Das Landini-Projekt

Maurizio Landini, der Vorsitzende der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM, ist etwa im gleichen Alter wie Renzi, also noch relativ jung. Er verfolgt seit einigen Monaten eine Idee, die für einige Unruhe im politischen Hühnerstall Italiens sorgt. Obwohl es gar nicht so leicht ist, die Idee klar zu fassen. Eine „soziale Koalition“ soll es werden, in der die FIOM einen Baustein bildet und die in Italien politisch intervenieren will, ohne selbst Partei zu werden. Ein soziales Subjekt, das die Spaltung der Arbeit in Normalbeschäftigte, Prekäre und Selbstständige überwinden und für sie ein gemeinsames neues Statut mit gleichen Rechten erkämpfen will. Und zugleich ein politisches Subjekt, das sich weitere Ziele setzt und Verbündete auch außerhalb des klassischen gewerkschaftlichen Aktionsbereiches sucht. Wenn es gut geht etwas Drittes, das die verkrusteten Verhältnisse gegen Troika und EZB, für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit zum Tanzen bringt.

Widerstände

Landini hat Charisma, ist ständiger Fernsehgast und hielt auf der zentralen Kundgebung vom 28. März die Rede im Stile des Oppositionsführers, der die Regierung herausfordert. Aber in seinem Vorhaben steckt auch ein gutes Stück Voluntarismus. Es stößt schon auf Widerstand: bei der PD-Führung, weil er die Regierung Renzi zum Hauptgegner aufbaut („schlimmer als Berlusconi“), und bei Susanna Camusso (der Chefin des Gewerkschaftsverbandes CGIL, zu dem auch die FIOM gehört), die in seinem Projekt vor allem die Grenzüberschreitung sieht. Am härtesten ist die Ablehnung seitens der Führung der 5-Sterne-Bewegung, obwohl es in deren Anhängerschaft anders aussieht – z. B. bei der Forderung nach einem Grundeinkommen für alle gibt es programmatische Übereinstimmungen. Aber Gewerkschaften passen nicht in Grillos Konzept von „direkter Demokratie“, und Landini ist auch nicht für den Austritt aus dem Euro. Zumal Grillo den Bereich, den Landini nun betreten will („sozial“, „direkt“, „von unten“), als Revier der 5-Sterne-Bewegung betrachtet. Also dekretiert Luigi di Maio von Grillos Direktorium, Landini sei ein in den „alten Ideologien von Hammer und Sichel“ verfangener „Nostalgiker“ („Repubblica“ vom 30. März).

Die Lehrmeister: Syriza und Podemos

Vereint: Landini, Tsipras, Iglesias

Vereint: Landini, Tsipras, Iglesias

Dafür, dass sein Projekt Zukunft haben könnte, hat Landini zwei Bezugspunkte: Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien. Bei der Athener Abschlusskundgebung der Syriza-Jugend im vergangenen Oktober saß nicht Vendola oder Grillo, sondern Landini mit Tsipras und Iglesias auf dem Podium. Podemos und Syriza betrachten sich längst als voneinander lernende Bewegungen, und Landini will in diesem Bund der Dritte sein. Von Podemos will er lernen, wie sich eine neue politische Formation der Linken außerhalb korrupter Parteistrukturen in den Protestbewegungen gegen die Demontage des öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesens verwurzeln kann. Und von Syriza, wie eine solche „Bewegung nicht mit der Idee entsteht, eine neue Partei aus der Taufe zu heben, sondern ganz praktische Antworten auf die elementaren Bedürfnisse der Menschen – Gesundheitsfürsorge, tägliches Essen – zu geben“ (Landini in der „Repubblica“ vom 26. Januar).

So wehrt sich Landini mit Händen und Füßen dagegen, dass die „soziale Koalition“, die er zusammenbringen will, sofort zum Tummelplatz linker Polit-Dinosaurier in und außerhalb der PD wird. Und auch gegen die Sirenenklänge von Vendolas SEL, der er bisher politisch nahe stand und die ein ähnliches Projekt verfolgt.

Neue Bündnispartner

Stattdessen wirbt er um den für ihn zugänglichen Teil der „Centri sociali“ (autonom verwaltete und oft auf Hausbesetzungen zurückgehende Zentren, die teilweise von militanten Anarchisten beherrscht werden). Und um Nicht-Regierungsorganisationen, die im sozialen Leben Italiens eine wichtige Rolle spielen und deren Aufzählung die erstrebte Spannweite des Bündnisses zeigt: Arci (Kultur und Selbsthilfe), Emergency (Gesundheitsfürsorge für die Marginalisierten), Libera (Hilfe gegen die Mafia, Nutzung der beschlagnahmten Ländereien für gemeinnützige Zwecke), Articolo 21 (Bündnis für Meinungs- und Pressefreiheit).

Die Kundgebung am 28. März war die Generalprobe, um auch deren Vertreter zu Wort kommen zu lassen. Über 25 000 kamen, die römische Piazza del Popolo war voll – zu wenig, um schon von mobilisierten Massen, aber auch zu viel, um von Flop reden zu können. Zumal Landini ja sowieso eine lokal verwurzelte permanente Mobilisierung anstrebt.

Das ist riskant, wie jedes Projekt, das auf permanente Mobilisierung setzt. Die 350.000 Mitglieder der FIOM, die er in die Waagschale wirft, mögen kampferprobte Gewerkschafter sein. Ob sie sich allerdings in ebenso gute Streetworker (bzw. -fighter) umschulen lassen, steht dahin. Von Podemos und Syriza ist Landini noch weit entfernt.

Die politische Großbaustelle

Italiens politische Landschaft ist eine Großbaustelle, auf der an vielen Stellen gleichzeitig und ohne gemeinsamen Masterplan gewerkelt und experimentiert wird. Nicht nur die Institutionen werden umgebaut (Senat), sondern auch die Parteien. Während Grillos Aufstieg die Krise des repräsentativen Systems zeigt, zerfällt das rechte Lager. Im Diadochenkampf um Berlusconis Erbmasse mutiert die Lega, die früher einmal die Abspaltung des Nordens betrieb, zur radikalen antieuropäischen Kraft, die einen Teil der gesamtitalienischen Rechten ins Schlepptau zu nehmen sucht. Gleichzeitig verschiebt Renzi die PD ins Zentrum. Das beschert ihr zwar beachtliche Stimmenzuwächse, so dass auch sie ein Stück von Berlusconis Erbmasse an sich reißen kann. Aber es stürzt sie zugleich in eine interne Zerreißprobe und erweitert das Vakuum zu ihrer Linken. Dies versucht Landini mit einem sozialpolitischen Neuansatz zu füllen, der mehr sein will als nur ein Nischenfüller, und gleichzeitig ganz neue Schichten der Bevölkerung in Bewegung setzen soll. Bisher ist es ein Vorsatz. Für den es aber, wie gesagt, bei den südeuropäischen Nachbarn Vorbilder gibt.