Bedrohung aus Libyen

Mitte Februar erreichten Europa aus Nordafrika drei Nachrichten, von denen jede für sich schon schlimm genug ist, die aber bedrohlich werden, wenn man sie im Zusammenhang sieht. Die erste: Den IS gibt es nun auch in Libyen. Via Internet lieferte er gleich einen Horror-Nachweis seiner Existenz, indem er 21 gefangene koptische Christen, die als ägyptische Gastarbeiter in Libyen arbeiteten, am Ufer des Mittelmeers öffentlich massakrierte. Die zweite: Die letzte noch in Tripolis arbeitende westliche Botschaft, die Italiens, hat ihre Pforten geschlossen und sich mit allen Angestellten und Diplomaten auf einem maltesischem Frachter nach Italien abgesetzt. Um den „Terroristen“ kein symbolträchtiges „Angriffsziel“ zu bieten, so die Begründung. Und die dritte Nachricht, die sich daneben eher unbedeutend ausnahm: Die libyischen Schleuser, die bisher das Weite suchten, wenn sie die Flüchtlinge auf Schlauchbooten und Seelenverkäufern Richtung Italien ihrem Schicksal überlassen hatten, ändern ihr Verhalten. Als sich jetzt die italienische Küstenwache einem dieser überladenen Kähne näherte, hatten plötzlich die Schleuser Kalaschnikows in der Hand und zwangen die (unbewaffneten) Leute von der Küstenwache, ihnen die Boote zurückzugeben, nachdem sie die menschliche Fracht an Bord genommen hatten. Worin die Botschaft steckt: Wir haben jetzt unser Geschäft rationalisiert und aus den bisherigen Einweg- Mehrwegkähne gemacht.

Zerfallenes Land

Den Staat Libyen gibt es nicht mehr, er ist zu einem Tummelplatz sich gegenseitig bekämpfender Clans, Milizen und Banden geworden. Es gibt zwar ein im Sommer 2014 gewähltes Parlament und eine von ihm gewählte Regierung. Aber gewählt wurde es nur von 18 % der Bevölkerung und inzwischen auch aus Tripolis nach Tobruk nahe der ägyptischen Grenze vertrieben. In Tripolis hat sich eine islamistisch orientierte Gegenregierung gebildet. Nachdem 2011 die USA, Frankreich und Großbritannien von der Luft und vom Wasser aus Gaddafis Sturz militärisch mitbetrieben hatten, überließen sie das Land seinem Schicksal. Gaddafis Waffenarsenale fielen in die Hände verschiedener Milizen, die sich inzwischen in zwei Lager auseinander dividierten, von denen sich das eine eher Richtung Tobruk, das andere eher Richtung Tripolis orientiert. Im Land herrscht Bürgerkrieg und Anarchie.

Derna nach dem ägyptischen Bombardement

Derna nach dem ägyptischen Bombardement

Inzwischen gibt es im libyischen Trauerspiel einen dritten Akteur, den IS, dem das Land in absehbarer Zeit wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen könnte. Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt in „Spiegel online“ vom 21. 2., dass es in Derna, Benghasi und Sirte schon immer islamistische Hochburgen gab. Jetzt bilde das Fehlen funktionierender staatlicher Strukturen den Nährboden des IS. Libyer, die im syrischen Bürgerkrieg an seiner Seite kämpften, kehren in ihr Land zurück. Die Reaktion Ägyptens auf die öffentliche Ermordung der koptisch-ägyptischen Gastarbeiter verschaffte dem IS weiteren Zulauf: Ägyptische Kampfflugzeuge, welche die IS-Hochburg Derna bombardierten, trafen auch zivile Ziele, was nicht nur die Gegenregierung in Tripolis scharf verurteilte. Das ägyptische Vorgehen, so Lacher, sei hoch riskant, weil sich noch 250.000 Ägypter in Libyen aufhalten, gegen die sich nun Gegenschläge richten könnten. Der IS antwortete bereits mit Selbstmordanschlägen, denen über 50 Menschen zum Opfer fielen.

Was tun?

Wie sollen sich Italien, Europa, der Westen verhalten, wenn sich ein paar hundert Km von der europäischen Südgrenze entfernt der IS zu etablieren beginnt? Für Italien verquickt sich diese Frage unentwirrbar mit der Zuwanderung: „Wir riskieren einen Exodus ohnegleichen, der kaum noch zu kontrollieren ist“ (Innenminister Alfano). Schon gibt es Meldungen, dass libyische Schlepper beginnen, die Flüchtlinge mit Gewalt in die Boote zu treiben. Ist das schon eine teuflische Strategie, um Europa zu destabilisieren? Der Gedanke, dass sich der IS auch aus den Tributzahlungen der Flüchtlinge finanzieren könnte, ist schon unerträglich genug. Er würde in dem Maße realer, als der IS die ganze libyische Mittelmeerküste unter seine Kontrolle bringt. Die Horrorvisionen, welche die Lega an die Wand malt, gehen weiter: Tausende von IS-Kämpfern, die sich demnächst als „Flüchtlinge“ verkleidet in Lampedusa von der italienischen Küstenwache an Land hieven lassen. Der IS unterstützt solche Schreckensvisionen, wenn er über Internet postet, er stehe mit seinem Kalifat schon kurz vor Rom (da beruhigt auch nicht der zynische Kommentar, dass dieser Weg übers Mittelmeer dem IS sicherlich viel zu riskant sei). Der Lega-Führer Salvini hat einen neuen Grund für seine alte Forderung, überhaupt keine Bootsflüchtlinge mehr an Land lassen. La Russa von den neofaschistischen „Fratelli d’Italia“, die zu Berlusconis Rechtsbündnis gehören, setzt noch einen drauf: Italien solle die libyischen Häfen militärisch besetzen, um schon dort die Flüchtlingsboote am Auslaufen zu hindern.

