Artikel 18

Vom Aufbruch der Arbeiterbewegung, der Italien vor gut 40 Jahren erfasste, blieb nicht viel übrig. Das wichtigste Relikt ist das „Statuto dei Lavoratori“, das 1970 Gesetz wurde. Es schreibt Arbeitnehmerrechte fest, im Sinne der Verfassungsdefinition, dass Italien eine „auf Arbeit gegründete demokratische Republik“ sei. Besonders Artikel 18 des Statuts ist den Unternehmern ein Dorn im Auge, denn in Betrieben mit über 15 Beschäftigten macht er betriebsbedingte Kündigungen schwerer als etwa das deutsche Arbeitsrecht.

Den italienischen Unternehmern wurde das Statut in einem Moment abgerungen, als die Arbeiterbewegung stark war, die Konjunktur brummte und die meisten Unternehmer noch nicht über die heutigen Druckmittel (Betriebsauslagerungen ins Ausland) verfügten. Die Zeiten haben sich seitdem geändert, aber das Statut überlebte und mit ihm auch sein Art. 18. Bis im vergangenen Herbst Brüssel forderte, zur Wiederankurbelung des wirtschaftlichen Wachstums solle Italien den Arbeitsmarkt „flexibilisieren“ und damit auch Kündigungen erleichtern. Monti scheint dies jetzt in die Tat umsetzen zu wollen – was allerdings zu einem heftigen Konflikt mit den italienischen Gewerkschaften führen kann.

Natürlich steckt hinter den Brüsseler „Empfehlungen“ auch neoliberale Ideologie. Trotzdem sollte man einen Moment innehalten, bevor man hier Partei ergreift. Wenn sich die Gewerkschaften gegen jede Änderung des Kündigungsrechts wehren, vertreten sie zunächst das Interesse derjenigen Arbeitnehmer, die einen regulären Arbeitsvertrag haben, und zwar in Großbetrieben mit über 15 Beschäftigten. Diese Arbeitsplätze verteidigen ihre Besitzer umso verzweifelter, als sie im Falle ihrer „Freisetzung“ schnell ins soziale Nichts fallen, da es in Italien nur eine rudimentäre Arbeitslosenhilfe gibt.

Monti argumentiert, dass es in der gegenwärtigen Situation nicht nur um das Interesse dieser Arbeitnehmer gehen könne. Mindestens genauso wichtig sei das Schicksal einer ganzen Generation jüngerer Arbeitskräfte, die wieder Zugang zum geschützten Arbeitsmarkt finden müsse. Denn die italienischen Arbeitgeber nutzen schon seit Längerem das vorhandene Überangebot an Arbeitskräften, um immer seltener reguläre Neueinstellungen vorzunehmen. Die Jüngeren bleiben entweder arbeitslos (in Italien gibt es 3,5 Mio. Arbeitslose, im Alterssegment bis 35 Jahre über 30 %), oder sie finden immer häufiger nur noch „prekäre“ Beschäftigungen mit vertraglichen Laufzeiten von unter einem Jahr (es gibt 2,5 Millionen „Prekäre“, von denen 80 % unter 40 Jahre alt sind). Eine Entwicklung, die sich auch in Deutschland anbahnt (Leiharbeit), aber die in Italien inzwischen eine ganze Generation benachteiligt. Da die Arbeitgeber damit auch den ungeliebten Artikel 18 umgehen, ist es nicht ganz abwegig, in ihm unter den gegenwärtigen Bedingungen einen zusätzlichen Deregulierungsanreiz zu sehen.

Die Verhältnisse sind in der Tat reformbedürftig, aber nur „im Paket“. Es geht nicht nur um Art. 18. In Italien muss es endlich auch soziale Netze (Arbeitslosengeld, Um- und Weiterqualifizierung) für die Zeiten geben, in denen man keine Arbeit hat. Um das Abdriften der jüngeren Generation ins Prekariat zu verhindern, sind Zeitverträge gesetzlich auf ein Minimum (z. B. klassische Saisonarbeit) zu beschränken. Unbefristete Arbeitsverträge müssen wieder zur Normalität werden – vielleicht mit längerer Probezeit (die Überlegungen reichen hier bis zu drei Jahren, analog zur Länge des deutschen Ausbildungsverhältnisses).

Die Regierung Monti hätte die sozialpolitische Kompetenz, um daraus in Abstimmung mit den Sozialpartnern ein stimmiges Gesamtkonzept zu machen. In dessen Rahmen schließlich auch behutsame Änderungen des Kündigungsrechts sinnvoll sein könnten. Sie müsste dafür ernsthaft den Konsens mit den Gewerkschaften suchen – und gleichzeitig der Versuchung widerstehen, nicht auf der Klaviatur gewerkschaftlicher Spaltungsmöglichkeiten zu spielen (was die Berlusconi-Regierung hemmungslos tat). Auch um die bisherige Opposition nicht einer Zerreißprobe auszusetzen, die zwar die politische Rechte erhofft, aber dem Land nur schaden kann.