waren es die Notstandsgesetze, heute sind es Draghis Dekrete einer „sanitären Diktatur“); den Narzissmus angesichts der eigenen Fähigkeit, dagegen jederzeit Tausende auf die Straße bringen zu können; und vor allem die Gewissheit, im Besitzeines überlegenen Parallelwissens zu sein. Auch in der 68er Bewegung gab es das von keinem Selbstzweifel angenagte Bewusstsein, fundamental im Recht zu sein, das es erlaubte, Menschen gnadenlos anzugreifen, und auch den Nährboden für Gewaltphantasien bildete. So dass es nicht die gesamte 68er Bewegung, aber immerhin ein Teil von ihr war, der glaubte, nun alles Recht der Welt zu haben, um dem Widerstand des „Schweine-Systems“ mit Waffnen zu begegnen – einige der K-Gruppen, die aus der 68er Bewegung hervorgingen, wollten dies zumindest vorbereiten, Links-Terroristen schritten gleich zur Tat.

Natürlich gibt es zwischen beiden Bewegungen auch fundamentale Unterschiede, welche in entgegengesetzte politische Richtungen drängen: Bei den 68ern war es die solidaristische Empörung über den Vietnam-Krieg, der sie mobilisierte, während es bei den NoVax-Leuten die individualistische Empörung über die Beschränkung der eigenen Freiheit ist. Insofern hat der emphatische Ruf nach „Freiheit“, den sie scheinbar unisono erheben, eine sehr unterschiedliche Bedeutung. So dass es die NoVax-Bewegung ist, die im Unterschied zur 68er Bewegung sogar ein Einfallstor für die Ultrarechte werden konnte.

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