Bossis Rücktritt

Im Safe des – inzwischen zurückgetretenen – Schatzmeisters der Lega fand die Polizei eine Mappe mit der Aufschrift „Family“. In ihr waren die Zahlungen aufgeführt, die nach Auskunft der vernommenen Sekretärinnen aus schwarzen Parteikassen an die Bossi-Familie und einige ihrer engsten Vertrauten geflossen waren: für die Renovierung von Bossis Villa, für die Autos und Strafzettel der beiden Bossi-Söhne Renzo und Riccardo, für familiäre Urlaube, Telefon- und Zahnarztrechnungen und für Hotelaufenthalte von Renzos Bodygards, für eine von Bossis Ehefrau geleitete „padanische“ Privatschule und für eine „padanische“ Gewerkschaft, die Bossis Vertraute Rosy Mauro gegründet hatte. Und für verschiedene Diplome und Doktor-Titel: 130 000 € kostete allein Renzos Promotion an einem Londoner Privatinstitut (Renzo ist ein hübscher Junge, im Kopf nicht der hellste, der in der Schule einmal sitzen blieb und zweimal die Abiturprüfung nicht schaffte, den aber Papa mit dem Posten eines Regionalabgeordneten bedachte). Alles Gelder, die die Lega vom Staat zur Erstattung von Wahlkampfkosten erhielt, also Steuergelder, und von denen nach ersten Überschlagsrechnungen allein 2010/11 zwei Millionen in den Taschen der Bossi-Familie verschwanden.

In Italien nichts Besonderes, könnte man zynisch anmerken. Und doch hatte sich die Lega in den Trümmern von „Tangentopoli“ Anfang der 90er Jahre als Partei der „sauberen Hände“ präsentiert, die die ehrlichen und fleißig arbeitenden Bürger Norditaliens zum Kampf gegen „Roma ladrona“ (das „diebische Rom“) aufrief. Jetzt begegnen schockierte Lega-Anhänger in den Zeitungen hämische Titel wie „Lega ladrona“.

Als die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Lega-Schatzmeister – eine dubiose Figur mit Kontakten zur kalabresischen Mafia – wegen Betrug, Veruntreuung von Staatsgeldern und Verdacht auf Geldwäsche für die organisierte Kriminalität bekannt wurden, ging Bossi zu ihm auf Distanz. Als sich der in Ungnade Gefallene darüber telefonisch bei einer Sekretärin Bossis beschwerte, empfahl ihm diese: „Du musst ihm (Bossi) sagen: ‚Boss, ich will dich nur daran erinnern, dass ich … für deine Frau, für Riccardo, für Renzo immer wieder Summen locker gemacht habe, was – sollte jemand das rauskriegen – für dich das Ende bedeuten kann‘ “.

Die Dame behielt recht. Als der „Boss“ unter Tränen seinen Rücktritt erklärte, kam ihm die späte Erkenntnis: „Ich hätte meine Söhne aus der Politik heraushalten sollen, das war mein größter Fehler“. Er ist eben ein Familienmensch, der jetzt beteuert, von nichts gewusst zu haben. Das klingt unwahrscheinlich, könnte aber sogar stimmen. Denn nach einem schweren Schlaganfall im Jahr 2004 hat ein kleiner Kreis von Familienmitgliedern und engen Vertrauten um den gesundheitlich angeschlagenen Leader einen „Schutzwall“ gebaut, der ihn auch von seiner Umwelt abschottete. Informationen wurden zurückgehalten, Kontakte sortiert. Zu diesem sog. „Cerchio magico“ („magischer Kreis) zählen nun just diejenigen, die in Verdacht stehen, der Partei ausgezahlte Steuergelder für eigene Zwecke missbraucht zu haben.

Doch auch wenn Bossi von seinem „magischen Kreis“ hinters Licht geführt wurde: Die politische Verantwortung liegt bei ihm, der nicht hinschaute oder nicht hinschauen wollte. Mit seinem Rücktritt trug er – anders als sein ehemaliger Verbündeter und Freund Berlusconi – diesem Umstand Rechnung. Was nicht automatisch heißt, dass er damit von der politischen Bühne abtreten wird. Schon einen Tag nach seinem Rücktritt faselte er von einem „römischen Komplott“, er schließe nicht aus, beim nächsten Parteikongress in Oktober erneut zu kandidieren. Mit welchem Erfolg, ist fraglich. Denn in der Lega laufen sich jetzt diejenigen warm, die ihm schon lange die Führung streitig machen: allen voran der ehemalige Innenminister Maroni, der auf eine stattliche Truppe von Unterstützern zählen kann, auch der populäre Veroneser Bürgermeister Tosi. Im Mai sind in einigen norditalienischen Städten Kommunalwahlen. Viel hängt davon ab, wie die Lega – und welcher Parteiflügel – dabei abschneiden wird.

Sicher ist: nach B.s Rücktritt bildet der Rücktritt Bossis eine weitere Zäsur in der Geschichte der italienischen Rechten, welche die politische Landschaft verändern wird. So wie „Tangentopoli“ das Ende der sog. „ersten Republik“ markierte, könnte das Abtreten der beiden charismatischen rechten Parteileader das Ende der zweiten und den Beginn einer dritten Republik einläuten. In einer schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage und mit ungewissen Ausgang.