Parteien unter Druck

Gustavo Zagrebelsky von „Libertà e Giustizia“ warnte vor einem Monat: Die Parteien müssten der Korruption den Kampf ansagen und sich „von innen“ erneuern, andernfalls gerieten nicht nur sie, sondern das ganze demokratische System in Gefahr.

Prophetische Worte. Derzeit jagt ein Korruptionskandal den anderen, die Staatsanwaltschaften haben alle Hände voll zu tun. So scheint der Schatzmeister der inzwischen aufgelösten Zentrumspartei „Margherita“ 21 Mio. € aus der Parteikasse in die eigene Tasche gesteckt zu haben: für Immobilien, Luxusreisen und weiß der Geier was noch. Ihr ehemaliger Parteichef Rutelli will davon nichts gemerkt haben, was – sollte es zutreffen – auch ein Skandal wäre. Kurz danach explodierte der „Fall Lega“. Die Bossi-Familie (Freunde inklusive) bediente sich offenbar ungeniert aus Steuergeldern, die in schwarze Parteikassen umgeleitet worden waren, weitere Beträge flossen in dubiose Gold- und Diamantengeschäfte. Bossi-Senior und -Junior und weitere Lega-Vertreter traten unter dem Druck der Basis von ihren politischen Ämtern zurück.

Das sind nur die spektakulärsten Fälle. Fast täglich kommen neue hinzu, quer durch die Parteien. Schon ist die Rede von einer „zweiten Tangentopoli“, die zum Zusammenbruch des politischen Koordinatensystems führen könnte, wie schon einmal zu Beginn der 90er Jahre.

Die Debatte um die öffentliche Parteienfinanzierung ist heftig. Staatspräsident Napolitano mahnt mal wieder zum raschen Handeln, die Justizministerin kündigt Gesetzesänderungen an, während die Parteien die Regierung für „unzuständig“ erklären (eine seltsame Auffassung, handelt es sich doch um Steuergelder, wie Monti zu Recht anmerkte) und eigene Vorschläge ausbrüten.

Eine Änderung des aktuellen Finanzierungssystems ist schon deswegen überfällig, weil sich 1993 – nach „Tangentopoli“ – eine 90 %-Mehrheit per Referendum gegen jegliche öffentliche Parteienfinanzierung aussprach. Die Staatsgelder flossen trotzdem weiter, aber nun als „Rückerstattung von Wahlkampfkosten“ deklariert. Die Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Wahlkampfkosten und den erhaltenen Beträgen ist riesig: Zum Beispiel für den Wahlkampf 2008 erhielten die Parteien insgesamt 503 Mio. €, während die Wahlkampfkosten nur 110 Mio. betrugen. Mit dem Rest werden „laufende“ Parteiausgaben gedeckt – wenn sie nicht in der eigenen Tasche oder in der von Freunden und Verwandten landen.

Es handelt sich also um eine getarnte Form der 1993 abgeschafften Parteienfinanzierung, aber ohne Kontrolle durch unabhängige Instanzen. Jetzt fordern die oppositionelle IdV des ehemaligen „Tangentopoli-Staatsanwalts“ Di Pietro und die skandalgeplagte Lega deren Beendigung und lehnen auch jede Wahlkampfkostenerstattung ab. Die regierungstragenden Parteien (PD, PdL, Terzo Polo) halten mit Recht dagegen, dass dann nur Parteien zum Zuge kämen, die von Reichen und mächtigen Lobbys finanziert werden. Sie einigten sich stattdessen auf einen Vorschlag, der Legalität und Transparenz durch eine doppelte Kontrolle garantieren soll: einerseits durch externe Prüfer, andererseits durch ein neu einzurichtendes staatliches Kontrollgremium aus Vertretern des Rechnungshofes, des Staatsrates (einer rechtlich-administrative Beratungs- und Kontrollinstanz) und des Kassationsgerichts. Außerdem sollen Spender ab 5.000 Euro namentlich aufgeführt werden und Parteienbilanzen im Internet öffentlich zugänglich sein.

Was der Vorschlag (bisher) nicht vorsieht, ist ein reduziertes Finanzierungsvolumen. Dieses wäre aber als „politisches Signal“ in Zeiten drastischer Einschnitte bei Arbeitnehmern und Rentnern wichtig, zumal Italien im europäischen Vergleich einen bedenklichen Spitzenplatz einnimmt: Hier erhalten die Parteien aus der Staatskasse jährlich insgesamt 285 Mio. €; während es in Deutschland 150 (Höchstgrenze), in Frankreich 80 und in Großbritannien (wo nur die Oppositionsparteien eine staatliche Finanzierung erhalten) 5 Mio. sind.

Noch muss die von PdL, PD und Terzo Polo favorisierte Neuregelung die parlamentarischen Hürden nehmen, während sich auch bei ihnen bereits die Stimmen mehren, welche die Staatssubventionierung drastisch reduzieren wollen. Denn der Unmut der Bürger wächst und ist längst dabei, in allgemeine Parteien- und Politikfeindlichkeit umzuschlagen. Damit wächst auch der Druck auf die Parteien, möglichst vor den Kommunalwahlen Anfang Mai zu einem Ergebnis zu kommen. Denn auf der Welle des Unmuts reitet die „Antipolitik“, d. h. Populisten wie der Ex-Komiker Beppe Grillo, der insbesondere bei enttäuschten Lega-Wählern – aber nicht nur dort – Stimmen fischen könnte.

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