Spaghetti mit Marmelade

In der italienischen Rechten macht sich derzeit eine deutschfeindliche Stimmung breit, die sich plumpster Klischees bedient und immer aggressivere Töne anschlägt . Ein Paradebeispiel dafür lieferte am 12. Januar B.s Hauspostille „Il Giornale“. Dort wirft der Autor Mario Giordano dem italienischen Ministerpräsidenten vor, Italien an die „Teutonen“ und ihre „Rigidität“ ausliefern zu wollen. Anlass war eine Erklärung Montis, er wolle versuchen, „Italien Deutschland ähnlicher zu machen“ (wobei er allerdings hinzusetzte, dass auch Deutschland seine Blockadehaltung auf europäischer Ebene aufgeben müsse).

Der „Giornale“-Artikel liefert eine so groteske und schon fast rassistische Charakterisierung des „Deutschtums“, dass es lohnt, einige Passagen wiederzugeben (die fett geschriebenen Worte sind auch im italienischen Text deutsch geschrieben):

„Entschuldigen Sie, Herr Präsident Monti, aber ich will nicht als ‚Crucco‘ (verächtliche italienische Bezeichnung für Deutsche, M.H.) sterben… Ich verweigere mich … dem Deutschtum: Wenn Sie Italien Deutschland ähnlicher machen wollen, müssen Sie auf mich verzichten … Ich schaffe es nämlich nicht, Spaghetti mit Marmelade zu essen, Würstchen verursachen mir Sodbrennen und einem Bier ziehe ich immer noch eine Flasche Barbaresco-Wein vor. Auch gelingt es mir nicht, nach Hamburger oder Düsseldorfer Mode kurze weiße Socken zu tragen. Ich ziehe es trotz allem vor, Italiener zu sein. Ich kenne seit Jahren die Übel unseres Landes und prangere sie an, doch bin ich überzeugt, dass unsere bunten Laster immer noch besser sind als ihre (deutschen, M. H.) eiskalten Tugenden. Wie ein Freund von mir sagte: Bei uns kommen die Züge immer zu spät, bei ihnen sind sie immer pünktlich, auch wenn sie nach Dachau fahren… Entschuldigen Sie, Herr Präsident, aber in diesen Zug möchte ich nicht einsteigen. Ich kann verstehen, dass Sie immer gerührt sind, wenn Sie Kartoffeln, Danke, Frau, Wassen (keine Ahnung, was das sein soll, M. H.), Anschluss, Kaiser und Panzer hören, … sind Sie doch ein Mann der Realpolitik, der den Blitzkrieg (vor allem in den Taschen der Italiener) liebt … Es wäre doch seltsam, wenn die 150-jährige italienische Republik am Ende in die ‚Italienische Republik Deutschlands‘ verwandelt würde … Über alles, okay. Aber wir ziehen es doch vor, etwas weiter unten zu stehen. Vielleicht weniger effizient, mit einem drückenden Schuldenberg, mit streikenden Taxifahrern. Aber immerhin in der Lage, Spaghetti-Amatriciana mit der Gabel zu essen, ohne auf Löffel angewiesen zu sein … Finden Sie wirklich, wir sollten Dante und Petrarca, unsere Phantasie und unser Sorrento, das apulische Olivenöl, die piemontesischen Weine, unsere Kreativität, unsere Überlebenskunst, unsere Intelligenz und unseren Heimatstolz gegen einen Teller Sauerkraut eintauschen?… Ich will nicht als Deutscher sterben. Ich ziehe die italienischen Desaster ihrer Perfektion, unser Chaos ihrer Ordnung vor. Auch weil letzten Endes … wir es sind, die immer gewinnen. Herr Monti … ziehen Sie den Lodenmantel aus, stellen Sie das Bierglas weg. Und vergessen Sie nicht: bei Italien-Deutschland endet es, wenn es drauf ankommt, immer 4 zu 3.“

Primitive Italien-Klischees gegen noch primitivere Deutschland-Klischees. Man könnte mit einem Kopfschütteln darüber hinweg gehen, reihte sich der Artikel nicht in eine antideutsche Kampagne ein, der mit dem Antritt der neuen Regierung einsetzte: Es war die Merkel, die Napolitano zur Absetzung Berlusconis nötigte, Deutschland will ganz Europa unter sein Diktat stellen, Italien gibt seine Souveränität auf und unterwirft sich dem „Dritten Reich des Spread“ (O-Ton Giordano). Die italienische Rechte versucht, Ängste und Unzufriedenheit wegen der harten Sparmaßnahmen mit antideutschen Ressentiments zu einer explosiven Mischung zusammenzurühren.

Monti hat die Gefahr erkannt und bei seinem Treffen mit der Bundeskanzlerin gewarnt: Europa und vor allem Deutschland müssten die Länder, die ihren Bürgern jetzt Opfer abverlangen, solidarisch unterstützen und mit für Rahmenbedingungen sorgen, die ihre Bemühungen fördern und nicht abwürgen. Ansonsten drohe – auch in Italien – die Gefahr, dass rechtspopulistische und antieuropäische Kräfte die Oberhand gewinnen. Eine Warnung, die Deutschland und die deutsche Regierung ernst nehmen sollten. Auch im eigenen Interesse.

Ach, und noch was: sollte jemand von Ihnen, liebe deutsche Leser(innen), ein Rezept für Spaghetti mit Marmelade haben, leiten Sie es mir bitte über die Redaktionsadresse zu. Ich lebe seit über vierzig Jahren in Deutschland, doch dieser kulinarische Genuss wurde mir bisher vorenthalten.

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