Kein militärisches Abenteuer

Auch in der italienischen Regierung gab es einen Moment der Unklarheit, was zu tun sei. So sprach sich anfangs Verteidigungsministerin Pinotti für eine europäisch-nordafrikanische Interventionstruppe aus, an der sich Italien „mit 5000 Mann“ beteiligen könne, „natürlich im Rahmen eines UNO-Mandats“. Und Berlusconi versprach schon mal prophylaktisch seine Unterstützung. Renzi, als ehemaliger Bürgermeister von Florenz ein Mann mit wenig außenpolitischer Erfahrung, pfiff sie schnell zurück. Er befürwortet das Vorgehen, das sich auch im Sicherheitsrat durchsetzte: erst einmal alle politischen und diplomatischen Mittel nutzen, um zwischen den beiden konkurrierenden „Regierungen“ Libyens zu vermitteln. Mit dem Ziel, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die Libyen auch als Staat wieder handlungsfähig macht. Erst dann könne man über eine UN-Schutztruppe reden. Die UNO hat bereits einen Sondergesandten mit diesem Auftrag nach Libyen geschickt. Der Vorstellung der ägyptischen Regierung, die sofort draufhauen will, entspricht das nicht. Die USA, die traditionell die ägyptische Linie unterstützen, tun es diesmal nur halbherzig, denn der wichtigste Grund für ihr sofortiges Eingreifen, das libyische Öl, hat für sie an Bedeutung verloren, seitdem sie sich in diesem Punkt (Fracking!) der Autarkie nähern.

Natürlich enthält auch dieser Weg Risiken. Der Widerstand gegen die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit könnte in Libyen zäher und zeitraubender sein, als erwartet, während der IS seine Präsenz immer mehr festigt. Aber die Alternative – eine schnelle Militäraktion, womöglich unter ägyptischer Führung (Tunesien und Algerien haben schon abgewinkt), ohne eine libyische Regierung, die das Volk repräsentiert – wäre noch viel riskanter.

Ein Kommentar

  • Carl Wilhelm Macke

    Morddrohungen gegen TV-Journalisten aus Libyen.

    Hamza S.* arbeitete von 2010 bis 2014 als Reporter für die privaten libyschen Fernsehsen­der Al-Assema TV und AL-Nabaa. Wegen seiner Berichterstattung über Kinderar­beit, sexuellen Miss­brauch und Drogen- und Waffenhan­del sowie Korruption und Menschen­rechtsverletzungen all­gemein geriet er gleichermaßen in den Fokus von Regierungsvertretern und Milizen.

    Für seine Reportagen über Entführungen, illegale und willkürliche Verhaftungen, über Folter und Er­mor­dung von Häftlingen in libyschen Gefängnissen erhielten er und seine Familienan­gehörigen re­gelmäßig Morddrohungen. Einen direkten Angriff durch Sicherheitskräfte des ehemaligen libyschen Parlamentsvorsitzenden, den sein TV-Team filmen konnte, legte er den zuständigen Justizstellen zwar als Beweis vor. Die Anzeige wird jedoch bis heute nicht ver­folgt.

    Hamza S. wurde im Rahmen seiner journalistischen Arbeit mehrfach verhaftet, verhört und mit der Waffe bedroht. Als bei ihm ein versteckt gedrehter Film über die Misshandlung eines Gefangenen gefunden wurde, wurde der Reporter von Milizen verschleppt und gefoltert. Mitte Juli 2014 berichtete er über bewaffnete Aktionen der in Tripolis berüchtigten Miliz „Axis 11“. Wegen der auf diesen Bei­trag folgenden neuen Morddrohungen floh er am 23. Juli 2014 aus Angst um sein Leben aus der liby­schen Hauptstadt und versteckte sich zunächst innerhalb des Landes.

    Weitere Morddrohungen zwangen ihn am 6. September 2014 zur Flucht nach Tunesien, wo er sich derzeit aufhält. Aber selbst dort haben nach Angaben eines amnesty-Researchers, der ihn in Tunis traf, die Morddrohungen nicht aufgehört. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist das Leben kritischer Journalisten in Libyen stark gefährdet: Sieben Journalisten wurden in­nerhalb des vergangenen Jahres getötet. Insge­samt gab es in diesem Zeitraum 127 Überfälle auf Medienvertreter.

    *Hamza S.: Der Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert.

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