Stati generali – Sinnsuche einer Bewegung

Am Wochenende vor acht Tagen fanden die lang angekündigten „Generalstände“ („Stati generali“) der 5-Sterne-Bewegung statt. Das Wort mit der Reminiszenz an die Französische Revolution zeigt hohen Anspruch: Ein Fest der Basisdemokratie sollte es werden, bei dem die Mitglieder („Iscritti“) beraten, wie und es weiter gehen soll mit der Bewegung (und mit Italien). Dafür gab es viel Vorbereitung „von unten“, das heißt Versammlungen auf örtlicher und regionaler Ebene, an denen sich nach offizieller Mitteilung etwa 8000 Mitglieder beteiligten – nicht viel, wenn man bedenkt, dass die „Bewegung“ angeblich 100.000 durch die Plattform Rousseau „zertifizierte“ Mitglieder zählt. Wegen der Pandemie fand die nationale Versammlung online statt – kein Problem eigentlich für eine Bewegung, deren Ideal sowieso die digitale Demokratie ist. Auch die Frage, wer bei der abschließenden Veranstaltung am Sonntag reden durfte, wurde vorher im Netz per Mausklick entschieden: die 30 am häufigsten Genannten sollten es sein.

Auf Zehenspitzen zur Partei?

Schaut man auf die Ergebnisse, so fallen sie angesichts des vorher aufgebauten Anspruchs eher bescheiden aus und betreffen vor allem Fragen der inneren Organisation, deren Gehalt sich erst bei genauerem Hinschauen erschließt. Zunächst soll die Bewegung in Zukunft eine kollegiale Führung bekommen. Aber hier beginnt auch schon die Unklarheit: Einerseits ist die Rede von einem 5- bis 7-köpfigen Organ, andererseits wird auch eine Doppelstruktur in Erwägung gezogen: ein Sekretariat aus 5 bis 6 Personen, und daneben eine Direktion, etwa 15 Leute stark, mit rotierendem Sprecher. Die Entscheidung, welche Variante zum Zuge kommen soll und mit welchen Leuten die Organe besetzt werden sollen, ist aufgeschoben. Trotz dieser Unklarheiten sehen manche die Tendenz, die „Bewegung“ zur „Partei“ zu  machen – nicht nur die politischen Kommentatoren der Zeitungen, die darin (manchmal mit etwas Häme) ein Stück „Normalisierung“ sehen, sondern auch die Wortführer der internen Opposition, die dies kritisch meinen, weil sie noch Grillos antipolitischem Impetus und seinen „Vaffa“-(grob übersetzt „Leckt-mich“)-Versammlungen nachtrauern.

Conte spricht online bei den „Stati generali“

In diesem Kontext ist auch die Rede von Conte zu verorten, welcher der virtuellen Versammlung einen Moment lang zugeschaltet wurde und sich in einem diplomatischen Drahtseilakt auf die Seite der bewegungsinternen „Realos“ schlug: „Die Kohärenz der eigenen Ideen ist sicherlich ein Wert, aber wenn du regierst, musst du dich der Komplexität stellen, und deshalb auch den Mut und die Intelligenz haben, diese Ideen zu ändern“. Bei Licht gesehen starker Tobak, denn diejenigen, auf die es gemünzt war, hätten dies auch negativ auf sich beziehen können. Zum Glück überhörten sie es.

Ein Stück Demontage Casaleggios

Das zweite Ergebnis betrifft die Sonderrolle, die bisher Davide Casaleggio und die von ihm betriebene digitale Plattform Rousseau in der Bewegung einnahmen und die ihm bisher immer wieder massive Einflussnahmen auf die Politik der 5SB ermöglichte. Wie in einer monarchischen Erbfolge hatte er sie von seinem Vater Gianroberto geerbt, den Grillo zu dessen Lebzeiten zum spirituellen Guru der Bewegung mit Sonderstatus ernannt hatte. Nach dem Tod des Vaters übernahm dessen Sohn den Anspruch, Gralshüter der Ideale zu sein, denen die Bewegung seit ihrer Gründung verpflichtet war, und verfügt dabei über zwei handfeste Machtinstrumente: die von ihm verwaltete Kasse der Bewegung und die ebenfalls von ihm geführte Mitglieder-Kartei, samt Namen, Telefon-Nummern, Mail-Adressen und öffentlichen Curricula. Anfang Oktober überzog er jedoch seine Rolle, als er verlauten ließ, dass er bei einer Transformation der Bewegung in eine von ihm verabscheute Partei alle Dienstleistungen für die 5SB stornieren werde. Unter den gegebenen Umständen ein klarer Erpressungsversuch, der für Empörung und Misstrauen sorgte, da er eine Parteinahme für die bewegungsinterne Minderheit um Di Battista darstellte, die dem Bündnis mit Salvini nachtrauert, und sich gegen die Mehrheit richtet, die sich mit der Realität einer Regierung mit der PD zu arrangieren sucht.

Das Ergebnis ist zwar kein Bruch mit Casaleggio, aber doch ein Zurückstutzen seiner Rolle auf die eines Dienstleisters, was unter anderem schon darin zum Ausdruck kam, dass die Organisation des abschließenden nationalen Online-Konvents nicht mehr Casaleggios Rousseau-Plattform anvertraut wurde. Ohne dass allerdings klar ist, wie nun in Zukunft die Führung der Finanzen und der „zertifizierten“ Mitgliederkartei geregelt werden soll.

