Sirenenklänge

Vor ein paar Wochen schrieb ich, die Regierung Monti hänge „am seidenen Faden“, weil B. mit dem Gedanken spielte, seine parlamentarische Mehrheit mit der Lega zu reaktivieren und Monti „den Stecker rauszuziehen“. Jetzt hat er einen noch aussichtsreicheren Weg entdeckt, um politisch und geschäftlich im Spiel zu bleiben. Einen Weg, der nicht über den Konflikt mit Monti, sondern dessen Umarmung führt.

Es begann damit, dass B. verlauten ließ, man dürfe „Monti nicht der Linken schenken“. Worauf sich ein „politisches Arbeitsessen“ der beiden am 22. Februar zu einer dreistündigen Tour d’horizon ausweitete. An deren Ende B. erklärt haben soll: „Präsident Monti, wir beurteilen die Arbeit der Regierung sehr positiv. Und zwar so sehr, dass wir uns wünschen, dass Sie (man siezt sich noch) Ihr Amt auch nach 2013 behalten“. B. soll gleich noch einen draufgelegt haben: Im Mai 2014 werde der Posten des europäischen Ratspräsidenten frei. Da könne doch Monti … Monti soll sich zu beidem nicht geäußert haben.

Aber kein dummer Vorschlag, fürwahr. Er könnte eine Klappe für vier Fliegen sein:

Erstens gilt der „Antipolitiker“ Monti einer Mehrheit von Italienern immer noch als Retter, trotz der Wunden, die seine Reformen schlagen (siehe Michael Schlichts „Monti Superstar“ vom 28. 2.). B., der die Meinungsumfragen kennt, ist Realist genug, um dieser Popularität Rechnung zu tragen, auch wenn er damit einen echten Konservativen mit ans Steuer ließe. Mit ihm als Zugpferd könnte sich B.s eigene Partei wieder aus ihrem Wellental herausarbeiten – auch wenn sie sich neu erfinden müsste. Und B. bliebe Königsmacher.

Zweitens könnte er in diese Umarmung auch Casinis UDC einbeziehen, die Monti wohl am vorbehaltlosesten unterstützt. B. versuchte schon verschiedentlich, sie wieder in seinen Machtblock einzugliedern. Gelänge es B., Monti an sich heranzuziehen, könnte er auf diesem Umweg auch wieder die UDC einbinden.

Drittens wird immer deutlicher, dass die Unterstützung der Regierung Monti die PD in eine ernsthafte Krise stürzen könnte – also die Partei, die B. als seinen politisch stärksten Gegner betrachtet. Denn zu Montis Programm gehören „Flexibilisierungen“, von denen einige für die Gewerkschaften – vor allem die mit der PD eng verbundene CGIL – kaum akzeptabel sind. Wenn es hier nicht doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung kommt, droht der Art. 18 des Arbeiterstatuts, der Kündigungen erschwert, zum symbolischen Zentrum eines Konflikts zu werden, der die PD in „Montianer“ und „CGILer“ zerreißt. Wenn B. jetzt Monti ermuntert, sein Reformprogramm bitte „ohne Abstriche“ durchzuziehen, möchte er ihn zum Rammbock gegen die PD machen. Was sich für B. durchaus damit vereinbart, dass er jetzt der PD sogar eine Fortsetzung des gegenwärtigen „widernatürlichen“ Bündnisses auch nach 2013 anbietet. Denn er weiß: Die PD würde dabei implodieren. Für B. eine so erfreuliche Aussicht, dass er dafür auch bereit wäre, sein strategisches Bündnis mit der Lega aufzugeben.

Viertens verfolgt B. damit – wie immer – auch persönliche Interessen. Im gleichen Gespräch, in dem er Monti das Blaue vom Himmel herab anbot, brachte er drei andere Themen zur Sprache: 1) die von B. geforderte „Justizreform“, um ihr das Rückgrat zu brechen, 2) die Sende-Frequenzen, die er vom Staat geschenkt haben will (Monti soll sie nicht versteigern), und 3) das italienische Staatsfernsehen, das B. während seiner Amtszeit unter Kontrolle gebracht und von kritischen Journalisten gesäubert hat (Monti soll auf eine Neuordnung der RAI verzichten). Auch hierzu scheint sich Monti nicht definitiv geäußert haben. Aber es wird sich zeigen, ob er sich doch von diesem „freundschaftlichen“ Druck beeinflussen lässt.

Für B. ist dabei noch eine Option im Spiel, die er vorerst wohlweislich in der Schublade lässt. 2013 wird der Nachfolger von Napolitano gewählt. Wenn es dann mit Monti als Zugpferd und Ministerpräsident (von B.s Gnaden) eine erneute parlamentarische Mehrheit gibt, könnte die nicht ihn, B., zum neuen Staatspräsidenten wählen? Träumen darf man ja… Der Fall Ruby ist da vorerst noch ein Stolperstein, gewiss. Aber B. hat schon andere Hürden geschafft. Wie jetzt den Mills-Prozess, in dem ihm eine mehrjährige Gefängnisstrafe drohte, der aber nun glücklich verjährt ist. Wozu bezahlt er seine Rechtsanwälte?

Eigentlich hat man es sich abgewöhnt, in der Politik noch mit Charakteren zu rechnen. Aber im Charakter von Mario Monti könnte sich B. getäuscht haben – wenn der es nämlich 2013 vorziehen würde, doch lieber an seine Mailänder Universität zurückzukehren. Dann wäre B.s ganze schöne Rechnung für die Katz.