Die grauen Eminenzen

Die Einmischung des Vatikans bzw. der katholischen Kirche in die politischen Angelegenheiten Italiens hat Tradition. In den Zeiten der Democrazia Cristiana war es üblich, dass die Pfarrer vor Parlamentswahlen von der Kanzel her den Gläubigen mit dem Segen auch eine Wahlempfehlung auf dem Weg gaben. Genauso üblich waren Einlassungen von Bischöfen, Kardinälen und gar des Papstes zu Gesetzesentwürfen des italienischen Parlaments, besonders bei „ethisch sensiblen“ Themen (aber nicht nur bei solchen) wie Patientenverfügungen, gleichgeschlechtlichen Paaren oder Abtreibung. Auch nach der Tangentopoli-Krise zu Beginn der 90er Jahre, die zur Auflösung vieler Parteien führte, blieb der Einfluss des Vatikans auf die Politik stark. Alle Regierungen, auch die des Mannes mit den „kleinen Lastern“ (so B.s Beichtvater über B.), buhlten um die Gunst der katholischen Kirche und waren bereit, ihr dafür satte Privilegien einzuräumen.

 Kardinal Camillo Ruini

Kardinal Camillo Ruini

Von alledem hält der neue Papst wenig. Die Haltung von Franziskus gegenüber der italienischen Politik ist zurückhaltend. Genauso wenig wie Gesetzesvorhaben der französischen oder deutschen Regierung kommentiert er solche der italienischen Regierung. Was natürlich in keiner Weise bedeutet, dass der Papst nicht zu allen möglichen Fragen Stellung nimmt, die auch politische Implikationen haben (s. Abtreibung oder Homo-Ehe). Es sind aber grundsätzliche Stellungnahmen, die sich an alle katholischen Gläubigen richten – und nicht an die Regierungen bzw. Parlamente eines bestimmten Staates.

Die „Ruini-Fraktion“

Dies wäre eigentlich nichts anderes als ein Stück Rückkehr zur „Normalität“, die aber im Vatikan keineswegs überall goutiert wird. Ein Teil der Kurie sträubt sich dagegen – und arbeitet in die entgegengesetzte Richtung. Die Abberufung von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone – ein mit allen Wassern gewaschener „Strippenzieher“ mit besten Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern – durch Franziskus ist ein Ausdruck dieses Konflikts.

An der Spitze der grauen Eminenzen, die weiterhin versuchen, unmittelbar Einfluss auf das politische Geschehen in Italien zu nehmen, steht Kardinal Camillo Ruini, der frühere Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz (CEI). Zur mächtigen „Ruini-Fraktion“, die schon vor längerer Zeit auf Distanz zu Berlusconi ging, gehören auch andere wichtige Würdenträger, u. a. Kardinal Bagnasco, der aktuelle CEI-Präsident, sowie die Bischöfe von Mailand und Venedig, Scola und Moraglia, und der Leiter des „Pontifikalrates für die Evangelisierung“, Monsignore Fisichella.

Besagter Monsignore hatte in den vergangenen Wochen viel zu tun: Er betätigte sich als eifriger „Pontiere“ (Brückenbauer) im Auftrag Ruinis und traf sich mehrmals zu vertraulichen Gesprächen mit prominenten Mitterechts-Vertretern von Parlament und Regierung: die Minister Lupi und Quagliariello und Senator Formigoni (früher PdL, jetzt Nuovo Centrodestra/NCD) sowie Außenminister Mauro (Zentrum) und ab und zu sogar Vizepremier Alfano, Anführer der neuen Formation NCD. Bei diesen Treffen soll auch die Abspaltung der Alfano-Gruppe abgesegnet worden sein.

Neuausrichtung der katholischen Kräfte

Ziel der „Ruini-Fraktion“ scheint es zu sein, die katholischen Kräfte im rechten Lager – ohne Berlusconi – zu bündeln und so zu einer Art Neuauflage der „Democrazia Cristiana“ zu gelangen. Einige, die bei der Gründung des „Nuovo Centrodestra“ eine wichtige Rolle spielten, gehören zur einflussreichen religiös-konservativen Vereinigung „Comunione e Liberazione“. Als Vatikanfreunde gelten auch Pierferdinando Casini, Leader der UDC, sowie Außenminister Mario Mauro und weitere profilierte Zentrumsvertreter.

Und nicht zu vergessen: Auch innerhalb der PD gibt es einen starken katholischen Flügel, dessen Wurzeln in der Democrazia Cristiana und deren Nachfolgeparteien liegen. Nicht nur Ministerpräsident Letta und der derzeitige Minister für Parlamentsangelegenheiten, Dario Franceschini, sondern auch Matteo Renzi, der wahrscheinlich der neue Generalsekretär der PD sein wird, kommen aus dieser Ecke.

Während also auf der einen Seite Franziskus politische Zurückhaltung gegenüber den Angelegenheiten Italiens verordnet, mischt ein Teil der (italienischen) Kurie – mehr oder weniger offen – weiter heftig mit. Ob es dem Papst „vom Ende der Welt“ gelingt, diese alten Füchse, die alle Machtmechanismen und Akteure der italienischen Politik bestens kennen, auf seinen Kurs zu bringen, halte ich für fraglich. Aber ich lasse mich gerne überraschen.

Letzte Meldung

Das italienische Verfassungsgericht hat gestern zwei wesentlichen Bestimmungen des Wahlgesetzes („Porcellum“) als verfassungswidrig verworfen: die so genannte Mehrheitsprämie, mit der das stärkste Parteienbündnis automatisch die absolute Mehrheit bekommt, sowie die „blockierten Listen“, die eine Direktwahl von Kandidaten ausschließen und damit – so das Gericht – den freien Wählerwillen einschränken. Die konkreten Auswirkungen der Entscheidung werden erst nach Bekanntgabe der Urteilsbegründung in einigen Wochen erkennbar sein. Doch von dem höchstrichterlichen Urteil geht schon jetzt ein gewaltiger Druck auf Parlament und Parteien aus, das verfassungswidrige Gesetz schnellstmöglich durch ein neues, verfassungskonformes zu ersetzen. Der lang andauernde politische Streit darüber, wie es aussehen soll, spitzt sich zu.

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