Unklar ist auch, ob sich Casaleggio mit dem Zurückstutzen seiner Rolle widerstandslos abfindet – die neuesten Nachrichten aus Italien sprechen dagegen. Die Unterstützung Di Battistas dürfte ihm dabei sicher sein.

Verbot des dritten Mandats

Das dritte Ergebnis betrifft die bisher geltende Regel, dass kein 5SB-Mitglied mehr als zweimal ein politisches Mandat (zum Beispiel als Parlamentsabgeordneter) ausüben darf. Es ist die klassische Frage jeder Bewegungspartei, an der sich auch die deutschen Grünen lange abgearbeitet haben: Überwiegt das generelle Misstrauen in die korrumpierende Wirkung eines länger ausgeübten politischen Amtes, die sich nach spätestens 8 Jahren automatisch einstellt, oder gibt es die Einsicht, dass es auch in der Politik den Bedarf an einer Professionalisierung gibt, die ihren Wert hat und ihre Zeit erfordert? Dieser Punkt ist zur Zeit bei den Grillini besonders umstritten, weil für viele Abgeordnete bald die zweite Amtszeit endet, es aber auch Prominente gibt, die sich bisher aus der parlamentarischen Arbeit herausgehalten haben und nun die Beibehaltung der alten Regelung zur Identitätsfrage machen – Di Battista, der sich hier besonders prinzipientreu gibt (und mit Spaltung droht, wenn sie angetastet wird), könnte es den Weg an die Spitze ebnen, wenn ihm nicht mehr Leute wie Di Maio im Weg stünden.

Hier scheint der jakobinische Egalitarismus noch einmal die Oberhand gewonnen zu haben – die alte Regelung wird vorerst nicht außer Kraft gesetzt (auch wenn Abweichungen wohl nicht ganz ausgeschlossen werden).

Bündnis ja, aber nicht „strukturell“

Das vierte Ergebnis betrifft eine Frage, die nun doch politisch ist: die Bündnisfrage. Denn immerhin hat hier die 5-Sterne-Bewegung eine auf den ersten Blick schwindelerregende Wende hinter sich: vor zwei Jahren regierte sie noch mit der ultrarechten Lega, jetzt mit der moderat „linken“ PD. Es wäre allerdings irreführend, darin ihre eigene Entscheidung zu sehen: Die fällte Salvini, als er aus heiterem Himmel das Regierungsbündnis aufkündigte. Wonach der 5SB nur noch die Wahl zwischen dem plötzlichen Bündnis mit der PD oder einem für sie desaströsen Alleingang bei Neuwahlen blieb. Dass sich die 5SB in dieser Situation für das Bündnis mit der PD entschied, ist nachvollziehbar – alles andere hätte ihre Selbstauflösung bedeutet. Aber sie hat seitdem ein Problem: im Nachhinein einem Bündnis einen Sinn geben zu müssen, zu dem es für sie auf unabsehbare Zeit keine Alternative gibt. Die Diskussion darüber, welchen Charakter das gegenwärtige Bündnis der 5SB mit der PD haben könne, ist der Versuch einer solchen Sinngebung. Di Maios Antwort scheint banal zu sein, will aber für die „Bewegung“ noch einen Rest Autonomie retten: Das Bündnis ist nicht „strukturell“, sondern muss sich immer wieder an „Themen“ festmachen. Will sagen: Ja zu Bündnissen auch auf lokaler und regionaler Ebene, der Traum vom Alleingang der 5SB ist ausgeträumt. Aber wenigstens auf die Inhalte müssen wir uns noch jeweils einigen.

Abschied ins Kleinkarierte

Es gab Zeiten, in denen 5-Sterne-Bewegte glaubten, wie ein Sturm über Italien und dann auch die anderen Länder hinwegfegen zu können, der erst die Parteien-Demokratien zertrümmert, um sie dann durch eine digital ermöglichte „direkte“ Weltdemokratie ohne Politiker und Parlamente zu ersetzen. Dass sie bei den Wahlen von 2018 32 % der Stimmen bekamen, konnten sie noch als Station des Weges zu diesem Traumziel verbuchen, dass sich aber ihr Stimmanteil inzwischen wieder mehr als halbiert hat, schon nicht mehr. Den von Conte eingeforderten „Mut“, die „Komplexität“ des Realen anzuerkennen und sich z. B. von der Gründungsidee der „direkten Demokratie“ zu verabschieden, bringen jedoch nur wenige auf.

So wurden abgesehen von der Bündnisfrage bei den eben abgehaltenen „Generalständen“ eher organisatorische Fragen verhandelt, obwohl es eigentlich genug Anlass zur Erörterung der künftigen Politik gäbe – in der Welt wütet die Pandemie, in den USA gibt es einen neuen Präsidenten. Aber seit Di Maio zum Beispiel Außenminister ist, findet Außenpolitik nicht mehr statt (über den Terrorismus wurde in der EU gerade ohne Italien verhandelt, beim Zugriff Putins und Erdogans auf Libyen auf seinen früheren „Hinterhof“ schaut es nur passiv zu, in seinen ehemaligen Kolonien Äthiopien und Eritrea gibt es wieder Krieg). Stattdessen schafft es Di Maios Rivale Di Battisti, den Konvent mit der Frage zu  beschäftigen, wieviel Stimmen vorher bei der Sprecherwahl für ihn persönlich abgegeben wurden (weil er offenbar die Bestätigung wollte, dabei häufiger als sein Rivale Di Maio genannt worden zu sein). Auch das war bei den „Generalständen“ zu besichtigen: der Umschlag globaler Träume in den kleinkariertesten Provinzialismus.

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